hielt ihn eine Zeit lang neben demselben, bald senkte er ihn bis zur Höhe des Ellbogens herab. Aber diese Bewegung dauerte fort- während, und so wie er sich bedeckt hatte, sah er schon wieder an- dere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halle- schen Thore bis zur Kochstraße gewiß 200mal abgenommen.
Durch dieses ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berlinischen Gassenjungen, die vor ihm her tanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen, oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwisch- ten. Bei dem Palais der Prinzessin Amalie angekommen (das jetzt dem Prinzen Albrecht gehört), war die Menge noch dichter, denn sie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügelthü- ren gingen auf und die alte, lahme Prinzessin Amalie, auf zwei Damen gestützt, die Oberhofmeisterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Galopp, hielt, sprang rasch vom Pferde, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe wieder hinauf. Die Flügelthüren gingen zu, Alles war verschwunden, und noch stand die Menge, entblößten Hauptes, schweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verschwunden war, und es dauerte eine Weile, bis jeder sich sammelte und ruhig seines Weges ging."
In seinem achten Jahre erhielt Marwitz einen Hofmeister. Er hieß Herr Rosa, war ein völliger Ignorant, aber ein rechtschaffener Mann. Die Unterrichtsmethode, nach der er verfuhr, erwies sich als die einfachste von der Welt, bewährte sich aber durchaus. Schroeckhs allgemeine Weltgeschichte (um ein Beispiel für seine Methode zu geben) wurde vorgelesen, was ohngefähr ein Jahr lang dauerte. War die letzte Seite gelesen, so wurde mit der ersten wieder angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition. Nach- dem Marwitz seinen Schroeckh zweimal durch hatte, fingen diese Repetitionsstunden an eine Redeübung zu werden. Marwitz, mit gutem Gedächtniß ausgerüstet, hatte den Inhalt des Buches bei- nahe wörtlich im Kopfe und sah sich dadurch in den Stand ge- setzt, den Inhalt eines Kapitels wie eine Erzählung vorzutragen.
hielt ihn eine Zeit lang neben demſelben, bald ſenkte er ihn bis zur Höhe des Ellbogens herab. Aber dieſe Bewegung dauerte fort- während, und ſo wie er ſich bedeckt hatte, ſah er ſchon wieder an- dere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halle- ſchen Thore bis zur Kochſtraße gewiß 200mal abgenommen.
Durch dieſes ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufſchlag der Pferde und das Geſchrei der Berliniſchen Gaſſenjungen, die vor ihm her tanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen, oder neben ihm herſprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwiſch- ten. Bei dem Palais der Prinzeſſin Amalie angekommen (das jetzt dem Prinzen Albrecht gehört), war die Menge noch dichter, denn ſie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügelthü- ren gingen auf und die alte, lahme Prinzeſſin Amalie, auf zwei Damen geſtützt, die Oberhofmeiſterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er ſie gewahr wurde, ſetzte er ſich in Galopp, hielt, ſprang raſch vom Pferde, zog den Hut, umarmte ſie, bot ihr den Arm und führte ſie die Treppe wieder hinauf. Die Flügelthüren gingen zu, Alles war verſchwunden, und noch ſtand die Menge, entblößten Hauptes, ſchweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verſchwunden war, und es dauerte eine Weile, bis jeder ſich ſammelte und ruhig ſeines Weges ging.“
In ſeinem achten Jahre erhielt Marwitz einen Hofmeiſter. Er hieß Herr Roſa, war ein völliger Ignorant, aber ein rechtſchaffener Mann. Die Unterrichtsmethode, nach der er verfuhr, erwies ſich als die einfachſte von der Welt, bewährte ſich aber durchaus. Schroeckhs allgemeine Weltgeſchichte (um ein Beiſpiel für ſeine Methode zu geben) wurde vorgeleſen, was ohngefähr ein Jahr lang dauerte. War die letzte Seite geleſen, ſo wurde mit der erſten wieder angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition. Nach- dem Marwitz ſeinen Schroeckh zweimal durch hatte, fingen dieſe Repetitionsſtunden an eine Redeübung zu werden. Marwitz, mit gutem Gedächtniß ausgerüſtet, hatte den Inhalt des Buches bei- nahe wörtlich im Kopfe und ſah ſich dadurch in den Stand ge- ſetzt, den Inhalt eines Kapitels wie eine Erzählung vorzutragen.
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hielt ihn eine Zeit lang neben demſelben, bald ſenkte er ihn bis
zur Höhe des Ellbogens herab. Aber dieſe Bewegung dauerte fort-
während, und ſo wie er ſich bedeckt hatte, ſah er ſchon wieder an-
dere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halle-
ſchen Thore bis zur Kochſtraße gewiß 200mal abgenommen.
Durch dieſes ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufſchlag
der Pferde und das Geſchrei der Berliniſchen Gaſſenjungen, die vor ihm
her tanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen, oder neben
ihm herſprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwiſch-
ten. Bei dem Palais der Prinzeſſin Amalie angekommen (das jetzt
dem Prinzen Albrecht gehört), war die Menge noch dichter, denn
ſie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügelthü-
ren gingen auf und die alte, lahme Prinzeſſin Amalie, auf zwei
Damen geſtützt, die Oberhofmeiſterin hinter ihr, wankte die flachen
Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er ſie gewahr wurde, ſetzte
er ſich in Galopp, hielt, ſprang raſch vom Pferde, zog den Hut,
umarmte ſie, bot ihr den Arm und führte ſie die Treppe wieder
hinauf. Die Flügelthüren gingen zu, Alles war verſchwunden, und
noch ſtand die Menge, entblößten Hauptes, ſchweigend, alle Augen
auf den Fleck gerichtet, wo er verſchwunden war, und es dauerte
eine Weile, bis jeder ſich ſammelte und ruhig ſeines Weges ging.“
In ſeinem achten Jahre erhielt Marwitz einen Hofmeiſter. Er
hieß Herr Roſa, war ein völliger Ignorant, aber ein rechtſchaffener
Mann. Die Unterrichtsmethode, nach der er verfuhr, erwies ſich
als die einfachſte von der Welt, bewährte ſich aber durchaus.
Schroeckhs allgemeine Weltgeſchichte (um ein Beiſpiel für ſeine
Methode zu geben) wurde vorgeleſen, was ohngefähr ein Jahr
lang dauerte. War die letzte Seite geleſen, ſo wurde mit der erſten
wieder angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition. Nach-
dem Marwitz ſeinen Schroeckh zweimal durch hatte, fingen dieſe
Repetitionsſtunden an eine Redeübung zu werden. Marwitz, mit
gutem Gedächtniß ausgerüſtet, hatte den Inhalt des Buches bei-
nahe wörtlich im Kopfe und ſah ſich dadurch in den Stand ge-
ſetzt, den Inhalt eines Kapitels wie eine Erzählung vorzutragen.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/375>, abgerufen am 25.11.2024.
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