Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

einem jener Cicerones, die den Posthof zu umstehen pflegen, ver-
traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor
dem Hereinbrechen vollständiger Dunkelheit den Schloßberg zu
sehen wünschten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen,
wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin
mehrere Aemter cumuliren, mindestens aber die Metiers des Füh-
rers und des Fuhrmanns zusammenzutreffen pflegen, so ist die
Antwort selbstverständlich und nach einer halben Stunde rollt ein
Einspänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens
zurückreicht, aber doch beinah. Der Hintersitz ist leer, auf dem
Vordersitz befindet sich unser Führer selbst, nunmehr als Kutscher,
und knipst mit der Peitsche, um sich in seinem neuen Amte zu
beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine
schwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über sein Gesicht fällt.
Was auf den ersten Blick überrascht, ist das, daß er nicht raucht.
Aber freilich jene eigenthümliche Klasse von Personen, der er zu-
gehört, und deren es in jedem Dorfe mindestens einen giebt (auch
in kleinen Ackerstädten kommen sie vor), raucht nie. Es sind dies die
Träger der Volkspoesie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des
Nordens. Sie sind gutgeartet, redselig und schweigsam zugleich,
lieben die Scholle, darauf sie geboren, haben einen Anflug von
Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt,
aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter
der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von
einer phantastischen Scharfsinnigkeit, haben sie in den gewöhnlichen
Verhältnissen des Lebens doch nichts von jener Bauernschlauheit,
die sprüchwörtlich geworden ist. Das Feld ihres Geistes, überhaupt
von bescheidner Tragkraft, ist von der Phantasie überwuchert, und
so gleichen sie einem Ackerfeld, das zu schwach ist, um ernste und
solide Frucht zu tragen, aber dem schönen Unkraut Platz gönnend,
desto üppiger in rothen und blauen Blumen steht.

So ist auch unser Führer und Fuhrmann, dessen Einspänner
vor uns auf dem Posthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu-
nehmen haben, sind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-

einem jener Cicerones, die den Poſthof zu umſtehen pflegen, ver-
traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor
dem Hereinbrechen vollſtändiger Dunkelheit den Schloßberg zu
ſehen wünſchten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen,
wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin
mehrere Aemter cumuliren, mindeſtens aber die Metiers des Füh-
rers und des Fuhrmanns zuſammenzutreffen pflegen, ſo iſt die
Antwort ſelbſtverſtändlich und nach einer halben Stunde rollt ein
Einſpänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens
zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinterſitz iſt leer, auf dem
Vorderſitz befindet ſich unſer Führer ſelbſt, nunmehr als Kutſcher,
und knipſt mit der Peitſche, um ſich in ſeinem neuen Amte zu
beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine
ſchwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über ſein Geſicht fällt.
Was auf den erſten Blick überraſcht, iſt das, daß er nicht raucht.
Aber freilich jene eigenthümliche Klaſſe von Perſonen, der er zu-
gehört, und deren es in jedem Dorfe mindeſtens einen giebt (auch
in kleinen Ackerſtädten kommen ſie vor), raucht nie. Es ſind dies die
Träger der Volkspoeſie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des
Nordens. Sie ſind gutgeartet, redſelig und ſchweigſam zugleich,
lieben die Scholle, darauf ſie geboren, haben einen Anflug von
Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt,
aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter
der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von
einer phantaſtiſchen Scharfſinnigkeit, haben ſie in den gewöhnlichen
Verhältniſſen des Lebens doch nichts von jener Bauernſchlauheit,
die ſprüchwörtlich geworden iſt. Das Feld ihres Geiſtes, überhaupt
von beſcheidner Tragkraft, iſt von der Phantaſie überwuchert, und
ſo gleichen ſie einem Ackerfeld, das zu ſchwach iſt, um ernſte und
ſolide Frucht zu tragen, aber dem ſchönen Unkraut Platz gönnend,
deſto üppiger in rothen und blauen Blumen ſteht.

So iſt auch unſer Führer und Fuhrmann, deſſen Einſpänner
vor uns auf dem Poſthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu-
nehmen haben, ſind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0320" n="308"/>
einem jener Cicerones, die den Po&#x017F;thof zu um&#x017F;tehen pflegen, ver-<lb/>
traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor<lb/>
dem Hereinbrechen voll&#x017F;tändiger Dunkelheit den Schloßberg zu<lb/>
&#x017F;ehen wün&#x017F;chten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen,<lb/>
wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin<lb/>
mehrere Aemter cumuliren, minde&#x017F;tens aber die Metiers des Füh-<lb/>
rers und des Fuhrmanns zu&#x017F;ammenzutreffen pflegen, &#x017F;o i&#x017F;t die<lb/>
Antwort &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich und nach einer halben Stunde rollt ein<lb/>
Ein&#x017F;pänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens<lb/>
zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinter&#x017F;itz i&#x017F;t leer, auf dem<lb/>
Vorder&#x017F;itz befindet &#x017F;ich un&#x017F;er Führer &#x017F;elb&#x017F;t, nunmehr als Kut&#x017F;cher,<lb/>
und knip&#x017F;t mit der Peit&#x017F;che, um &#x017F;ich in &#x017F;einem neuen Amte zu<lb/>
beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine<lb/>
&#x017F;chwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über &#x017F;ein Ge&#x017F;icht fällt.<lb/>
Was auf den er&#x017F;ten Blick überra&#x017F;cht, i&#x017F;t das, daß er nicht raucht.<lb/>
Aber freilich jene eigenthümliche Kla&#x017F;&#x017F;e von Per&#x017F;onen, der er zu-<lb/>
gehört, und deren es in jedem Dorfe minde&#x017F;tens einen giebt (auch<lb/>
in kleinen Acker&#x017F;tädten kommen &#x017F;ie vor), raucht nie. Es &#x017F;ind dies die<lb/>
Träger der Volkspoe&#x017F;ie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des<lb/>
Nordens. Sie &#x017F;ind gutgeartet, red&#x017F;elig und &#x017F;chweig&#x017F;am zugleich,<lb/>
lieben die Scholle, darauf &#x017F;ie geboren, haben einen Anflug von<lb/>
Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt,<lb/>
aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter<lb/>
der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von<lb/>
einer phanta&#x017F;ti&#x017F;chen Scharf&#x017F;innigkeit, haben &#x017F;ie in den gewöhnlichen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en des Lebens doch nichts von jener Bauern&#x017F;chlauheit,<lb/>
die &#x017F;prüchwörtlich geworden i&#x017F;t. Das Feld ihres Gei&#x017F;tes, überhaupt<lb/>
von be&#x017F;cheidner Tragkraft, i&#x017F;t von der Phanta&#x017F;ie überwuchert, und<lb/>
&#x017F;o gleichen &#x017F;ie einem Ackerfeld, das zu &#x017F;chwach i&#x017F;t, um ern&#x017F;te und<lb/>
&#x017F;olide Frucht zu tragen, aber dem &#x017F;chönen Unkraut Platz gönnend,<lb/>
de&#x017F;to üppiger in rothen und blauen Blumen &#x017F;teht.</p><lb/>
        <p>So i&#x017F;t auch un&#x017F;er Führer und Fuhrmann, de&#x017F;&#x017F;en Ein&#x017F;pänner<lb/>
vor uns auf dem Po&#x017F;thof hält. Ueber den Platz, den wir einzu-<lb/>
nehmen haben, &#x017F;ind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0320] einem jener Cicerones, die den Poſthof zu umſtehen pflegen, ver- traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem Hereinbrechen vollſtändiger Dunkelheit den Schloßberg zu ſehen wünſchten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen, wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin mehrere Aemter cumuliren, mindeſtens aber die Metiers des Füh- rers und des Fuhrmanns zuſammenzutreffen pflegen, ſo iſt die Antwort ſelbſtverſtändlich und nach einer halben Stunde rollt ein Einſpänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinterſitz iſt leer, auf dem Vorderſitz befindet ſich unſer Führer ſelbſt, nunmehr als Kutſcher, und knipſt mit der Peitſche, um ſich in ſeinem neuen Amte zu beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine ſchwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über ſein Geſicht fällt. Was auf den erſten Blick überraſcht, iſt das, daß er nicht raucht. Aber freilich jene eigenthümliche Klaſſe von Perſonen, der er zu- gehört, und deren es in jedem Dorfe mindeſtens einen giebt (auch in kleinen Ackerſtädten kommen ſie vor), raucht nie. Es ſind dies die Träger der Volkspoeſie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie ſind gutgeartet, redſelig und ſchweigſam zugleich, lieben die Scholle, darauf ſie geboren, haben einen Anflug von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von einer phantaſtiſchen Scharfſinnigkeit, haben ſie in den gewöhnlichen Verhältniſſen des Lebens doch nichts von jener Bauernſchlauheit, die ſprüchwörtlich geworden iſt. Das Feld ihres Geiſtes, überhaupt von beſcheidner Tragkraft, iſt von der Phantaſie überwuchert, und ſo gleichen ſie einem Ackerfeld, das zu ſchwach iſt, um ernſte und ſolide Frucht zu tragen, aber dem ſchönen Unkraut Platz gönnend, deſto üppiger in rothen und blauen Blumen ſteht. So iſt auch unſer Führer und Fuhrmann, deſſen Einſpänner vor uns auf dem Poſthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu- nehmen haben, ſind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/320
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/320>, abgerufen am 26.11.2024.