in lateinischer Sprache, gesellen sich hinzu und mindern in etwas den Eindruck äußerster Oede und Kahlheit, an dem die sonst schöne alte Kirche bedenklich leidet. Dies Verfahren, durch Inschriften zu beleben und anzuregen, sollte überall da nachgeahmt werden, wo man zur Restaurirung alter Kirchen und Baudenkmäler schreitet. Ich sah vor einigen Wochen die in früh-romanischem Stil erbaute, höchst bemerkenswerthe Kirche von Jerichow (bei Genthin); aber die kahlen Wände des Gotteshauses gaben über nichts Auskunft, weder über die frühere Geschichte dieses interessanten Baues, noch über die Art, Zeit und Umstände seiner Restaurirung. Selbst Leu- ten von Fach sind solche Notizen gemeinhin willkommen; dem Laien aber geht erst aus derartigen Inschriften die ganze Bedeu- tung solchen Baues auf. Zu den Laien gehört vor allem die Gemeinde selbst. Ohne solche Hinweise weiß sie in der Regel kaum, welche Schätze sie besitzt. Die Unkenntniß und Indiffe- renz ist grenzenlos und sollte denen nachzudenken geben, die nicht müde werden, von dem Wissen und der Erleuchtetheit unserer Zeit zu sprechen. Erstaunlich ist es namentlich, wie absolut nichts unser Volk von jener Periode unsrer Geschichte weiß, die der vorlutherischen Zeit angehört. Man kennt weder die Dinge, noch die Bezeichnun- gen für die Dinge; die bloßen Worte sind unserer protestantischen Sprache wie verloren gegangen. Man mache die Probe und frage z. B. einen Märkischen Landbewohner, was der "Krummstab" sei? Unter Zwanzigen wird es nicht Einer wissen. In der Ruppiner Klosterkirche fragte ich die Küstersfrau, welche Mönche hier früher gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: "Mein Mann weeß et; ich jlobe, et sind kattolsche gewesen."
Die Ruppiner Klosterkirche wird in der oben citirten Inschrift ein "erhabenes Denkmal ächt Deutscher Kunst" genannt. Dies ist richtig und falsch, je nachdem. Die Mittelmark Brandenburg, im Gegensatz zur Alt-Mark, ist so arm an hervorragenden Bau- denkmälern der gothischen Zeit, daß keine besondere Schönheit nöthig ist, um mit unter den schönsten zu sein.
in lateiniſcher Sprache, geſellen ſich hinzu und mindern in etwas den Eindruck äußerſter Oede und Kahlheit, an dem die ſonſt ſchöne alte Kirche bedenklich leidet. Dies Verfahren, durch Inſchriften zu beleben und anzuregen, ſollte überall da nachgeahmt werden, wo man zur Reſtaurirung alter Kirchen und Baudenkmäler ſchreitet. Ich ſah vor einigen Wochen die in früh-romaniſchem Stil erbaute, höchſt bemerkenswerthe Kirche von Jerichow (bei Genthin); aber die kahlen Wände des Gotteshauſes gaben über nichts Auskunft, weder über die frühere Geſchichte dieſes intereſſanten Baues, noch über die Art, Zeit und Umſtände ſeiner Reſtaurirung. Selbſt Leu- ten von Fach ſind ſolche Notizen gemeinhin willkommen; dem Laien aber geht erſt aus derartigen Inſchriften die ganze Bedeu- tung ſolchen Baues auf. Zu den Laien gehört vor allem die Gemeinde ſelbſt. Ohne ſolche Hinweiſe weiß ſie in der Regel kaum, welche Schätze ſie beſitzt. Die Unkenntniß und Indiffe- renz iſt grenzenlos und ſollte denen nachzudenken geben, die nicht müde werden, von dem Wiſſen und der Erleuchtetheit unſerer Zeit zu ſprechen. Erſtaunlich iſt es namentlich, wie abſolut nichts unſer Volk von jener Periode unſrer Geſchichte weiß, die der vorlutheriſchen Zeit angehört. Man kennt weder die Dinge, noch die Bezeichnun- gen für die Dinge; die bloßen Worte ſind unſerer proteſtantiſchen Sprache wie verloren gegangen. Man mache die Probe und frage z. B. einen Märkiſchen Landbewohner, was der „Krummſtab“ ſei? Unter Zwanzigen wird es nicht Einer wiſſen. In der Ruppiner Kloſterkirche fragte ich die Küſtersfrau, welche Mönche hier früher gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: „Mein Mann weeß et; ich jlobe, et ſind kattolſche geweſen.“
Die Ruppiner Kloſterkirche wird in der oben citirten Inſchrift ein „erhabenes Denkmal ächt Deutſcher Kunſt“ genannt. Dies iſt richtig und falſch, je nachdem. Die Mittelmark Brandenburg, im Gegenſatz zur Alt-Mark, iſt ſo arm an hervorragenden Bau- denkmälern der gothiſchen Zeit, daß keine beſondere Schönheit nöthig iſt, um mit unter den ſchönſten zu ſein.
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in lateiniſcher Sprache, geſellen ſich hinzu und mindern in etwas
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alte Kirche bedenklich leidet. Dies Verfahren, durch Inſchriften zu
beleben und anzuregen, ſollte überall da nachgeahmt werden, wo
man zur Reſtaurirung alter Kirchen und Baudenkmäler ſchreitet.
Ich ſah vor einigen Wochen die in früh-romaniſchem Stil erbaute,
höchſt bemerkenswerthe Kirche von Jerichow (bei Genthin); aber
die kahlen Wände des Gotteshauſes gaben über nichts Auskunft,
weder über die frühere Geſchichte dieſes intereſſanten Baues, noch
über die Art, Zeit und Umſtände ſeiner Reſtaurirung. Selbſt Leu-
ten von Fach ſind ſolche Notizen gemeinhin willkommen; dem
Laien aber geht erſt aus derartigen Inſchriften die ganze Bedeu-
tung ſolchen Baues auf. Zu den Laien gehört vor allem
die Gemeinde ſelbſt. Ohne ſolche Hinweiſe weiß ſie in der
Regel kaum, welche Schätze ſie beſitzt. Die Unkenntniß und Indiffe-
renz iſt grenzenlos und ſollte denen nachzudenken geben, die nicht
müde werden, von dem Wiſſen und der Erleuchtetheit unſerer Zeit zu
ſprechen. Erſtaunlich iſt es namentlich, wie abſolut nichts unſer Volk
von jener Periode unſrer Geſchichte weiß, die der vorlutheriſchen
Zeit angehört. Man kennt weder die Dinge, noch die Bezeichnun-
gen für die Dinge; die bloßen Worte ſind unſerer proteſtantiſchen
Sprache wie verloren gegangen. Man mache die Probe und frage
z. B. einen Märkiſchen Landbewohner, was der „Krummſtab“ ſei?
Unter Zwanzigen wird es nicht Einer wiſſen. In der Ruppiner
Kloſterkirche fragte ich die Küſtersfrau, welche Mönche hier früher
gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: „Mein Mann
weeß et; ich jlobe, et ſind kattolſche geweſen.“
Die Ruppiner Kloſterkirche wird in der oben citirten Inſchrift
ein „erhabenes Denkmal ächt Deutſcher Kunſt“ genannt. Dies iſt
richtig und falſch, je nachdem. Die Mittelmark Brandenburg, im
Gegenſatz zur Alt-Mark, iſt ſo arm an hervorragenden Bau-
denkmälern der gothiſchen Zeit, daß keine beſondere Schönheit
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/48>, abgerufen am 03.12.2024.
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