noch am ehesten gedeiht, sind von französischen Colonisten bewohnt, die hier berufen waren, die Ufer der Rhone und Loire zu vergessen. Harte Aufgabe. Als wir Braunsberg passirten, lugten wir aus dem Wagen heraus, um "Köpfe zu studiren" und uns an südlichen Race-Gesichtern zu erfreuen. Wie heißt der Schulze hier? fragten wir mit halber Verlegenheit, weil wir nicht recht wußten, ob wir Deutsch oder Französisch sprechen sollten. "Borchardt," schallte die Antwort zurück. Nun waren wir beruhigt. Auch die südlichen Race-Gesichter sahen gerade so aus, wie die Wendisch- Deutsche Mischung sonstwo. Uebrigens kommen wirklich noch viele Französische Namen in diesen Dörfern vor und "unser Niquet" z. B. ist ein Braunsberger.
Die Wege, die man passirt, sind im Großen und Ganzen so gut, wie Sandwege sein können; nur an manchen Stellen, wo die Feldsteine wie eine Aussaat über den Weg gestreut sind, schüttelt man bedenklich den Kopf in Rückerinnrung an die bekannte Kabinets-Ordre Friedrichs des Großen, in der er mit Rücksicht auf diesen Weg und auf 195 [ - 1 Zeichen fehlt] 22 gr 8 Pf zu zah- lende Reparaturkosten, ablehnend schrieb: "Die Reparation war nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs- Camer vohr ein großes Beest halten, um mir mit solches unge- reimtes Zeug bei der Nahse kriegen zu wollen." Der König hatte Unrecht, trotzdem er den Weg kannte; mit 195 [ - 1 Zeichen fehlt] war hier nicht viel zu machen. Erst eine halbe Meile von Rheinsberg wird es besser und es beginnen stattlich-steife Pappel-Alleen, jene "Grena- dierfronten", wie Anastasius Grün sie genannt hat. Dabei geht es ein wenig bergab, und unser Kutscher glaubt ein Uebriges thun zu müssen. Im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laub- holz versteckten, immer noch räthselhaften Etwas, und fahren end- lich, zwischen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in Stadt Rheinsberg hinein.
Wir halten vor einem reizend gelegenen Gasthof, der noch dazu den Namen der "Rathskeller" führt, und da die Rheinsberger Thurmglocke eben 12 schlägt und unser guter Appetit entschieden
noch am eheſten gedeiht, ſind von franzöſiſchen Coloniſten bewohnt, die hier berufen waren, die Ufer der Rhone und Loire zu vergeſſen. Harte Aufgabe. Als wir Braunsberg paſſirten, lugten wir aus dem Wagen heraus, um „Köpfe zu ſtudiren“ und uns an ſüdlichen Race-Geſichtern zu erfreuen. Wie heißt der Schulze hier? fragten wir mit halber Verlegenheit, weil wir nicht recht wußten, ob wir Deutſch oder Franzöſiſch ſprechen ſollten. „Borchardt,“ ſchallte die Antwort zurück. Nun waren wir beruhigt. Auch die ſüdlichen Race-Geſichter ſahen gerade ſo aus, wie die Wendiſch- Deutſche Miſchung ſonſtwo. Uebrigens kommen wirklich noch viele Franzöſiſche Namen in dieſen Dörfern vor und „unſer Niquet“ z. B. iſt ein Braunsberger.
Die Wege, die man paſſirt, ſind im Großen und Ganzen ſo gut, wie Sandwege ſein können; nur an manchen Stellen, wo die Feldſteine wie eine Ausſaat über den Weg geſtreut ſind, ſchüttelt man bedenklich den Kopf in Rückerinnrung an die bekannte Kabinets-Ordre Friedrichs des Großen, in der er mit Rückſicht auf dieſen Weg und auf 195 [ – 1 Zeichen fehlt] 22 gr 8 ₰ zu zah- lende Reparaturkoſten, ablehnend ſchrieb: „Die Reparation war nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs- Camer vohr ein großes Beeſt halten, um mir mit ſolches unge- reimtes Zeug bei der Nahſe kriegen zu wollen.“ Der König hatte Unrecht, trotzdem er den Weg kannte; mit 195 [ – 1 Zeichen fehlt] war hier nicht viel zu machen. Erſt eine halbe Meile von Rheinsberg wird es beſſer und es beginnen ſtattlich-ſteife Pappel-Alleen, jene „Grena- dierfronten“, wie Anaſtaſius Grün ſie genannt hat. Dabei geht es ein wenig bergab, und unſer Kutſcher glaubt ein Uebriges thun zu müſſen. Im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laub- holz verſteckten, immer noch räthſelhaften Etwas, und fahren end- lich, zwiſchen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in Stadt Rheinsberg hinein.
Wir halten vor einem reizend gelegenen Gaſthof, der noch dazu den Namen der „Rathskeller“ führt, und da die Rheinsberger Thurmglocke eben 12 ſchlägt und unſer guter Appetit entſchieden
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noch am eheſten gedeiht, ſind von franzöſiſchen Coloniſten
bewohnt, die hier berufen waren, die Ufer der Rhone und Loire
zu vergeſſen. Harte Aufgabe. Als wir Braunsberg paſſirten, lugten
wir aus dem Wagen heraus, um „Köpfe zu ſtudiren“ und uns
an ſüdlichen Race-Geſichtern zu erfreuen. Wie heißt der Schulze
hier? fragten wir mit halber Verlegenheit, weil wir nicht recht
wußten, ob wir Deutſch oder Franzöſiſch ſprechen ſollten. „Borchardt,“
ſchallte die Antwort zurück. Nun waren wir beruhigt. Auch die
ſüdlichen Race-Geſichter ſahen gerade ſo aus, wie die Wendiſch-
Deutſche Miſchung ſonſtwo. Uebrigens kommen wirklich noch viele
Franzöſiſche Namen in dieſen Dörfern vor und „unſer Niquet“
z. B. iſt ein Braunsberger.
Die Wege, die man paſſirt, ſind im Großen und Ganzen
ſo gut, wie Sandwege ſein können; nur an manchen Stellen, wo
die Feldſteine wie eine Ausſaat über den Weg geſtreut ſind,
ſchüttelt man bedenklich den Kopf in Rückerinnrung an die
bekannte Kabinets-Ordre Friedrichs des Großen, in der er mit
Rückſicht auf dieſen Weg und auf 195 _ 22 gr 8 ₰ zu zah-
lende Reparaturkoſten, ablehnend ſchrieb: „Die Reparation war
nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs-
Camer vohr ein großes Beeſt halten, um mir mit ſolches unge-
reimtes Zeug bei der Nahſe kriegen zu wollen.“ Der König hatte
Unrecht, trotzdem er den Weg kannte; mit 195 _ war hier nicht
viel zu machen. Erſt eine halbe Meile von Rheinsberg wird es
beſſer und es beginnen ſtattlich-ſteife Pappel-Alleen, jene „Grena-
dierfronten“, wie Anaſtaſius Grün ſie genannt hat. Dabei geht
es ein wenig bergab, und unſer Kutſcher glaubt ein Uebriges thun
zu müſſen. Im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laub-
holz verſteckten, immer noch räthſelhaften Etwas, und fahren end-
lich, zwiſchen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in
Stadt Rheinsberg hinein.
Wir halten vor einem reizend gelegenen Gaſthof, der noch
dazu den Namen der „Rathskeller“ führt, und da die Rheinsberger
Thurmglocke eben 12 ſchlägt und unſer guter Appetit entſchieden
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/97>, abgerufen am 24.11.2024.
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