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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Rom, Neapel, Messina und Syracus, erschien im September 1662
vor dem Großmeister des Malteser Ordens auf Malta, bat um die
gern gewährte Ehre, einen Streifzug gegen die Ungläubigen mit-
machen zu dürfen, wandte sich dann nach glücklicher Rückkehr von
Malta nach Spanien, von Spanien nach England und kehrte über
Amsterdam und Hamburg, nach einer fünfjährigen Abwesenheit, in
die märkische Heimath zurück. "Er betrat sie wieder, nachdem er
-- wie sein Biograph sich ausdrückt -- alles gesehen hatte, was
es damals Großes und Ausgezeichnetes in Europa gab: den üppi-
gen Hof des prachtliebendsten Königs, die Kunstschätze Italiens,
den Glanz der Fastnachtsspiele in Venedig, das ritterliche Treiben
auf Malta, den Hof der Dorias, die Grandezza Spaniens und
die junge Freiheit der Niederlande." Gleich nach seiner Rückkehr
starb sein Vater (1665) und kaum 24 Jahr alt wurde Hans Adam
Besitzer von Tamsel.

Ich habe bei Aufzählung der Höfe und Hauptstädte, die er
während eines Zeitraums von fünf Jahren besuchte, absichtlich
länger verweilt, um daran einige Betrachtungen über die Erziehung
junger Edelleute von damals und von heute zu knüpfen. Wir sind
nur allzusehr geneigt, unsere jetzige Erziehungsmethode als etwas
vergleichsweise ungemein Vorgeschrittenes und Zweckentsprechendes
anzusehen, und doch möchte sich die Frage aufwerfen lassen: wie
viel Familien haben wir zur Zeit im Brandenburgischen, die ge-
neigt sein möchten, einen derartigen "Cursus", eine fünfjährige
Tour durch Europa, lediglich an die weltmännische Ausbildung
ihrer Söhne zu setzen? Damals war ein derartiges "die hohe
Schule Beziehen" so allgemein, daß, um nur Ein Beispiel zu ge-
ben, unser Hans Adam seinen Pariser Aufenthalt mit einem
Aufenthalt in Orleans vertauschen mußte, "weil", wie er nach
Hause schrieb, "die Anwesenheit so vieler Deutschen in Paris, ihm
an völliger Erlernung der französischen Sprache hinderlich sei".

Seit hundert Jahren ist bei uns "die Armee" die hohe
Schule für die Söhne unserer alten Familien geworden, und so
unleugbar der große politische und nationale Fortschritt ist, der in

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Rom, Neapel, Meſſina und Syracus, erſchien im September 1662
vor dem Großmeiſter des Malteſer Ordens auf Malta, bat um die
gern gewährte Ehre, einen Streifzug gegen die Ungläubigen mit-
machen zu dürfen, wandte ſich dann nach glücklicher Rückkehr von
Malta nach Spanien, von Spanien nach England und kehrte über
Amſterdam und Hamburg, nach einer fünfjährigen Abweſenheit, in
die märkiſche Heimath zurück. „Er betrat ſie wieder, nachdem er
— wie ſein Biograph ſich ausdrückt — alles geſehen hatte, was
es damals Großes und Ausgezeichnetes in Europa gab: den üppi-
gen Hof des prachtliebendſten Königs, die Kunſtſchätze Italiens,
den Glanz der Faſtnachtsſpiele in Venedig, das ritterliche Treiben
auf Malta, den Hof der Dorias, die Grandezza Spaniens und
die junge Freiheit der Niederlande.“ Gleich nach ſeiner Rückkehr
ſtarb ſein Vater (1665) und kaum 24 Jahr alt wurde Hans Adam
Beſitzer von Tamſel.

Ich habe bei Aufzählung der Höfe und Hauptſtädte, die er
während eines Zeitraums von fünf Jahren beſuchte, abſichtlich
länger verweilt, um daran einige Betrachtungen über die Erziehung
junger Edelleute von damals und von heute zu knüpfen. Wir ſind
nur allzuſehr geneigt, unſere jetzige Erziehungsmethode als etwas
vergleichsweiſe ungemein Vorgeſchrittenes und Zweckentſprechendes
anzuſehen, und doch möchte ſich die Frage aufwerfen laſſen: wie
viel Familien haben wir zur Zeit im Brandenburgiſchen, die ge-
neigt ſein möchten, einen derartigen „Curſus“, eine fünfjährige
Tour durch Europa, lediglich an die weltmänniſche Ausbildung
ihrer Söhne zu ſetzen? Damals war ein derartiges „die hohe
Schule Beziehen“ ſo allgemein, daß, um nur Ein Beiſpiel zu ge-
ben, unſer Hans Adam ſeinen Pariſer Aufenthalt mit einem
Aufenthalt in Orleans vertauſchen mußte, „weil“, wie er nach
Hauſe ſchrieb, „die Anweſenheit ſo vieler Deutſchen in Paris, ihm
an völliger Erlernung der franzöſiſchen Sprache hinderlich ſei“.

Seit hundert Jahren iſt bei uns „die Armee“ die hohe
Schule für die Söhne unſerer alten Familien geworden, und ſo
unleugbar der große politiſche und nationale Fortſchritt iſt, der in

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[19/0031] Rom, Neapel, Meſſina und Syracus, erſchien im September 1662 vor dem Großmeiſter des Malteſer Ordens auf Malta, bat um die gern gewährte Ehre, einen Streifzug gegen die Ungläubigen mit- machen zu dürfen, wandte ſich dann nach glücklicher Rückkehr von Malta nach Spanien, von Spanien nach England und kehrte über Amſterdam und Hamburg, nach einer fünfjährigen Abweſenheit, in die märkiſche Heimath zurück. „Er betrat ſie wieder, nachdem er — wie ſein Biograph ſich ausdrückt — alles geſehen hatte, was es damals Großes und Ausgezeichnetes in Europa gab: den üppi- gen Hof des prachtliebendſten Königs, die Kunſtſchätze Italiens, den Glanz der Faſtnachtsſpiele in Venedig, das ritterliche Treiben auf Malta, den Hof der Dorias, die Grandezza Spaniens und die junge Freiheit der Niederlande.“ Gleich nach ſeiner Rückkehr ſtarb ſein Vater (1665) und kaum 24 Jahr alt wurde Hans Adam Beſitzer von Tamſel. Ich habe bei Aufzählung der Höfe und Hauptſtädte, die er während eines Zeitraums von fünf Jahren beſuchte, abſichtlich länger verweilt, um daran einige Betrachtungen über die Erziehung junger Edelleute von damals und von heute zu knüpfen. Wir ſind nur allzuſehr geneigt, unſere jetzige Erziehungsmethode als etwas vergleichsweiſe ungemein Vorgeſchrittenes und Zweckentſprechendes anzuſehen, und doch möchte ſich die Frage aufwerfen laſſen: wie viel Familien haben wir zur Zeit im Brandenburgiſchen, die ge- neigt ſein möchten, einen derartigen „Curſus“, eine fünfjährige Tour durch Europa, lediglich an die weltmänniſche Ausbildung ihrer Söhne zu ſetzen? Damals war ein derartiges „die hohe Schule Beziehen“ ſo allgemein, daß, um nur Ein Beiſpiel zu ge- ben, unſer Hans Adam ſeinen Pariſer Aufenthalt mit einem Aufenthalt in Orleans vertauſchen mußte, „weil“, wie er nach Hauſe ſchrieb, „die Anweſenheit ſo vieler Deutſchen in Paris, ihm an völliger Erlernung der franzöſiſchen Sprache hinderlich ſei“. Seit hundert Jahren iſt bei uns „die Armee“ die hohe Schule für die Söhne unſerer alten Familien geworden, und ſo unleugbar der große politiſche und nationale Fortſchritt iſt, der in 2*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/31>, abgerufen am 26.04.2024.