Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger außerhalb der Saison, ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger, oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker, d. h. ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber miß- trauisch, eigensinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so hat er freilich Recht. Die Wirthschaft (d. h. seine Wiese) bleibt doch immer die Hauptsache, das Fun- dament seines Wohlstandes, und diese Wiese, dies Stück Bruch- land ist mit Abgaben überbürdet. "Die Verwallung, so hebt der Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das Wasser auf unsern Wiesen 11 Fuß hoch, und wir hatten eine unsichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unser Heu trocken herein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt, eine so hohe Ab- gabe oder Beisteuer zahlen, daß Mancher schon gedacht hat: ohne Deich war es besser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie "da oben" die Abgaben und die Beisteuer ungerecht vertheilen. Die Herren von der Regierung sagen: ""wir haben den Damm gebaut und das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem Wasser befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von wenig Wasser befreit haben, da wird auch nur wenig bezahlt."" Das klingt sehr schön und sehr gerecht, ist aber Unge- rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns stand das Wasser alle Frühjahr am höchsten, elf Fuß hoch und drüber, während es in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den besten und reichsten) nur einen Fuß hoch stand. Was geschieht nun? Wir müssen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf- fachen Wassermasse befreit. Aber überschwemmtes Land ist über- schwemmtes Land und es ist ganz gleich, ob das Wasser ein Fuß oder elf Fuß hoch auf Wiese und Acker gestanden hat."
So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungs-Laune angesehen, bis ich schließlich mich
Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger außerhalb der Saiſon, iſt ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger, oder der Falkenberger in der Saiſon. Der Winter-Falkenberger iſt ganz Märker, d. h. ein Norddeutſcher mit ſtarkem Beiſatz von wendiſchem Blut. Er iſt fleißig, ordentlich, ſtrebſam, aber miß- trauiſch, eigenſinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn ſelbſt darüber ſprechen, ſo hat er freilich Recht. Die Wirthſchaft (d. h. ſeine Wieſe) bleibt doch immer die Hauptſache, das Fun- dament ſeines Wohlſtandes, und dieſe Wieſe, dies Stück Bruch- land iſt mit Abgaben überbürdet. „Die Verwallung, ſo hebt der Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böſes. Sonſt ſtand das Waſſer auf unſern Wieſen 11 Fuß hoch, und wir hatten eine unſichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unſer Heu trocken herein, aber wir müſſen für den Deich, der uns ſchützt, eine ſo hohe Ab- gabe oder Beiſteuer zahlen, daß Mancher ſchon gedacht hat: ohne Deich war es beſſer. Unſer ganzes Unglück iſt, daß ſie „da oben“ die Abgaben und die Beiſteuer ungerecht vertheilen. Die Herren von der Regierung ſagen: „„wir haben den Damm gebaut und das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem Waſſer befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von wenig Waſſer befreit haben, da wird auch nur wenig bezahlt.““ Das klingt ſehr ſchön und ſehr gerecht, iſt aber Unge- rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns ſtand das Waſſer alle Frühjahr am höchſten, elf Fuß hoch und drüber, während es in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den beſten und reichſten) nur einen Fuß hoch ſtand. Was geſchieht nun? Wir müſſen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf- fachen Waſſermaſſe befreit. Aber überſchwemmtes Land iſt über- ſchwemmtes Land und es iſt ganz gleich, ob das Waſſer ein Fuß oder elf Fuß hoch auf Wieſe und Acker geſtanden hat.“
So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungs-Laune angeſehen, bis ich ſchließlich mich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0276"n="264"/><p>Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger <hirendition="#g">außerhalb</hi><lb/>
der Saiſon, iſt ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger,<lb/>
oder der Falkenberger in der Saiſon. Der Winter-Falkenberger<lb/>
iſt ganz Märker, d. h. ein Norddeutſcher mit ſtarkem Beiſatz von<lb/><hirendition="#g">wendiſchem</hi> Blut. Er iſt fleißig, ordentlich, ſtrebſam, aber miß-<lb/>
trauiſch, eigenſinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn<lb/>ſelbſt darüber ſprechen, ſo hat er freilich Recht. Die Wirthſchaft<lb/>
(d. h. ſeine Wieſe) bleibt doch immer die Hauptſache, das Fun-<lb/>
dament ſeines Wohlſtandes, und dieſe Wieſe, dies Stück Bruch-<lb/>
land iſt mit Abgaben überbürdet. „Die Verwallung, ſo hebt der<lb/>
Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel<lb/>
Böſes. Sonſt ſtand das Waſſer auf unſern Wieſen 11 Fuß hoch,<lb/>
und wir hatten eine unſichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt<lb/>
haben wir die Eindeichung und bringen unſer Heu trocken herein,<lb/>
aber wir müſſen für den Deich, der uns ſchützt, eine ſo hohe Ab-<lb/>
gabe oder Beiſteuer zahlen, daß Mancher ſchon gedacht hat: ohne<lb/>
Deich war es beſſer. Unſer ganzes Unglück iſt, daß ſie „da oben“<lb/>
die Abgaben und die Beiſteuer ungerecht vertheilen. Die Herren<lb/>
von der Regierung ſagen: „„wir haben den Damm gebaut und<lb/>
das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem<lb/>
Waſſer befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo<lb/>
wir es von wenig Waſſer befreit haben, da wird auch nur wenig<lb/>
bezahlt.““ Das klingt ſehr ſchön und ſehr gerecht, iſt aber Unge-<lb/>
rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns ſtand das Waſſer<lb/>
alle Frühjahr am höchſten, elf Fuß hoch und drüber, während es<lb/>
in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den beſten und<lb/>
reichſten) nur einen Fuß hoch ſtand. Was geſchieht nun? Wir<lb/>
müſſen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf-<lb/>
fachen Waſſermaſſe befreit. Aber überſchwemmtes Land iſt über-<lb/>ſchwemmtes Land und es iſt ganz gleich, ob das Waſſer ein Fuß<lb/>
oder elf Fuß hoch auf Wieſe und Acker geſtanden hat.“</p><lb/><p>So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles<lb/>
geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes<lb/>
oder gar einer Regierungs-Laune angeſehen, bis ich ſchließlich mich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[264/0276]
Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger außerhalb
der Saiſon, iſt ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger,
oder der Falkenberger in der Saiſon. Der Winter-Falkenberger
iſt ganz Märker, d. h. ein Norddeutſcher mit ſtarkem Beiſatz von
wendiſchem Blut. Er iſt fleißig, ordentlich, ſtrebſam, aber miß-
trauiſch, eigenſinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn
ſelbſt darüber ſprechen, ſo hat er freilich Recht. Die Wirthſchaft
(d. h. ſeine Wieſe) bleibt doch immer die Hauptſache, das Fun-
dament ſeines Wohlſtandes, und dieſe Wieſe, dies Stück Bruch-
land iſt mit Abgaben überbürdet. „Die Verwallung, ſo hebt der
Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel
Böſes. Sonſt ſtand das Waſſer auf unſern Wieſen 11 Fuß hoch,
und wir hatten eine unſichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt
haben wir die Eindeichung und bringen unſer Heu trocken herein,
aber wir müſſen für den Deich, der uns ſchützt, eine ſo hohe Ab-
gabe oder Beiſteuer zahlen, daß Mancher ſchon gedacht hat: ohne
Deich war es beſſer. Unſer ganzes Unglück iſt, daß ſie „da oben“
die Abgaben und die Beiſteuer ungerecht vertheilen. Die Herren
von der Regierung ſagen: „„wir haben den Damm gebaut und
das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem
Waſſer befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo
wir es von wenig Waſſer befreit haben, da wird auch nur wenig
bezahlt.““ Das klingt ſehr ſchön und ſehr gerecht, iſt aber Unge-
rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns ſtand das Waſſer
alle Frühjahr am höchſten, elf Fuß hoch und drüber, während es
in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den beſten und
reichſten) nur einen Fuß hoch ſtand. Was geſchieht nun? Wir
müſſen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf-
fachen Waſſermaſſe befreit. Aber überſchwemmtes Land iſt über-
ſchwemmtes Land und es iſt ganz gleich, ob das Waſſer ein Fuß
oder elf Fuß hoch auf Wieſe und Acker geſtanden hat.“
So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles
geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes
oder gar einer Regierungs-Laune angeſehen, bis ich ſchließlich mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/276>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.