Stille herrschte ringsum, und in langen Pausen rief der Wolf aus untern Wäldern herauf; der Gedanke an die Unterwelt der Alten drängt sich in dieser schwarzen nächtlichen Wüste des Gebirges unwiderstehlich auf. -- Nach einer Anstrengung von mehreren Stunden erreichten wir die Felder des Schnee's. Ein Fels- block, der uns in seiner Höhle gegen den mächtigen Sturm, der mit schneidender Kälte andrang, schützte, lud zur Ruhe uns ein, und wir erfrischten die Kräfte durch Wein und kalte Küche und arbeiteten dann weiter hinauf zum Kegel des Kraters. Die Sonne stieg empor, als wir die wenigen Trümmer des sogenann- ten Thurms des Empedokles erreichten, den Ort, an dem man gewöhnlich dies Schauspiel erwartet. Ich trachte nicht, die Empfindungen darzustellen, die das Gemüth an diesem Platz er- greifen, indem ich unnütz sprechen würde, nur dies Wort: "Ich glaubte, die ganze Erde unter mir mit Einem Blick zu fassen, die Entfernungen erschienen so gering, die Breite des Meer's bis zu den Küsten Afrika's, die Ausdehnung des südlichen Kalabriens, die Insel selbst, Alles lag so überschaulich unter mir, daß ich mich selbst fast außer dem Verhältniß größer glaubte. -- Es zogen Nebel herbei, und heftiger Hagel nöthigte uns zum Aufbruch, wenn wir noch, ehe sich die Wolken mehr um den Gipfel häuften, den Krater sehen wollten. Ueber Alles beschwerlich ist der Weg zum Rande. Der Kegel ist steil und mit einer glatten Schnee- rinde umgeben, die bei jedem Schritte fallen macht. Die Annähe- rung war höchst empfindlich, ein Wind trieb den Schwefeldampf auf alle Seiten. Es glückte uns nur auf wenige Minuten, die beiden Verbindungen des Kraters zu übersehen. Ich habe den des Vesuvs bei weitem größer und imposanter gefunden. Der Aetna, der 36 kleinere Vulkane um sich zählt, bleibt oft bei Erup- tionen am Gipfel vollkommen ruhig, da beim Vesuv jedesmal die Eruption mit einem heftigen Feuer des Kraters begleitet ist. Durch beschwerliche Wege stiegen wir, manchen merkwürdigen Ort des Berges betrachtend, hinab und erreichten gegen Mittag die Höhle der Ziegen wieder, die den ermüdeten Gliedern wieder eine Stunde süßer Ruhe schenkte. Dann bestiegen wir die Thiere und
Stille herrſchte ringsum, und in langen Pauſen rief der Wolf aus untern Wäldern herauf; der Gedanke an die Unterwelt der Alten drängt ſich in dieſer ſchwarzen nächtlichen Wüſte des Gebirges unwiderſtehlich auf. — Nach einer Anſtrengung von mehreren Stunden erreichten wir die Felder des Schnee’s. Ein Fels- block, der uns in ſeiner Höhle gegen den mächtigen Sturm, der mit ſchneidender Kälte andrang, ſchützte, lud zur Ruhe uns ein, und wir erfriſchten die Kräfte durch Wein und kalte Küche und arbeiteten dann weiter hinauf zum Kegel des Kraters. Die Sonne ſtieg empor, als wir die wenigen Trümmer des ſogenann- ten Thurms des Empedokles erreichten, den Ort, an dem man gewöhnlich dies Schauſpiel erwartet. Ich trachte nicht, die Empfindungen darzuſtellen, die das Gemüth an dieſem Platz er- greifen, indem ich unnütz ſprechen würde, nur dies Wort: „Ich glaubte, die ganze Erde unter mir mit Einem Blick zu faſſen, die Entfernungen erſchienen ſo gering, die Breite des Meer’s bis zu den Küſten Afrika’s, die Ausdehnung des ſüdlichen Kalabriens, die Inſel ſelbſt, Alles lag ſo überſchaulich unter mir, daß ich mich ſelbſt faſt außer dem Verhältniß größer glaubte. — Es zogen Nebel herbei, und heftiger Hagel nöthigte uns zum Aufbruch, wenn wir noch, ehe ſich die Wolken mehr um den Gipfel häuften, den Krater ſehen wollten. Ueber Alles beſchwerlich iſt der Weg zum Rande. Der Kegel iſt ſteil und mit einer glatten Schnee- rinde umgeben, die bei jedem Schritte fallen macht. Die Annähe- rung war höchſt empfindlich, ein Wind trieb den Schwefeldampf auf alle Seiten. Es glückte uns nur auf wenige Minuten, die beiden Verbindungen des Kraters zu überſehen. Ich habe den des Veſuvs bei weitem größer und impoſanter gefunden. Der Aetna, der 36 kleinere Vulkane um ſich zählt, bleibt oft bei Erup- tionen am Gipfel vollkommen ruhig, da beim Veſuv jedesmal die Eruption mit einem heftigen Feuer des Kraters begleitet iſt. Durch beſchwerliche Wege ſtiegen wir, manchen merkwürdigen Ort des Berges betrachtend, hinab und erreichten gegen Mittag die Höhle der Ziegen wieder, die den ermüdeten Gliedern wieder eine Stunde ſüßer Ruhe ſchenkte. Dann beſtiegen wir die Thiere und
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Stille herrſchte ringsum, und in langen Pauſen rief der Wolf
aus untern Wäldern herauf; der Gedanke an die Unterwelt der
Alten drängt ſich in dieſer ſchwarzen nächtlichen Wüſte des Gebirges
unwiderſtehlich auf. — Nach einer Anſtrengung von mehreren
Stunden erreichten wir die Felder des Schnee’s. Ein Fels-
block, der uns in ſeiner Höhle gegen den mächtigen Sturm, der
mit ſchneidender Kälte andrang, ſchützte, lud zur Ruhe uns ein,
und wir erfriſchten die Kräfte durch Wein und kalte Küche und
arbeiteten dann weiter hinauf zum Kegel des Kraters. Die
Sonne ſtieg empor, als wir die wenigen Trümmer des ſogenann-
ten Thurms des Empedokles erreichten, den Ort, an dem
man gewöhnlich dies Schauſpiel erwartet. Ich trachte nicht, die
Empfindungen darzuſtellen, die das Gemüth an dieſem Platz er-
greifen, indem ich unnütz ſprechen würde, nur dies Wort: „Ich
glaubte, die ganze Erde unter mir mit Einem Blick zu faſſen, die
Entfernungen erſchienen ſo gering, die Breite des Meer’s bis zu
den Küſten Afrika’s, die Ausdehnung des ſüdlichen Kalabriens, die
Inſel ſelbſt, Alles lag ſo überſchaulich unter mir, daß ich mich
ſelbſt faſt außer dem Verhältniß größer glaubte. — Es zogen
Nebel herbei, und heftiger Hagel nöthigte uns zum Aufbruch,
wenn wir noch, ehe ſich die Wolken mehr um den Gipfel häuften,
den Krater ſehen wollten. Ueber Alles beſchwerlich iſt der Weg
zum Rande. Der Kegel iſt ſteil und mit einer glatten Schnee-
rinde umgeben, die bei jedem Schritte fallen macht. Die Annähe-
rung war höchſt empfindlich, ein Wind trieb den Schwefeldampf
auf alle Seiten. Es glückte uns nur auf wenige Minuten, die
beiden Verbindungen des Kraters zu überſehen. Ich habe den des
Veſuvs bei weitem größer und impoſanter gefunden. Der Aetna,
der 36 kleinere Vulkane um ſich zählt, bleibt oft bei Erup-
tionen am Gipfel vollkommen ruhig, da beim Veſuv jedesmal die
Eruption mit einem heftigen Feuer des Kraters begleitet iſt. Durch
beſchwerliche Wege ſtiegen wir, manchen merkwürdigen Ort des
Berges betrachtend, hinab und erreichten gegen Mittag die Höhle
der Ziegen wieder, die den ermüdeten Gliedern wieder eine
Stunde ſüßer Ruhe ſchenkte. Dann beſtiegen wir die Thiere und
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/90>, abgerufen am 24.11.2024.
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