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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Backofenstellen gemacht hat, -- überblickt man nunmehr die "Stadt-
stelle", wie man auf eine Reliefkarte blickt; man ist durchaus
orientirt und hat Alles in völliger Klarheit vor sich. Man erkennt
die Stadtmauer, die Thore, die Hauptstraße, die Kirche, die ein-
zelnen Häuser und Gehöfte, -- und ungerufen, wie eine Vision,
steigt die alte Stadt wieder vor unserem Auge auf. Gewiß ist das
Bild ein vielfach falsches; aber die Umrisse liegen übersichtlich da,
und die Fehler, die wir machen, sind nur die, in die wir verfal-
len, wenn wir uns mit Hülfe eines Plans eine Stadt im Geiste
auferbauen. Die Dinge selbst sind nicht richtig, aber wir geben
den Dingen ihren richtigen Platz
.

Nachdem wir Umschau gehalten, traten wir nunmehr den
Rückweg an. Unser Nächstes war, den Umfang von Stadt und
Kirche auszumessen. Die Kirche mißt 50 Fuß zu 40; die ganze
Stadt ist 600 Schritt lang und ziemlich eben so breit. Unten am
Hügel-Abhang, in der Nähe der "Suhle", blickten wir noch ein-
mal auf das Steinfeld, das nun nicht länger ein Chaos für uns
war, zurück; -- dann trennten wir uns zögernd von dieser Stelle,
über der ein eigener Zauber waltet. Die Natur wuchs einst wild
in diese alte Stelle der Cultur hinein und wucherte darin; nun
hat eine andere Cultur den Wald gefällt und breitet ihre Saaten
darin aus. Im Mai blüht und duftet hier der Raps; im Juni
wogen die Kornfelder. Städtische Cultur von ehemals und Acker-
cultur von heut reichen sich über dem vierhundertjährigen Wald-
Interregnum die Hand. Aber an Unheimlichem fehlt es noch
immer nicht. Das Wildschwein hat es nicht vergessen, daß Jahr-
hunderte lang ihm diese Stelle gehörte, und in Sommernächten,
wenn der Rapsduft vom Feld her in den Wald zieht, dann
bricht es in sein altes Land ein, erst in die "Suhle", dann in
die Saat und tritt nieder und wirbelt auf. Wer dann im
"Blumenthal" seines Weges kommt, der hört ein Lärmen und
Jolen, ein Grunzen und Quitschen wie in alter Zeit, und weiß
nicht, ist es ein Hexen-Sabbath oder die wilde Jagd.



Backofenſtellen gemacht hat, — überblickt man nunmehr die „Stadt-
ſtelle“, wie man auf eine Reliefkarte blickt; man iſt durchaus
orientirt und hat Alles in völliger Klarheit vor ſich. Man erkennt
die Stadtmauer, die Thore, die Hauptſtraße, die Kirche, die ein-
zelnen Häuſer und Gehöfte, — und ungerufen, wie eine Viſion,
ſteigt die alte Stadt wieder vor unſerem Auge auf. Gewiß iſt das
Bild ein vielfach falſches; aber die Umriſſe liegen überſichtlich da,
und die Fehler, die wir machen, ſind nur die, in die wir verfal-
len, wenn wir uns mit Hülfe eines Plans eine Stadt im Geiſte
auferbauen. Die Dinge ſelbſt ſind nicht richtig, aber wir geben
den Dingen ihren richtigen Platz
.

Nachdem wir Umſchau gehalten, traten wir nunmehr den
Rückweg an. Unſer Nächſtes war, den Umfang von Stadt und
Kirche auszumeſſen. Die Kirche mißt 50 Fuß zu 40; die ganze
Stadt iſt 600 Schritt lang und ziemlich eben ſo breit. Unten am
Hügel-Abhang, in der Nähe der „Suhle“, blickten wir noch ein-
mal auf das Steinfeld, das nun nicht länger ein Chaos für uns
war, zurück; — dann trennten wir uns zögernd von dieſer Stelle,
über der ein eigener Zauber waltet. Die Natur wuchs einſt wild
in dieſe alte Stelle der Cultur hinein und wucherte darin; nun
hat eine andere Cultur den Wald gefällt und breitet ihre Saaten
darin aus. Im Mai blüht und duftet hier der Raps; im Juni
wogen die Kornfelder. Städtiſche Cultur von ehemals und Acker-
cultur von heut reichen ſich über dem vierhundertjährigen Wald-
Interregnum die Hand. Aber an Unheimlichem fehlt es noch
immer nicht. Das Wildſchwein hat es nicht vergeſſen, daß Jahr-
hunderte lang ihm dieſe Stelle gehörte, und in Sommernächten,
wenn der Rapsduft vom Feld her in den Wald zieht, dann
bricht es in ſein altes Land ein, erſt in die „Suhle“, dann in
die Saat und tritt nieder und wirbelt auf. Wer dann im
„Blumenthal“ ſeines Weges kommt, der hört ein Lärmen und
Jolen, ein Grunzen und Quitſchen wie in alter Zeit, und weiß
nicht, iſt es ein Hexen-Sabbath oder die wilde Jagd.



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[78/0090] Backofenſtellen gemacht hat, — überblickt man nunmehr die „Stadt- ſtelle“, wie man auf eine Reliefkarte blickt; man iſt durchaus orientirt und hat Alles in völliger Klarheit vor ſich. Man erkennt die Stadtmauer, die Thore, die Hauptſtraße, die Kirche, die ein- zelnen Häuſer und Gehöfte, — und ungerufen, wie eine Viſion, ſteigt die alte Stadt wieder vor unſerem Auge auf. Gewiß iſt das Bild ein vielfach falſches; aber die Umriſſe liegen überſichtlich da, und die Fehler, die wir machen, ſind nur die, in die wir verfal- len, wenn wir uns mit Hülfe eines Plans eine Stadt im Geiſte auferbauen. Die Dinge ſelbſt ſind nicht richtig, aber wir geben den Dingen ihren richtigen Platz. Nachdem wir Umſchau gehalten, traten wir nunmehr den Rückweg an. Unſer Nächſtes war, den Umfang von Stadt und Kirche auszumeſſen. Die Kirche mißt 50 Fuß zu 40; die ganze Stadt iſt 600 Schritt lang und ziemlich eben ſo breit. Unten am Hügel-Abhang, in der Nähe der „Suhle“, blickten wir noch ein- mal auf das Steinfeld, das nun nicht länger ein Chaos für uns war, zurück; — dann trennten wir uns zögernd von dieſer Stelle, über der ein eigener Zauber waltet. Die Natur wuchs einſt wild in dieſe alte Stelle der Cultur hinein und wucherte darin; nun hat eine andere Cultur den Wald gefällt und breitet ihre Saaten darin aus. Im Mai blüht und duftet hier der Raps; im Juni wogen die Kornfelder. Städtiſche Cultur von ehemals und Acker- cultur von heut reichen ſich über dem vierhundertjährigen Wald- Interregnum die Hand. Aber an Unheimlichem fehlt es noch immer nicht. Das Wildſchwein hat es nicht vergeſſen, daß Jahr- hunderte lang ihm dieſe Stelle gehörte, und in Sommernächten, wenn der Rapsduft vom Feld her in den Wald zieht, dann bricht es in ſein altes Land ein, erſt in die „Suhle“, dann in die Saat und tritt nieder und wirbelt auf. Wer dann im „Blumenthal“ ſeines Weges kommt, der hört ein Lärmen und Jolen, ein Grunzen und Quitſchen wie in alter Zeit, und weiß nicht, iſt es ein Hexen-Sabbath oder die wilde Jagd.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/90>, abgerufen am 02.05.2024.