Paretz wieder zu sehen. Wir finden darüber Folgendes: "Am 20. Mai fuhr sie allein mit ihrem Gemahl dorthin -- es sollte nach Gottes Rathschluß das letzte Mal sein! Erinnerungsvoll begrüßten sie die alten, traulichen Stätten, die sie so oft in glücklichen Tagen mit Freud und Wonne gesehen; nicht trennen konnte und wollte sie sich von jener Anhöhe im Park, die das Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernsicht über den mit schwellenden Segeln und zahllosen Schwanen belebten Havelstrom mit seinen Buchten und Seen, sowie auf die im schönsten Maiengrün prangenden Wiesen und Aecker bot. Zu ihren Füßen lag das friedsame Paretz, im Grün der Bäume halb versteckt die Kirche. Die Sonne neigte sich; tiefer und länger dehnten sich die Schatten über die Landschaft und mahn- ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte so lange als möglich an diesem ihrem Lieblingsorte verbleiben; sie wartete bis zum Niedergang der Sonne und sprach dann vor sich hin:
"Die Sonne eines Tages geht dahin; Wer weiß Wie bald die Sonne unsres Lebens scheidet."
Auf den Wunsch der Königin, den Wagen nicht an dem ent- fernter liegenden Schlosse, sondern hier an der Landstraße be- steigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde, war das Gefährt beim Rohrhause angelangt. Die Königin schritt am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe hinab und durch die Parkthür nach der Landstraße." Das war am 20. Mai. Am 19. Juli starb sie.
Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das Wort, das sie hier gesprochen. Er besuchte oft diese Stelle, doch stets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er hier, wo sie den Park verlassen und den Wagen bestiegen, wo ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte, eine gußeiserne gothische Pforte aufstellen.
Diese Pforte, wie es für solchen Platz sich ziemt, entzieht sich fast dem Auge. Abgelegen an sich, an dunkelster Stelle des Parks, birgt sich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüsch;
Paretz wieder zu ſehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am 20. Mai fuhr ſie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es ſollte nach Gottes Rathſchluß das letzte Mal ſein! Erinnerungsvoll begrüßten ſie die alten, traulichen Stätten, die ſie ſo oft in glücklichen Tagen mit Freud und Wonne geſehen; nicht trennen konnte und wollte ſie ſich von jener Anhöhe im Park, die das Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernſicht über den mit ſchwellenden Segeln und zahlloſen Schwanen belebten Havelſtrom mit ſeinen Buchten und Seen, ſowie auf die im ſchönſten Maiengrün prangenden Wieſen und Aecker bot. Zu ihren Füßen lag das friedſame Paretz, im Grün der Bäume halb verſteckt die Kirche. Die Sonne neigte ſich; tiefer und länger dehnten ſich die Schatten über die Landſchaft und mahn- ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte ſo lange als möglich an dieſem ihrem Lieblingsorte verbleiben; ſie wartete bis zum Niedergang der Sonne und ſprach dann vor ſich hin:
„Die Sonne eines Tages geht dahin; Wer weiß Wie bald die Sonne unſres Lebens ſcheidet.“
Auf den Wunſch der Königin, den Wagen nicht an dem ent- fernter liegenden Schloſſe, ſondern hier an der Landſtraße be- ſteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde, war das Gefährt beim Rohrhauſe angelangt. Die Königin ſchritt am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe hinab und durch die Parkthür nach der Landſtraße.“ Das war am 20. Mai. Am 19. Juli ſtarb ſie.
Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das Wort, das ſie hier geſprochen. Er beſuchte oft dieſe Stelle, doch ſtets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er hier, wo ſie den Park verlaſſen und den Wagen beſtiegen, wo ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte, eine gußeiſerne gothiſche Pforte aufſtellen.
Dieſe Pforte, wie es für ſolchen Platz ſich ziemt, entzieht ſich faſt dem Auge. Abgelegen an ſich, an dunkelſter Stelle des Parks, birgt ſich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüſch;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0347"n="329"/>
Paretz wieder zu ſehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am<lb/>
20. Mai fuhr ſie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es ſollte<lb/>
nach Gottes Rathſchluß das letzte Mal ſein! Erinnerungsvoll<lb/>
begrüßten ſie die alten, traulichen Stätten, die ſie ſo oft in<lb/>
glücklichen Tagen mit Freud und Wonne geſehen; nicht trennen<lb/>
konnte und wollte ſie ſich von jener Anhöhe im Park, die das<lb/>
Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernſicht<lb/>
über den mit ſchwellenden Segeln und zahlloſen Schwanen<lb/>
belebten Havelſtrom mit ſeinen Buchten und Seen, ſowie auf<lb/>
die im ſchönſten Maiengrün prangenden Wieſen und Aecker bot.<lb/>
Zu ihren Füßen lag das friedſame Paretz, im Grün der Bäume<lb/>
halb verſteckt die Kirche. Die Sonne neigte ſich; tiefer und<lb/>
länger dehnten ſich die Schatten über die Landſchaft und mahn-<lb/>
ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte ſo lange als<lb/>
möglich an dieſem ihrem Lieblingsorte verbleiben; ſie wartete<lb/>
bis zum Niedergang der Sonne und ſprach dann vor ſich hin:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Die Sonne eines Tages geht dahin;</l><lb/><l>Wer weiß</l><lb/><l>Wie bald die Sonne unſres Lebens ſcheidet.“</l></lg><lb/><p>Auf den Wunſch der Königin, den Wagen nicht an dem ent-<lb/>
fernter liegenden Schloſſe, ſondern hier an der Landſtraße be-<lb/>ſteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde,<lb/>
war das Gefährt beim Rohrhauſe angelangt. Die Königin ſchritt<lb/>
am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe<lb/>
hinab und durch die Parkthür nach der Landſtraße.“ Das war<lb/>
am 20. Mai. Am 19. Juli ſtarb ſie.</p><lb/><p>Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das<lb/>
Wort, das ſie hier geſprochen. Er beſuchte oft dieſe Stelle,<lb/>
doch ſtets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er<lb/>
hier, wo ſie den Park verlaſſen und den Wagen beſtiegen, wo<lb/>
ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte,<lb/>
eine gußeiſerne gothiſche Pforte aufſtellen.</p><lb/><p>Dieſe Pforte, wie es für ſolchen Platz ſich ziemt, entzieht<lb/>ſich faſt dem Auge. Abgelegen an ſich, an dunkelſter Stelle<lb/>
des Parks, birgt ſich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüſch;<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[329/0347]
Paretz wieder zu ſehen. Wir finden darüber Folgendes: „Am
20. Mai fuhr ſie allein mit ihrem Gemahl dorthin — es ſollte
nach Gottes Rathſchluß das letzte Mal ſein! Erinnerungsvoll
begrüßten ſie die alten, traulichen Stätten, die ſie ſo oft in
glücklichen Tagen mit Freud und Wonne geſehen; nicht trennen
konnte und wollte ſie ſich von jener Anhöhe im Park, die das
Rohrhaus trägt, und die an jenem Tage eine weite Fernſicht
über den mit ſchwellenden Segeln und zahlloſen Schwanen
belebten Havelſtrom mit ſeinen Buchten und Seen, ſowie auf
die im ſchönſten Maiengrün prangenden Wieſen und Aecker bot.
Zu ihren Füßen lag das friedſame Paretz, im Grün der Bäume
halb verſteckt die Kirche. Die Sonne neigte ſich; tiefer und
länger dehnten ſich die Schatten über die Landſchaft und mahn-
ten zum Aufbruch. Aber die Königin wollte ſo lange als
möglich an dieſem ihrem Lieblingsorte verbleiben; ſie wartete
bis zum Niedergang der Sonne und ſprach dann vor ſich hin:
„Die Sonne eines Tages geht dahin;
Wer weiß
Wie bald die Sonne unſres Lebens ſcheidet.“
Auf den Wunſch der Königin, den Wagen nicht an dem ent-
fernter liegenden Schloſſe, ſondern hier an der Landſtraße be-
ſteigen zu dürfen, wodurch der Aufenthalt verlängert wurde,
war das Gefährt beim Rohrhauſe angelangt. Die Königin ſchritt
am Arm ihres Gemahls den kurzen Gang zu Füßen der Anhöhe
hinab und durch die Parkthür nach der Landſtraße.“ Das war
am 20. Mai. Am 19. Juli ſtarb ſie.
Unvergeßlich blieb dem Könige die Stätte, unvergeßlich das
Wort, das ſie hier geſprochen. Er beſuchte oft dieſe Stelle,
doch ſtets allein, ohne jede Begleitung. Zum Andenken ließ er
hier, wo ſie den Park verlaſſen und den Wagen beſtiegen, wo
ihr Fuß zum letzten Mal die Erde von Paretz berührt hatte,
eine gußeiſerne gothiſche Pforte aufſtellen.
Dieſe Pforte, wie es für ſolchen Platz ſich ziemt, entzieht
ſich faſt dem Auge. Abgelegen an ſich, an dunkelſter Stelle
des Parks, birgt ſich das Gitterthor in dichtem Akaziengebüſch;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der dritte Band "Ost-Havelland. Die Landschaft um Spandau, Potsdam, Brandenburg" 1873 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 3: Ost-Havelland. Berlin, 1873, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg03_1873/347>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.