Styls und wir treten guten Muthes ein. Eine Thürklingel -- nicht eine von den geräuschvollen, die, einmal in Bewegung gesetzt, wie ein bellender Dorfspitz, gar kein Ende finden können, sondern eine von den leisen, wohlerzogenen -- kündigt unser Eintreten an und eh wir uns noch in dem Halbdunkel (für das die draußen- stehenden drei Linden sorgen) zurecht gefunden haben, erscheint aus der Werkstatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades hörten, ein stattlicher Mann, hemdsärmlich, im Arbeits-Kostüm und sieht uns freundlich fragend an. Er ist ein Vierziger, brünett, groß, breitschultrig, seiner ganzen Erscheinung nach von südslawi- schem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Sereschaner-Hauptmann, als ein Drechslermeister oder Poet. Nichtsdestoweniger ist er beides und in dem friedliebendsten Dialekt der Welt, im reinen Hallensisch, fragt er nach unsrem Begehr.
Wir reichen ihm die Hand, sagen ihm, daß wir, als gelegent- lich Versbeflissene, gekommen wären, "um das Handwerk zu grü- ßen" und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend mit ihm draußen im Freien zu verplaudern.
Unser Poet schlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt ohnehin an Feierabend und sich auf Minuten bei uns entschuldi- gend, führt er uns zunächst in das nebenan gelegene Zimmer, das, mit seinen geschmückten Wänden, die Honneurs des Hauses macht.
Wir benutzen diese Pause, uns in dem Putz- und Empfangs- zimmer neugierig umzusehen und sind überrascht von der Sinnig- keit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus ist, so ist dies das Poetenstübchen. Blumen und Bilder wechseln unter einander ab; Geranium und Primel blicken schüchtern zu einer Flora auf, Epheutöpfe spannen ihren grünen Bogen über Schrank und Spiegel und zwischen allermodernste Farbendrucke drängen sich, in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzösische Stiche: "Vue des Environs de Saverne; dedie a Madame la Marquise de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire." Das scheint nicht zu einander zu passen, aber es paßt alles sehr gut. Was unsere mo- dernen Zimmereinrichtungen so langweilig macht, das ist das
Styls und wir treten guten Muthes ein. Eine Thürklingel — nicht eine von den geräuſchvollen, die, einmal in Bewegung geſetzt, wie ein bellender Dorfſpitz, gar kein Ende finden können, ſondern eine von den leiſen, wohlerzogenen — kündigt unſer Eintreten an und eh wir uns noch in dem Halbdunkel (für das die draußen- ſtehenden drei Linden ſorgen) zurecht gefunden haben, erſcheint aus der Werkſtatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades hörten, ein ſtattlicher Mann, hemdsärmlich, im Arbeits-Koſtüm und ſieht uns freundlich fragend an. Er iſt ein Vierziger, brünett, groß, breitſchultrig, ſeiner ganzen Erſcheinung nach von ſüdſlawi- ſchem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Sereſchaner-Hauptmann, als ein Drechslermeiſter oder Poet. Nichtsdeſtoweniger iſt er beides und in dem friedliebendſten Dialekt der Welt, im reinen Hallenſiſch, fragt er nach unſrem Begehr.
Wir reichen ihm die Hand, ſagen ihm, daß wir, als gelegent- lich Versbefliſſene, gekommen wären, „um das Handwerk zu grü- ßen“ und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend mit ihm draußen im Freien zu verplaudern.
Unſer Poet ſchlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt ohnehin an Feierabend und ſich auf Minuten bei uns entſchuldi- gend, führt er uns zunächſt in das nebenan gelegene Zimmer, das, mit ſeinen geſchmückten Wänden, die Honneurs des Hauſes macht.
Wir benutzen dieſe Pauſe, uns in dem Putz- und Empfangs- zimmer neugierig umzuſehen und ſind überraſcht von der Sinnig- keit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus iſt, ſo iſt dies das Poetenſtübchen. Blumen und Bilder wechſeln unter einander ab; Geranium und Primel blicken ſchüchtern zu einer Flora auf, Epheutöpfe ſpannen ihren grünen Bogen über Schrank und Spiegel und zwiſchen allermodernſte Farbendrucke drängen ſich, in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzöſiſche Stiche: „Vue des Environs de Saverne; dedié à Madame la Marquise de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire.“ Das ſcheint nicht zu einander zu paſſen, aber es paßt alles ſehr gut. Was unſere mo- dernen Zimmereinrichtungen ſo langweilig macht, das iſt das
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Styls und wir treten guten Muthes ein. Eine Thürklingel —
nicht eine von den geräuſchvollen, die, einmal in Bewegung geſetzt,
wie ein bellender Dorfſpitz, gar kein Ende finden können, ſondern
eine von den leiſen, wohlerzogenen — kündigt unſer Eintreten an
und eh wir uns noch in dem Halbdunkel (für das die draußen-
ſtehenden drei Linden ſorgen) zurecht gefunden haben, erſcheint aus
der Werkſtatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades
hörten, ein ſtattlicher Mann, hemdsärmlich, im Arbeits-Koſtüm
und ſieht uns freundlich fragend an. Er iſt ein Vierziger, brünett,
groß, breitſchultrig, ſeiner ganzen Erſcheinung nach von ſüdſlawi-
ſchem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher
ein Sereſchaner-Hauptmann, als ein Drechslermeiſter oder Poet.
Nichtsdeſtoweniger iſt er beides und in dem friedliebendſten Dialekt
der Welt, im reinen Hallenſiſch, fragt er nach unſrem Begehr.
Wir reichen ihm die Hand, ſagen ihm, daß wir, als gelegent-
lich Versbefliſſene, gekommen wären, „um das Handwerk zu grü-
ßen“ und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend
mit ihm draußen im Freien zu verplaudern.
Unſer Poet ſchlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt
ohnehin an Feierabend und ſich auf Minuten bei uns entſchuldi-
gend, führt er uns zunächſt in das nebenan gelegene Zimmer, das,
mit ſeinen geſchmückten Wänden, die Honneurs des Hauſes macht.
Wir benutzen dieſe Pauſe, uns in dem Putz- und Empfangs-
zimmer neugierig umzuſehen und ſind überraſcht von der Sinnig-
keit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus iſt,
ſo iſt dies das Poetenſtübchen. Blumen und Bilder wechſeln unter
einander ab; Geranium und Primel blicken ſchüchtern zu einer
Flora auf, Epheutöpfe ſpannen ihren grünen Bogen über Schrank
und Spiegel und zwiſchen allermodernſte Farbendrucke drängen ſich,
in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzöſiſche Stiche: „Vue
des Environs de Saverne; dedié à Madame la Marquise
de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire.“ Das ſcheint nicht zu
einander zu paſſen, aber es paßt alles ſehr gut. Was unſere mo-
dernen Zimmereinrichtungen ſo langweilig macht, das iſt das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/308>, abgerufen am 22.11.2024.
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