Stadtfelde, das alle jene Punkte einschließt, würden gewiß zu wirk- lichen Aufschlüssen führen, aber diese Ausgrabungen werden bei uns in unbegreiflicher Weise vernachlässigt. Die Communen entbehren meist des nöthigen Interesses und unsere Gesellschaften und Ver- eine gemeinhin der nöthigen Mittel. So bleibt beinah alles dem Zufall überlassen. Andere Staaten überflügeln uns (ich spreche zu- nächst nur von unserer Mark) nach dieser Seite hin bedeutend. "Hier, wo nicht viel war, kann auch nicht viel zu finden sein," so denken die meisten unter uns und vergessen dabei, daß eben da wo stets nur wenig war, dies Wenige um so weniger entbehrt werden kann.
Aber lassen wir das sagenhafte Alt-Mittenwalde und wenden wir uns dem historischen, dem mittelalterlichen Mittenwalde zu, das, trotz Krieg und Feuer, die mehrmals die Stadt verödet ha- ben, in einzelnen Baulichkeiten noch immer zu uns spricht. Da ist die Mauer mit ihren Thorthürmen, da ist die alte Propsteikirche und da ist (mehr ein Platz, als ein Bau) der Schloßberg oder "Hausgrabenberg," von dessen Höhe aus (freilich nur muthmaß- lich) "Schloß Mittenwald" in die Mark und die Lausitz hin- einblickte. Ich sage muthmaßlich, denn die Ueberlieferungen, die an Schloß Mittenwalde anknüpfen, halten die Mitte zwischen Sage und Geschichte.
Historisch ist die Existenz des Schlosses, sagenhaft ist die Stelle, wo es stand. Vielfach wird in Urkunden des "festen Schlosses zu Mittenwalde" Erwähnung gethan; schon 1240 legten die brandenburgischen Markgrafen eine Besatzung hinein, und 1374 verordnete Kaiser Karl IV. vom "Schloß Mittenwalde" aus, "daß alle Vesten der Mark Brandenburg in gleich guten Stand gesetzt werden sollten." All' dies beweist die Existenz des Schlosses genugsam. Aber wo stand es? Nur mit Wahrscheinlich- keit läßt sich antworten: auf dem "Hausgrabenberg." Die Lage des Berges, im Norden eines Flusses (der Notte), dessen Ueber- gang vertheidigt werden sollte, das Fortifikatorische der Anlage, das so sehr an andere Hügelbefestigungen jener Epoche erinnert,
Stadtfelde, das alle jene Punkte einſchließt, würden gewiß zu wirk- lichen Aufſchlüſſen führen, aber dieſe Ausgrabungen werden bei uns in unbegreiflicher Weiſe vernachläſſigt. Die Communen entbehren meiſt des nöthigen Intereſſes und unſere Geſellſchaften und Ver- eine gemeinhin der nöthigen Mittel. So bleibt beinah alles dem Zufall überlaſſen. Andere Staaten überflügeln uns (ich ſpreche zu- nächſt nur von unſerer Mark) nach dieſer Seite hin bedeutend. „Hier, wo nicht viel war, kann auch nicht viel zu finden ſein,“ ſo denken die meiſten unter uns und vergeſſen dabei, daß eben da wo ſtets nur wenig war, dies Wenige um ſo weniger entbehrt werden kann.
Aber laſſen wir das ſagenhafte Alt-Mittenwalde und wenden wir uns dem hiſtoriſchen, dem mittelalterlichen Mittenwalde zu, das, trotz Krieg und Feuer, die mehrmals die Stadt verödet ha- ben, in einzelnen Baulichkeiten noch immer zu uns ſpricht. Da iſt die Mauer mit ihren Thorthürmen, da iſt die alte Propſteikirche und da iſt (mehr ein Platz, als ein Bau) der Schloßberg oder „Hausgrabenberg,“ von deſſen Höhe aus (freilich nur muthmaß- lich) „Schloß Mittenwald“ in die Mark und die Lauſitz hin- einblickte. Ich ſage muthmaßlich, denn die Ueberlieferungen, die an Schloß Mittenwalde anknüpfen, halten die Mitte zwiſchen Sage und Geſchichte.
Hiſtoriſch iſt die Exiſtenz des Schloſſes, ſagenhaft iſt die Stelle, wo es ſtand. Vielfach wird in Urkunden des „feſten Schloſſes zu Mittenwalde“ Erwähnung gethan; ſchon 1240 legten die brandenburgiſchen Markgrafen eine Beſatzung hinein, und 1374 verordnete Kaiſer Karl IV. vom „Schloß Mittenwalde“ aus, „daß alle Veſten der Mark Brandenburg in gleich guten Stand geſetzt werden ſollten.“ All’ dies beweiſt die Exiſtenz des Schloſſes genugſam. Aber wo ſtand es? Nur mit Wahrſcheinlich- keit läßt ſich antworten: auf dem „Hausgrabenberg.“ Die Lage des Berges, im Norden eines Fluſſes (der Notte), deſſen Ueber- gang vertheidigt werden ſollte, das Fortifikatoriſche der Anlage, das ſo ſehr an andere Hügelbefeſtigungen jener Epoche erinnert,
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Stadtfelde, das alle jene Punkte einſchließt, würden gewiß zu wirk-
lichen Aufſchlüſſen führen, aber dieſe Ausgrabungen werden bei uns
in unbegreiflicher Weiſe vernachläſſigt. Die Communen entbehren
meiſt des nöthigen Intereſſes und unſere Geſellſchaften und Ver-
eine gemeinhin der nöthigen Mittel. So bleibt beinah alles dem
Zufall überlaſſen. Andere Staaten überflügeln uns (ich ſpreche zu-
nächſt nur von unſerer Mark) nach dieſer Seite hin bedeutend.
„Hier, wo nicht viel war, kann auch nicht viel zu finden ſein,“
ſo denken die meiſten unter uns und vergeſſen dabei, daß eben
da wo ſtets nur wenig war, dies Wenige um ſo weniger entbehrt
werden kann.
Aber laſſen wir das ſagenhafte Alt-Mittenwalde und wenden
wir uns dem hiſtoriſchen, dem mittelalterlichen Mittenwalde zu,
das, trotz Krieg und Feuer, die mehrmals die Stadt verödet ha-
ben, in einzelnen Baulichkeiten noch immer zu uns ſpricht. Da iſt
die Mauer mit ihren Thorthürmen, da iſt die alte Propſteikirche
und da iſt (mehr ein Platz, als ein Bau) der Schloßberg oder
„Hausgrabenberg,“ von deſſen Höhe aus (freilich nur muthmaß-
lich) „Schloß Mittenwald“ in die Mark und die Lauſitz hin-
einblickte. Ich ſage muthmaßlich, denn die Ueberlieferungen, die an
Schloß Mittenwalde anknüpfen, halten die Mitte zwiſchen Sage
und Geſchichte.
Hiſtoriſch iſt die Exiſtenz des Schloſſes, ſagenhaft iſt die
Stelle, wo es ſtand. Vielfach wird in Urkunden des „feſten
Schloſſes zu Mittenwalde“ Erwähnung gethan; ſchon 1240 legten
die brandenburgiſchen Markgrafen eine Beſatzung hinein, und
1374 verordnete Kaiſer Karl IV. vom „Schloß Mittenwalde“
aus, „daß alle Veſten der Mark Brandenburg in gleich guten
Stand geſetzt werden ſollten.“ All’ dies beweiſt die Exiſtenz des
Schloſſes genugſam. Aber wo ſtand es? Nur mit Wahrſcheinlich-
keit läßt ſich antworten: auf dem „Hausgrabenberg.“ Die Lage
des Berges, im Norden eines Fluſſes (der Notte), deſſen Ueber-
gang vertheidigt werden ſollte, das Fortifikatoriſche der Anlage,
das ſo ſehr an andere Hügelbefeſtigungen jener Epoche erinnert,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/156>, abgerufen am 23.11.2024.
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