wissen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer- den, in eine sagenhafte und eine historische Zeit. Die histo- rische Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be- ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber die Frage bleibt ungelöst (wenigstens von der Geschichte): wie ka- men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Lösung dieser Frage unterzieht sich ausschließlich die Sage, ja sie geht noch einen Schritt weiter und beantwortet, ohne historische Skrupel, zugleich die Frage nach dem eigentlichen Ursprung des Geschlechts.
Die Sage, selbstverständlich, schwankt in ihren Angaben über diesen Punkt und führt in ihrer einen Version den Ursprung des Geschlechts auf die märkischen Jagows, in der andern Ver- sion auf die pommerschen Wedells zurück, auf die Wedells, deren einer (so erzählt sie) seinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit- ten in der Schlacht an den brandenburgischen Markgrafen ver- rieth, und für diesen Verrath mit Freienwalde belohnt und be- lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, son- dern aus Zorn und Rache.
Die andre, die Jagow-Version, hat einen einschmeichelnderen Klang und sei darum an dieser Stelle in Kürze erzählt. Hennig von Jagow ("klein an Gestalt, aber hoch an Gemüth", wie es von ihm heißt,) nachdem er sich, verdient oder unverdient, die Un- gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver- bannt worden. Ein Preis stand auf seinen Kopf. Jagow indessen, unwillig, das Land zu verlassen, daran er hing, zog sich, bis an die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die Ostgrenze des markgräflichen Besitzes bildeten, also aller Wahr- scheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge- gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgestoßnen, das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber sicher im Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr, voll Uebermuth, Raub und Poesie, genau so, wie uns alte Bal- laden und Volksgesänge das Leben des Robin Hood, dieses un- erreichten Vorbilds poetischen Wald- und Räuberlebens, geschildert
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wiſſen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer- den, in eine ſagenhafte und eine hiſtoriſche Zeit. Die hiſto- riſche Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be- ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber die Frage bleibt ungelöſt (wenigſtens von der Geſchichte): wie ka- men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Löſung dieſer Frage unterzieht ſich ausſchließlich die Sage, ja ſie geht noch einen Schritt weiter und beantwortet, ohne hiſtoriſche Skrupel, zugleich die Frage nach dem eigentlichen Urſprung des Geſchlechts.
Die Sage, ſelbſtverſtändlich, ſchwankt in ihren Angaben über dieſen Punkt und führt in ihrer einen Verſion den Urſprung des Geſchlechts auf die märkiſchen Jagows, in der andern Ver- ſion auf die pommerſchen Wedells zurück, auf die Wedells, deren einer (ſo erzählt ſie) ſeinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit- ten in der Schlacht an den brandenburgiſchen Markgrafen ver- rieth, und für dieſen Verrath mit Freienwalde belohnt und be- lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, ſon- dern aus Zorn und Rache.
Die andre, die Jagow-Verſion, hat einen einſchmeichelnderen Klang und ſei darum an dieſer Stelle in Kürze erzählt. Hennig von Jagow („klein an Geſtalt, aber hoch an Gemüth“, wie es von ihm heißt,) nachdem er ſich, verdient oder unverdient, die Un- gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver- bannt worden. Ein Preis ſtand auf ſeinen Kopf. Jagow indeſſen, unwillig, das Land zu verlaſſen, daran er hing, zog ſich, bis an die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die Oſtgrenze des markgräflichen Beſitzes bildeten, alſo aller Wahr- ſcheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge- gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgeſtoßnen, das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber ſicher im Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr, voll Uebermuth, Raub und Poeſie, genau ſo, wie uns alte Bal- laden und Volksgeſänge das Leben des Robin Hood, dieſes un- erreichten Vorbilds poetiſchen Wald- und Räuberlebens, geſchildert
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wiſſen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer-
den, in eine ſagenhafte und eine hiſtoriſche Zeit. Die hiſto-
riſche Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be-
ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber
die Frage bleibt ungelöſt (wenigſtens von der Geſchichte): wie ka-
men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Löſung dieſer
Frage unterzieht ſich ausſchließlich die Sage, ja ſie geht noch einen
Schritt weiter und beantwortet, ohne hiſtoriſche Skrupel, zugleich
die Frage nach dem eigentlichen Urſprung des Geſchlechts.
Die Sage, ſelbſtverſtändlich, ſchwankt in ihren Angaben über
dieſen Punkt und führt in ihrer einen Verſion den Urſprung
des Geſchlechts auf die märkiſchen Jagows, in der andern Ver-
ſion auf die pommerſchen Wedells zurück, auf die Wedells, deren
einer (ſo erzählt ſie) ſeinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit-
ten in der Schlacht an den brandenburgiſchen Markgrafen ver-
rieth, und für dieſen Verrath mit Freienwalde belohnt und be-
lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, ſon-
dern aus Zorn und Rache.
Die andre, die Jagow-Verſion, hat einen einſchmeichelnderen
Klang und ſei darum an dieſer Stelle in Kürze erzählt. Hennig
von Jagow („klein an Geſtalt, aber hoch an Gemüth“, wie es
von ihm heißt,) nachdem er ſich, verdient oder unverdient, die Un-
gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver-
bannt worden. Ein Preis ſtand auf ſeinen Kopf. Jagow indeſſen,
unwillig, das Land zu verlaſſen, daran er hing, zog ſich, bis an
die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die
Oſtgrenze des markgräflichen Beſitzes bildeten, alſo aller Wahr-
ſcheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge-
gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgeſtoßnen,
das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber ſicher im
Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr,
voll Uebermuth, Raub und Poeſie, genau ſo, wie uns alte Bal-
laden und Volksgeſänge das Leben des Robin Hood, dieſes un-
erreichten Vorbilds poetiſchen Wald- und Räuberlebens, geſchildert
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/317>, abgerufen am 22.11.2024.
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