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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863.

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Von Frankfurt bis Schwedt.
Saßen all auf dem Verdecke,
Glocken klangen, alte Zeit,
Und der Himmel wurde blauer
Und die Seele wurde weit.

Zwischen Frankfurt und Stettin ist während der Sommermonate
ein ziemlich reger Dampfschiff-Verkehr. Schleppschiffe und Pas-
sagierboote gehen auf und ab und die Rauchsäulen der Schloote
ziehen ihren Schattenstrich über die Segel der Oderkähne hin, die
oft in ganzen Geschwadern diese Fahrt machen.

Von besonderer Wichtigkeit sind die Schleppdampfer. Handelt
es sich darum, eine werthvolle Ladung in kürzester Frist stromauf
zu schaffen, so wird ein Schleppschiff als Vorspann genommen
und in 24 Stunden ist erreicht, was sonst vielleicht 14 Tage ge-
dauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern diese Schlepp-
schiffe, wenn sie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritisch
gewordenen Situation erscheinen und durch ihre bloße Erscheinung
die Herzen der geängstigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen.
Sie sind dann was der Führer für den Verirrten, was der Zu-
zug für die Geschlagenen ist und beherrschen natürlich die Situa-
tion. Diese Situation ist fast immer dieselbe: entweder hat der
Rettung erwartende Kahn sich festgefahren und müht umsonst sich
ab, wieder flott zu werden, oder aber er ist in ein mit Flößen
verfahrenes Defilee gerathen, so daß jeden Augenblick ein Zusam-
menstoß zu gewärtigen steht. Im ersteren Falle handelt es sich um

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Von Frankfurt bis Schwedt.
Saßen all auf dem Verdecke,
Glocken klangen, alte Zeit,
Und der Himmel wurde blauer
Und die Seele wurde weit.

Zwiſchen Frankfurt und Stettin iſt während der Sommermonate
ein ziemlich reger Dampfſchiff-Verkehr. Schleppſchiffe und Paſ-
ſagierboote gehen auf und ab und die Rauchſäulen der Schloote
ziehen ihren Schattenſtrich über die Segel der Oderkähne hin, die
oft in ganzen Geſchwadern dieſe Fahrt machen.

Von beſonderer Wichtigkeit ſind die Schleppdampfer. Handelt
es ſich darum, eine werthvolle Ladung in kürzeſter Friſt ſtromauf
zu ſchaffen, ſo wird ein Schleppſchiff als Vorſpann genommen
und in 24 Stunden iſt erreicht, was ſonſt vielleicht 14 Tage ge-
dauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern dieſe Schlepp-
ſchiffe, wenn ſie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritiſch
gewordenen Situation erſcheinen und durch ihre bloße Erſcheinung
die Herzen der geängſtigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen.
Sie ſind dann was der Führer für den Verirrten, was der Zu-
zug für die Geſchlagenen iſt und beherrſchen natürlich die Situa-
tion. Dieſe Situation iſt faſt immer dieſelbe: entweder hat der
Rettung erwartende Kahn ſich feſtgefahren und müht umſonſt ſich
ab, wieder flott zu werden, oder aber er iſt in ein mit Flößen
verfahrenes Defilèe gerathen, ſo daß jeden Augenblick ein Zuſam-
menſtoß zu gewärtigen ſteht. Im erſteren Falle handelt es ſich um

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[[1]/0013] Von Frankfurt bis Schwedt. Saßen all auf dem Verdecke, Glocken klangen, alte Zeit, Und der Himmel wurde blauer Und die Seele wurde weit. Zwiſchen Frankfurt und Stettin iſt während der Sommermonate ein ziemlich reger Dampfſchiff-Verkehr. Schleppſchiffe und Paſ- ſagierboote gehen auf und ab und die Rauchſäulen der Schloote ziehen ihren Schattenſtrich über die Segel der Oderkähne hin, die oft in ganzen Geſchwadern dieſe Fahrt machen. Von beſonderer Wichtigkeit ſind die Schleppdampfer. Handelt es ſich darum, eine werthvolle Ladung in kürzeſter Friſt ſtromauf zu ſchaffen, ſo wird ein Schleppſchiff als Vorſpann genommen und in 24 Stunden iſt erreicht, was ſonſt vielleicht 14 Tage ge- dauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern dieſe Schlepp- ſchiffe, wenn ſie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritiſch gewordenen Situation erſcheinen und durch ihre bloße Erſcheinung die Herzen der geängſtigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen. Sie ſind dann was der Führer für den Verirrten, was der Zu- zug für die Geſchlagenen iſt und beherrſchen natürlich die Situa- tion. Dieſe Situation iſt faſt immer dieſelbe: entweder hat der Rettung erwartende Kahn ſich feſtgefahren und müht umſonſt ſich ab, wieder flott zu werden, oder aber er iſt in ein mit Flößen verfahrenes Defilèe gerathen, ſo daß jeden Augenblick ein Zuſam- menſtoß zu gewärtigen ſteht. Im erſteren Falle handelt es ſich um 1

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/13>, abgerufen am 25.11.2024.