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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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ist als eine etwas erweiterte Thal-Schlucht, ein Kessel, zu dem sich
der Weg verhält, wie eine schmale Straße zu einem breiten Platz,
auf den sie mündet.

Es ist ein September-Nachmittag. An Linden und Sommer-
häusern, zuletzt an der reizend gelegenen Papenmühle vorbei, über
deren stillen Teich die Schwäne ziehn, haben wir unsern Gang
von der Stadt aus gemacht und sind nun eingetreten in das stille
Thal, das den Namen des Freienwalder Gesundbrunnens führt.
Die Saison ist schon vorüber; aber die Quellen sprudeln weiter
und die Nachmittagssonne steht ruhig über dem Thal und wärmt
mit ihren Strahlen die schon herbstesfrische Luft. Ein Kellner, der
die traurige Verpflichtung hat, seine Zeit hier "abzustehen", bis
die de facto bereits beendigte Saison auch de jure geschlossen
ist, begrüßt uns, wie der Gefangene den Schmetterling begrüßt,
der an seinem Fenster vorüberfliegt -- ein bloßer Passant, aber
doch immerhin ein Gast. Ohne jegliches Verstimmtsein entreißt sich
der an dem Pfeiler Lehnende seinem wachen Traum, der ihn
(wir glauben nicht zu irren) so eben an die minder poetischen,
aber vergnüglicheren Ufer der Spree getragen hatte, in große
Säle mit Gaskandelaber und Spiegelscheiben, mit Palmenkübeln
und schmetternder Musik.

Wir erschienen ihm wohl wie Boten aus diesem Land seiner
Sehnsucht. Jedenfalls ließ seine Willfährigkeit nichts zu wünschen
übrig und gemeinschaftlich anfassend, wurde an der sonnigsten
Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne Zwang und Mühe arran-
girt. Die Zusammensetzung erfolgte aus den üblichen Requisiten:
einem weißgestrichenen Tisch mit einem Riß in der Mitte und
einem Stuhl mit schräg stehender Lehne. Schräg, vom Kippeln.

Der Kaffee kam; die Sonne labte uns, alles war heiter, er-
quicklich; nur eines ging wie ein Schattenstrich durch dies Bild
voll Licht und Labe: der Kellner stand wie angewurzelt an unsrem
Tisch. Ich hätt' ihn wegschicken können, aber auch das erschien
mir unthunlich. Es war ersichtlich, er sehnte sich nach dem süßen
Laut menschlicher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewissern

iſt als eine etwas erweiterte Thal-Schlucht, ein Keſſel, zu dem ſich
der Weg verhält, wie eine ſchmale Straße zu einem breiten Platz,
auf den ſie mündet.

Es iſt ein September-Nachmittag. An Linden und Sommer-
häuſern, zuletzt an der reizend gelegenen Papenmühle vorbei, über
deren ſtillen Teich die Schwäne ziehn, haben wir unſern Gang
von der Stadt aus gemacht und ſind nun eingetreten in das ſtille
Thal, das den Namen des Freienwalder Geſundbrunnens führt.
Die Saiſon iſt ſchon vorüber; aber die Quellen ſprudeln weiter
und die Nachmittagsſonne ſteht ruhig über dem Thal und wärmt
mit ihren Strahlen die ſchon herbſtesfriſche Luft. Ein Kellner, der
die traurige Verpflichtung hat, ſeine Zeit hier „abzuſtehen“, bis
die de facto bereits beendigte Saiſon auch de jure geſchloſſen
iſt, begrüßt uns, wie der Gefangene den Schmetterling begrüßt,
der an ſeinem Fenſter vorüberfliegt — ein bloßer Paſſant, aber
doch immerhin ein Gaſt. Ohne jegliches Verſtimmtſein entreißt ſich
der an dem Pfeiler Lehnende ſeinem wachen Traum, der ihn
(wir glauben nicht zu irren) ſo eben an die minder poetiſchen,
aber vergnüglicheren Ufer der Spree getragen hatte, in große
Säle mit Gaskandelaber und Spiegelſcheiben, mit Palmenkübeln
und ſchmetternder Muſik.

Wir erſchienen ihm wohl wie Boten aus dieſem Land ſeiner
Sehnſucht. Jedenfalls ließ ſeine Willfährigkeit nichts zu wünſchen
übrig und gemeinſchaftlich anfaſſend, wurde an der ſonnigſten
Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne Zwang und Mühe arran-
girt. Die Zuſammenſetzung erfolgte aus den üblichen Requiſiten:
einem weißgeſtrichenen Tiſch mit einem Riß in der Mitte und
einem Stuhl mit ſchräg ſtehender Lehne. Schräg, vom Kippeln.

Der Kaffee kam; die Sonne labte uns, alles war heiter, er-
quicklich; nur eines ging wie ein Schattenſtrich durch dies Bild
voll Licht und Labe: der Kellner ſtand wie angewurzelt an unſrem
Tiſch. Ich hätt’ ihn wegſchicken können, aber auch das erſchien
mir unthunlich. Es war erſichtlich, er ſehnte ſich nach dem ſüßen
Laut menſchlicher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewiſſern

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[282/0294] iſt als eine etwas erweiterte Thal-Schlucht, ein Keſſel, zu dem ſich der Weg verhält, wie eine ſchmale Straße zu einem breiten Platz, auf den ſie mündet. Es iſt ein September-Nachmittag. An Linden und Sommer- häuſern, zuletzt an der reizend gelegenen Papenmühle vorbei, über deren ſtillen Teich die Schwäne ziehn, haben wir unſern Gang von der Stadt aus gemacht und ſind nun eingetreten in das ſtille Thal, das den Namen des Freienwalder Geſundbrunnens führt. Die Saiſon iſt ſchon vorüber; aber die Quellen ſprudeln weiter und die Nachmittagsſonne ſteht ruhig über dem Thal und wärmt mit ihren Strahlen die ſchon herbſtesfriſche Luft. Ein Kellner, der die traurige Verpflichtung hat, ſeine Zeit hier „abzuſtehen“, bis die de facto bereits beendigte Saiſon auch de jure geſchloſſen iſt, begrüßt uns, wie der Gefangene den Schmetterling begrüßt, der an ſeinem Fenſter vorüberfliegt — ein bloßer Paſſant, aber doch immerhin ein Gaſt. Ohne jegliches Verſtimmtſein entreißt ſich der an dem Pfeiler Lehnende ſeinem wachen Traum, der ihn (wir glauben nicht zu irren) ſo eben an die minder poetiſchen, aber vergnüglicheren Ufer der Spree getragen hatte, in große Säle mit Gaskandelaber und Spiegelſcheiben, mit Palmenkübeln und ſchmetternder Muſik. Wir erſchienen ihm wohl wie Boten aus dieſem Land ſeiner Sehnſucht. Jedenfalls ließ ſeine Willfährigkeit nichts zu wünſchen übrig und gemeinſchaftlich anfaſſend, wurde an der ſonnigſten Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne Zwang und Mühe arran- girt. Die Zuſammenſetzung erfolgte aus den üblichen Requiſiten: einem weißgeſtrichenen Tiſch mit einem Riß in der Mitte und einem Stuhl mit ſchräg ſtehender Lehne. Schräg, vom Kippeln. Der Kaffee kam; die Sonne labte uns, alles war heiter, er- quicklich; nur eines ging wie ein Schattenſtrich durch dies Bild voll Licht und Labe: der Kellner ſtand wie angewurzelt an unſrem Tiſch. Ich hätt’ ihn wegſchicken können, aber auch das erſchien mir unthunlich. Es war erſichtlich, er ſehnte ſich nach dem ſüßen Laut menſchlicher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewiſſern

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/294>, abgerufen am 22.11.2024.