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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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seines Lebens und im Anschluß daran eine Schilderung seines Cha-
rakters zu geben. Die gereifteren und deshalb ruhigeren Anschau-
ungen, zu denen wir uns, zumal im Laufe der letzten zehn Jahre,
hindurch gearbeitet haben, gestatten uns, mit Unbefangenheit an
die Schilderung eines Charakters wie der Marwitzsche zu gehen.
Wie viele auch, mit größerem oder geringerem Recht, bestrebt sein
mögen, die einzelnen Doktrinen des Conservatismus zu bekämpfen,
das Princip selbst ist von jedem Denkenden anerkannt. Die Tage
des Kampfes sind nicht vorbei und sollen nicht vorbei sein, denn
Kampf ist Leben; aber die Tage der Verdächtigung sind hoffentlich
vorüber. Wir wünschen frischen und freien Wind in den Segeln
unseres Staatsschiffs, aber wir brauchen auch den rettenden Anker,
der auf tiefem Grunde mit seinem Eisenzahn uns festhält, so oft
die frische Brise zum Sturme zu werden droht. Mit solchem Anker
und solchem Eisenzahne haben wir es in Nachstehendem zu thun.

Friedrich August Ludwig von der Marwitz wurde am 29. Mai
1777 zu Berlin geboren, wo seine Eltern (die nur den Sommer
in Friedersdorf zuzubringen pflegten) ein Palais in der Wilhelms-
straße bewohnten. Das bedeutendste Erlebniß seiner frühen Kinder-
jahre waren mehrmalige Begegnungen mit dem großen Könige,
das erstemal in Dolgelin, einem Dorfe in der Nähe von Frieders-
dorf. Er selbst hat diese Begegnung in höchst anschaulicher Weise
beschrieben.

Der Wagen hielt und der König fragte: "Ist das Dolgelin?"
-- "Ja, Ihro Majestät", lautete die Antwort. Dabei wurde um-
gespannt. Die Bauern, welche von weitem ganz still mit ehrerbie-
tig gezogenen Hüten standen, kamen sachte näher und schauten den
König begierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm
mich auf den Arm und hob mich gerade am Wagenfenster in die
Höhe. Ich war nun höchstens eine Elle weit vom König entfernt,
und es war mir, als ob ich den lieben Gott ansähe. Er sah ganz
gerade vor sich hin durch das Vorderfenster. Er hatte einen ganz
alten dreieckigen Montirungshut auf; dessen hintere gerade Krempe
hatte er nach vorn gesetzt und die Schnüre losgemacht, so daß

ſeines Lebens und im Anſchluß daran eine Schilderung ſeines Cha-
rakters zu geben. Die gereifteren und deshalb ruhigeren Anſchau-
ungen, zu denen wir uns, zumal im Laufe der letzten zehn Jahre,
hindurch gearbeitet haben, geſtatten uns, mit Unbefangenheit an
die Schilderung eines Charakters wie der Marwitzſche zu gehen.
Wie viele auch, mit größerem oder geringerem Recht, beſtrebt ſein
mögen, die einzelnen Doktrinen des Conſervatismus zu bekämpfen,
das Princip ſelbſt iſt von jedem Denkenden anerkannt. Die Tage
des Kampfes ſind nicht vorbei und ſollen nicht vorbei ſein, denn
Kampf iſt Leben; aber die Tage der Verdächtigung ſind hoffentlich
vorüber. Wir wünſchen friſchen und freien Wind in den Segeln
unſeres Staatsſchiffs, aber wir brauchen auch den rettenden Anker,
der auf tiefem Grunde mit ſeinem Eiſenzahn uns feſthält, ſo oft
die friſche Briſe zum Sturme zu werden droht. Mit ſolchem Anker
und ſolchem Eiſenzahne haben wir es in Nachſtehendem zu thun.

Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz wurde am 29. Mai
1777 zu Berlin geboren, wo ſeine Eltern (die nur den Sommer
in Friedersdorf zuzubringen pflegten) ein Palais in der Wilhelms-
ſtraße bewohnten. Das bedeutendſte Erlebniß ſeiner frühen Kinder-
jahre waren mehrmalige Begegnungen mit dem großen Könige,
das erſtemal in Dolgelin, einem Dorfe in der Nähe von Frieders-
dorf. Er ſelbſt hat dieſe Begegnung in höchſt anſchaulicher Weiſe
beſchrieben.

Der Wagen hielt und der König fragte: „Iſt das Dolgelin?“
— „Ja, Ihro Majeſtät“, lautete die Antwort. Dabei wurde um-
geſpannt. Die Bauern, welche von weitem ganz ſtill mit ehrerbie-
tig gezogenen Hüten ſtanden, kamen ſachte näher und ſchauten den
König begierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm
mich auf den Arm und hob mich gerade am Wagenfenſter in die
Höhe. Ich war nun höchſtens eine Elle weit vom König entfernt,
und es war mir, als ob ich den lieben Gott anſähe. Er ſah ganz
gerade vor ſich hin durch das Vorderfenſter. Er hatte einen ganz
alten dreieckigen Montirungshut auf; deſſen hintere gerade Krempe
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[361/0373] ſeines Lebens und im Anſchluß daran eine Schilderung ſeines Cha- rakters zu geben. Die gereifteren und deshalb ruhigeren Anſchau- ungen, zu denen wir uns, zumal im Laufe der letzten zehn Jahre, hindurch gearbeitet haben, geſtatten uns, mit Unbefangenheit an die Schilderung eines Charakters wie der Marwitzſche zu gehen. Wie viele auch, mit größerem oder geringerem Recht, beſtrebt ſein mögen, die einzelnen Doktrinen des Conſervatismus zu bekämpfen, das Princip ſelbſt iſt von jedem Denkenden anerkannt. Die Tage des Kampfes ſind nicht vorbei und ſollen nicht vorbei ſein, denn Kampf iſt Leben; aber die Tage der Verdächtigung ſind hoffentlich vorüber. Wir wünſchen friſchen und freien Wind in den Segeln unſeres Staatsſchiffs, aber wir brauchen auch den rettenden Anker, der auf tiefem Grunde mit ſeinem Eiſenzahn uns feſthält, ſo oft die friſche Briſe zum Sturme zu werden droht. Mit ſolchem Anker und ſolchem Eiſenzahne haben wir es in Nachſtehendem zu thun. Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz wurde am 29. Mai 1777 zu Berlin geboren, wo ſeine Eltern (die nur den Sommer in Friedersdorf zuzubringen pflegten) ein Palais in der Wilhelms- ſtraße bewohnten. Das bedeutendſte Erlebniß ſeiner frühen Kinder- jahre waren mehrmalige Begegnungen mit dem großen Könige, das erſtemal in Dolgelin, einem Dorfe in der Nähe von Frieders- dorf. Er ſelbſt hat dieſe Begegnung in höchſt anſchaulicher Weiſe beſchrieben. Der Wagen hielt und der König fragte: „Iſt das Dolgelin?“ — „Ja, Ihro Majeſtät“, lautete die Antwort. Dabei wurde um- geſpannt. Die Bauern, welche von weitem ganz ſtill mit ehrerbie- tig gezogenen Hüten ſtanden, kamen ſachte näher und ſchauten den König begierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm mich auf den Arm und hob mich gerade am Wagenfenſter in die Höhe. Ich war nun höchſtens eine Elle weit vom König entfernt, und es war mir, als ob ich den lieben Gott anſähe. Er ſah ganz gerade vor ſich hin durch das Vorderfenſter. Er hatte einen ganz alten dreieckigen Montirungshut auf; deſſen hintere gerade Krempe hatte er nach vorn geſetzt und die Schnüre losgemacht, ſo daß

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/373>, abgerufen am 25.11.2024.