Die Leute im Dorf erzählen die Sache wie folgt. Der alte Wulffen (Balthasar Dietloff), der damals Steinhöfel, Kersdorf, Goelsdorf und Madlitz besaß, war ein passionirter Jäger. Er un- terhielt große, eingefriedigte Waldstrecken, in denen das Wild ge- hegt und gepflegt wurde. So weit hatte alles seine Richtigkeit. Im Dorf war aber auch ein alter Schäfer und dieser Schäfer hatte die Eigenheit, ein ebenso leidenschaftlicher Sackpfeifer zu sein, wie der alte Wulffen ein leidenschaftlicher Jäger war. Wie der "Dudelsack" nach Steinhöfel kam, darüber giebt die Tradition keinen Aufschluß; thut auch nichts. Es scheint nun, daß der alte Schäfer mit besondrer Vorliebe eben dann seine Stücke blies, wenn der alte Wulffen auf die Jagd ritt, so daß die Hirsche jedes- mal wußten, was und wen sie zu erwarten hatten, sobald sie den Dudelsack spielen hörten. Es war für die Hirsche wie Hundeblaff und Büchsenschuß. Oft schon hatte der alte Jäger dem alten Schä- fer diese "Meldung in den Wald hinein" verboten; aber immer vergeblich. Als er ihn nun eines Tages wieder bei seinem Spiel betraf, schoß er ihn nieder. Damit war es indessen nicht abge- than, die Sache machte Aufsehn und die Gerichte d. h. der König Friedrich Wilhelm I. selbst, verurtheilte den alten Wulffen zum Verlust seiner Güter; -- nur Steinhöfel ward ihm belassen.
So weit die dörfliche Tradition. Daß der Erzählung etwas thatsächliches zu Grunde liegt, ist nicht unmöglich, andrerseits ist kaum zu bezweifeln, daß sich die Sache, wenigstens in ihrem ge- setzlichen Verlauf (Confiskation der Güter) wesentlich anders ver- halten haben muß. Einzelne der obengenannten Güter waren min- destens noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Wulffen'schen Händen und das Epitaphium, das dem alten Bal- thasar Dietloff selbst, in der Steinhöfler Kirche errichtet wurde, führt ihn eigens noch als Erbherrn auf Steinhöfel, Kerstorf, Goelsdorf etc. auf.
Dies Epitaphium, außer der oben erzählten kleinen Geschichte, hält bei den Steinhöflern die Erinnerung an die Wulffens über- haupt lebendig. Es ist ein großes und sehr in die Augen fallendes
Die Leute im Dorf erzählen die Sache wie folgt. Der alte Wulffen (Balthaſar Dietloff), der damals Steinhöfel, Kersdorf, Goelsdorf und Madlitz beſaß, war ein paſſionirter Jäger. Er un- terhielt große, eingefriedigte Waldſtrecken, in denen das Wild ge- hegt und gepflegt wurde. So weit hatte alles ſeine Richtigkeit. Im Dorf war aber auch ein alter Schäfer und dieſer Schäfer hatte die Eigenheit, ein ebenſo leidenſchaftlicher Sackpfeifer zu ſein, wie der alte Wulffen ein leidenſchaftlicher Jäger war. Wie der „Dudelſack“ nach Steinhöfel kam, darüber giebt die Tradition keinen Aufſchluß; thut auch nichts. Es ſcheint nun, daß der alte Schäfer mit beſondrer Vorliebe eben dann ſeine Stücke blies, wenn der alte Wulffen auf die Jagd ritt, ſo daß die Hirſche jedes- mal wußten, was und wen ſie zu erwarten hatten, ſobald ſie den Dudelſack ſpielen hörten. Es war für die Hirſche wie Hundeblaff und Büchſenſchuß. Oft ſchon hatte der alte Jäger dem alten Schä- fer dieſe „Meldung in den Wald hinein“ verboten; aber immer vergeblich. Als er ihn nun eines Tages wieder bei ſeinem Spiel betraf, ſchoß er ihn nieder. Damit war es indeſſen nicht abge- than, die Sache machte Aufſehn und die Gerichte d. h. der König Friedrich Wilhelm I. ſelbſt, verurtheilte den alten Wulffen zum Verluſt ſeiner Güter; — nur Steinhöfel ward ihm belaſſen.
So weit die dörfliche Tradition. Daß der Erzählung etwas thatſächliches zu Grunde liegt, iſt nicht unmöglich, andrerſeits iſt kaum zu bezweifeln, daß ſich die Sache, wenigſtens in ihrem ge- ſetzlichen Verlauf (Confiskation der Güter) weſentlich anders ver- halten haben muß. Einzelne der obengenannten Güter waren min- deſtens noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Wulffen’ſchen Händen und das Epitaphium, das dem alten Bal- thaſar Dietloff ſelbſt, in der Steinhöfler Kirche errichtet wurde, führt ihn eigens noch als Erbherrn auf Steinhöfel, Kerſtorf, Goelsdorf ꝛc. auf.
Dies Epitaphium, außer der oben erzählten kleinen Geſchichte, hält bei den Steinhöflern die Erinnerung an die Wulffens über- haupt lebendig. Es iſt ein großes und ſehr in die Augen fallendes
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Die Leute im Dorf erzählen die Sache wie folgt. Der alte
Wulffen (Balthaſar Dietloff), der damals Steinhöfel, Kersdorf,
Goelsdorf und Madlitz beſaß, war ein paſſionirter Jäger. Er un-
terhielt große, eingefriedigte Waldſtrecken, in denen das Wild ge-
hegt und gepflegt wurde. So weit hatte alles ſeine Richtigkeit.
Im Dorf war aber auch ein alter Schäfer und dieſer Schäfer
hatte die Eigenheit, ein ebenſo leidenſchaftlicher Sackpfeifer zu ſein,
wie der alte Wulffen ein leidenſchaftlicher Jäger war. Wie der
„Dudelſack“ nach Steinhöfel kam, darüber giebt die Tradition
keinen Aufſchluß; thut auch nichts. Es ſcheint nun, daß der alte
Schäfer mit beſondrer Vorliebe eben dann ſeine Stücke blies,
wenn der alte Wulffen auf die Jagd ritt, ſo daß die Hirſche jedes-
mal wußten, was und wen ſie zu erwarten hatten, ſobald ſie den
Dudelſack ſpielen hörten. Es war für die Hirſche wie Hundeblaff
und Büchſenſchuß. Oft ſchon hatte der alte Jäger dem alten Schä-
fer dieſe „Meldung in den Wald hinein“ verboten; aber immer
vergeblich. Als er ihn nun eines Tages wieder bei ſeinem Spiel
betraf, ſchoß er ihn nieder. Damit war es indeſſen nicht abge-
than, die Sache machte Aufſehn und die Gerichte d. h. der König
Friedrich Wilhelm I. ſelbſt, verurtheilte den alten Wulffen zum
Verluſt ſeiner Güter; — nur Steinhöfel ward ihm belaſſen.
So weit die dörfliche Tradition. Daß der Erzählung etwas
thatſächliches zu Grunde liegt, iſt nicht unmöglich, andrerſeits iſt
kaum zu bezweifeln, daß ſich die Sache, wenigſtens in ihrem ge-
ſetzlichen Verlauf (Confiskation der Güter) weſentlich anders ver-
halten haben muß. Einzelne der obengenannten Güter waren min-
deſtens noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in
Wulffen’ſchen Händen und das Epitaphium, das dem alten Bal-
thaſar Dietloff ſelbſt, in der Steinhöfler Kirche errichtet wurde,
führt ihn eigens noch als Erbherrn auf Steinhöfel, Kerſtorf,
Goelsdorf ꝛc. auf.
Dies Epitaphium, außer der oben erzählten kleinen Geſchichte,
hält bei den Steinhöflern die Erinnerung an die Wulffens über-
haupt lebendig. Es iſt ein großes und ſehr in die Augen fallendes
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/171>, abgerufen am 24.11.2024.
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