einem jener Cicerones, die den Posthof zu umstehen pflegen, ver- traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem Hereinbrechen vollständiger Dunkelheit den Schloßberg zu sehen wünschten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen, wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin mehrere Aemter cumuliren, mindestens aber die Metiers des Füh- rers und des Fuhrmanns zusammenzutreffen pflegen, so ist die Antwort selbstverständlich und nach einer halben Stunde rollt ein Einspänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hintersitz ist leer, auf dem Vordersitz befindet sich unser Führer selbst, nunmehr als Kutscher, und knipst mit der Peitsche, um sich in seinem neuen Amte zu beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine schwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über sein Gesicht fällt. Was auf den ersten Blick überrascht, ist das, daß er nicht raucht. Aber freilich jene eigenthümliche Klasse von Personen, der er zu- gehört, und deren es in jedem Dorfe mindestens einen giebt (auch in kleinen Ackerstädten kommen sie vor), raucht nie. Es sind dies die Träger der Volkspoesie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie sind gutgeartet, redselig und schweigsam zugleich, lieben die Scholle, darauf sie geboren, haben einen Anflug von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von einer phantastischen Scharfsinnigkeit, haben sie in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens doch nichts von jener Bauernschlauheit, die sprüchwörtlich geworden ist. Das Feld ihres Geistes, überhaupt von bescheidner Tragkraft, ist von der Phantasie überwuchert, und so gleichen sie einem Ackerfeld, das zu schwach ist, um ernste und solide Frucht zu tragen, aber dem schönen Unkraut Platz gönnend, desto üppiger in rothen und blauen Blumen steht.
So ist auch unser Führer und Fuhrmann, dessen Einspänner vor uns auf dem Posthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu- nehmen haben, sind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-
einem jener Cicerones, die den Poſthof zu umſtehen pflegen, ver- traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem Hereinbrechen vollſtändiger Dunkelheit den Schloßberg zu ſehen wünſchten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen, wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin mehrere Aemter cumuliren, mindeſtens aber die Metiers des Füh- rers und des Fuhrmanns zuſammenzutreffen pflegen, ſo iſt die Antwort ſelbſtverſtändlich und nach einer halben Stunde rollt ein Einſpänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinterſitz iſt leer, auf dem Vorderſitz befindet ſich unſer Führer ſelbſt, nunmehr als Kutſcher, und knipſt mit der Peitſche, um ſich in ſeinem neuen Amte zu beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine ſchwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über ſein Geſicht fällt. Was auf den erſten Blick überraſcht, iſt das, daß er nicht raucht. Aber freilich jene eigenthümliche Klaſſe von Perſonen, der er zu- gehört, und deren es in jedem Dorfe mindeſtens einen giebt (auch in kleinen Ackerſtädten kommen ſie vor), raucht nie. Es ſind dies die Träger der Volkspoeſie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie ſind gutgeartet, redſelig und ſchweigſam zugleich, lieben die Scholle, darauf ſie geboren, haben einen Anflug von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von einer phantaſtiſchen Scharfſinnigkeit, haben ſie in den gewöhnlichen Verhältniſſen des Lebens doch nichts von jener Bauernſchlauheit, die ſprüchwörtlich geworden iſt. Das Feld ihres Geiſtes, überhaupt von beſcheidner Tragkraft, iſt von der Phantaſie überwuchert, und ſo gleichen ſie einem Ackerfeld, das zu ſchwach iſt, um ernſte und ſolide Frucht zu tragen, aber dem ſchönen Unkraut Platz gönnend, deſto üppiger in rothen und blauen Blumen ſteht.
So iſt auch unſer Führer und Fuhrmann, deſſen Einſpänner vor uns auf dem Poſthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu- nehmen haben, ſind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über-
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einem jener Cicerones, die den Poſthof zu umſtehen pflegen, ver-
traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor
dem Hereinbrechen vollſtändiger Dunkelheit den Schloßberg zu
ſehen wünſchten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen,
wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin
mehrere Aemter cumuliren, mindeſtens aber die Metiers des Füh-
rers und des Fuhrmanns zuſammenzutreffen pflegen, ſo iſt die
Antwort ſelbſtverſtändlich und nach einer halben Stunde rollt ein
Einſpänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens
zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinterſitz iſt leer, auf dem
Vorderſitz befindet ſich unſer Führer ſelbſt, nunmehr als Kutſcher,
und knipſt mit der Peitſche, um ſich in ſeinem neuen Amte zu
beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine
ſchwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über ſein Geſicht fällt.
Was auf den erſten Blick überraſcht, iſt das, daß er nicht raucht.
Aber freilich jene eigenthümliche Klaſſe von Perſonen, der er zu-
gehört, und deren es in jedem Dorfe mindeſtens einen giebt (auch
in kleinen Ackerſtädten kommen ſie vor), raucht nie. Es ſind dies die
Träger der Volkspoeſie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des
Nordens. Sie ſind gutgeartet, redſelig und ſchweigſam zugleich,
lieben die Scholle, darauf ſie geboren, haben einen Anflug von
Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt,
aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter
der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von
einer phantaſtiſchen Scharfſinnigkeit, haben ſie in den gewöhnlichen
Verhältniſſen des Lebens doch nichts von jener Bauernſchlauheit,
die ſprüchwörtlich geworden iſt. Das Feld ihres Geiſtes, überhaupt
von beſcheidner Tragkraft, iſt von der Phantaſie überwuchert, und
ſo gleichen ſie einem Ackerfeld, das zu ſchwach iſt, um ernſte und
ſolide Frucht zu tragen, aber dem ſchönen Unkraut Platz gönnend,
deſto üppiger in rothen und blauen Blumen ſteht.
So iſt auch unſer Führer und Fuhrmann, deſſen Einſpänner
vor uns auf dem Poſthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/320>, abgerufen am 26.11.2024.
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