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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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zeigt übrigens vielleicht am besten, wie ich obigen Satz verstanden ha-
ben möchte. Der wendische Oderbruchsrock und der wendische Spree-
waldsrock waren in Schnitt und Stoff vor hundert Jahren
vielleicht dieselben. Der wendische Oderbruchsrock ist seitdem ver-
schwunden, er existirt nicht mehr, weder seinem Schnitt noch sei-
nem Stoff nach; die eindringende deutsche Cultur hat ihn, wenn
dieser Ausdruck gestattet ist, dem Lande ausgezogen. Nicht so
im Spreewald. Hier blieb der Schnitt des Rocks, worin seine
Eigenart besteht, nach wie vor derselbe; aber der Stoff wurde
feiner, und würde es möglich sein, einen solchen Spreewaldsrock
von heute mit einem Oderbruchsrock von damals zu vergleichen,
so würde das ohngefähr veranschaulichen, worin das alte Oder-
bruch dem jetzigen Spreewald ähnlich und worin es von ihm ver-
schieden war.

Der oben mitgetheilte Brief hat uns ziemlich anschaulich die
Lokalität der Oderbruchdörfer gegeben; die Frage bleibt noch, wie
waren die Bewohner (über deren Beschäftigung kein Zweifel sein
kann) nach Charakter, Sitte, Tracht.

Wie gut auch das Zeugniß ist, das jetzt noch an einigen
Stellen des Oderbruchs, den Ueberresten der wendischen Bevölke-
rung, im Gegensatz zu den "Pfälzern" ausgestellt wird, so ist es
doch nicht sehr wahrscheinlich, daß es, vor hundert Jahren und
drüber, mit diesen von der Welt abgeschnittenen, von jeder Idea-
lität losgelösten Existenzen, etwas besonderes auf sich gehabt habe.
Es waren vielleicht gut geartete, aber jedenfalls rohe, in Aber-
glauben und Unwissenheit befangene Gemeinschaften,*) die trotz

*) Ueber Charakter und Erscheinung der jetzt noch in einigen Bruch-
dörfern vorkommenden wendischen Bevölkerung schreibt man mir aus einem
dieser Dörfer: "Man giebt hier im Allgemeinen dem Charakter der wen-
dischen Bevölkerung vor dem der deutschen Colonisten den Vorzug. Die
Wenden sind allerdings schwerfällig, abergläubisch und geistig weniger
begabt als die "Pfälzer" (die allgemeine Bezeichnung für die Deutschen),
aber an Kraft, Fleiß und Ausdauer sind sie den Deutschen gleich, während
sie dieselben an Treue und Zuverlässigkeit übertreffen. Die Männer haben
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zeigt übrigens vielleicht am beſten, wie ich obigen Satz verſtanden ha-
ben möchte. Der wendiſche Oderbruchsrock und der wendiſche Spree-
waldsrock waren in Schnitt und Stoff vor hundert Jahren
vielleicht dieſelben. Der wendiſche Oderbruchsrock iſt ſeitdem ver-
ſchwunden, er exiſtirt nicht mehr, weder ſeinem Schnitt noch ſei-
nem Stoff nach; die eindringende deutſche Cultur hat ihn, wenn
dieſer Ausdruck geſtattet iſt, dem Lande ausgezogen. Nicht ſo
im Spreewald. Hier blieb der Schnitt des Rocks, worin ſeine
Eigenart beſteht, nach wie vor derſelbe; aber der Stoff wurde
feiner, und würde es möglich ſein, einen ſolchen Spreewaldsrock
von heute mit einem Oderbruchsrock von damals zu vergleichen,
ſo würde das ohngefähr veranſchaulichen, worin das alte Oder-
bruch dem jetzigen Spreewald ähnlich und worin es von ihm ver-
ſchieden war.

Der oben mitgetheilte Brief hat uns ziemlich anſchaulich die
Lokalität der Oderbruchdörfer gegeben; die Frage bleibt noch, wie
waren die Bewohner (über deren Beſchäftigung kein Zweifel ſein
kann) nach Charakter, Sitte, Tracht.

Wie gut auch das Zeugniß iſt, das jetzt noch an einigen
Stellen des Oderbruchs, den Ueberreſten der wendiſchen Bevölke-
rung, im Gegenſatz zu den „Pfälzern“ ausgeſtellt wird, ſo iſt es
doch nicht ſehr wahrſcheinlich, daß es, vor hundert Jahren und
drüber, mit dieſen von der Welt abgeſchnittenen, von jeder Idea-
lität losgelöſten Exiſtenzen, etwas beſonderes auf ſich gehabt habe.
Es waren vielleicht gut geartete, aber jedenfalls rohe, in Aber-
glauben und Unwiſſenheit befangene Gemeinſchaften,*) die trotz

*) Ueber Charakter und Erſcheinung der jetzt noch in einigen Bruch-
dörfern vorkommenden wendiſchen Bevölkerung ſchreibt man mir aus einem
dieſer Dörfer: „Man giebt hier im Allgemeinen dem Charakter der wen-
diſchen Bevölkerung vor dem der deutſchen Coloniſten den Vorzug. Die
Wenden ſind allerdings ſchwerfällig, abergläubiſch und geiſtig weniger
begabt als die „Pfälzer“ (die allgemeine Bezeichnung für die Deutſchen),
aber an Kraft, Fleiß und Ausdauer ſind ſie den Deutſchen gleich, während
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[209/0221] zeigt übrigens vielleicht am beſten, wie ich obigen Satz verſtanden ha- ben möchte. Der wendiſche Oderbruchsrock und der wendiſche Spree- waldsrock waren in Schnitt und Stoff vor hundert Jahren vielleicht dieſelben. Der wendiſche Oderbruchsrock iſt ſeitdem ver- ſchwunden, er exiſtirt nicht mehr, weder ſeinem Schnitt noch ſei- nem Stoff nach; die eindringende deutſche Cultur hat ihn, wenn dieſer Ausdruck geſtattet iſt, dem Lande ausgezogen. Nicht ſo im Spreewald. Hier blieb der Schnitt des Rocks, worin ſeine Eigenart beſteht, nach wie vor derſelbe; aber der Stoff wurde feiner, und würde es möglich ſein, einen ſolchen Spreewaldsrock von heute mit einem Oderbruchsrock von damals zu vergleichen, ſo würde das ohngefähr veranſchaulichen, worin das alte Oder- bruch dem jetzigen Spreewald ähnlich und worin es von ihm ver- ſchieden war. Der oben mitgetheilte Brief hat uns ziemlich anſchaulich die Lokalität der Oderbruchdörfer gegeben; die Frage bleibt noch, wie waren die Bewohner (über deren Beſchäftigung kein Zweifel ſein kann) nach Charakter, Sitte, Tracht. Wie gut auch das Zeugniß iſt, das jetzt noch an einigen Stellen des Oderbruchs, den Ueberreſten der wendiſchen Bevölke- rung, im Gegenſatz zu den „Pfälzern“ ausgeſtellt wird, ſo iſt es doch nicht ſehr wahrſcheinlich, daß es, vor hundert Jahren und drüber, mit dieſen von der Welt abgeſchnittenen, von jeder Idea- lität losgelöſten Exiſtenzen, etwas beſonderes auf ſich gehabt habe. Es waren vielleicht gut geartete, aber jedenfalls rohe, in Aber- glauben und Unwiſſenheit befangene Gemeinſchaften, *) die trotz *) Ueber Charakter und Erſcheinung der jetzt noch in einigen Bruch- dörfern vorkommenden wendiſchen Bevölkerung ſchreibt man mir aus einem dieſer Dörfer: „Man giebt hier im Allgemeinen dem Charakter der wen- diſchen Bevölkerung vor dem der deutſchen Coloniſten den Vorzug. Die Wenden ſind allerdings ſchwerfällig, abergläubiſch und geiſtig weniger begabt als die „Pfälzer“ (die allgemeine Bezeichnung für die Deutſchen), aber an Kraft, Fleiß und Ausdauer ſind ſie den Deutſchen gleich, während ſie dieſelben an Treue und Zuverläſſigkeit übertreffen. Die Männer haben 14

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/221>, abgerufen am 28.04.2024.