Wochen sind vorüber. Wir stehen noch einmal in dem ge- räumigen Saal, dessen Thür auf die Gartentreppe führt. Der Herbst ist gekommen, ein klarer Octoberhimmel lacht; in die Pla- tanenblätter mischt sich das erste Gelb, und die Obstbäume, die über das Weinspalier wegragen, stehen in voller Frucht. Im Gartensaale aber ist es, als wären schon die Decembertage da, jene schönste Zeit im Jahr, wo es auf Flur und Treppe nach Tannenbaum und Wachsstock riecht, wo die Geschenkkisten eintreffen von nah und fern und jene gekritzelten Mädchenbriefe, die ein frohes Fest wünschen und ein glückliches neues Jahr. An der ganzen Länge des Tisches hin stehen alle Insassen des Hauses, die Damen zumal, und blicken auf die wohlverpackten Kisten, als wären es Zauber-Commoden, aus deren Fächern und Schubkästen jeden Augenblick eine Wunderwelt emporsteigen könne. Mit einer Feierlichkeit, die Niemand merkt, weil sie Jedem der Ausdruck der eigenen Stimmung ist, langsam und mit unwillkürlichen Pausen, um die Schauer der Erwartung nicht zu kürzen, so werden endlich die Deckel geöffnet, und der knarrende Ton, mit dem die Nägel sich langsam aus dem Holze ziehen, hat seinen Reiz in dieser Stunde. Die Seegras-Hülle weg und nun blinkt es und blitzt es hell herauf! Es sind Geschenke von Sanssouci. Gold und Por- zellan, Bilder und Gemmen, -- Dinge, werthvoll, wie sie die Hand eines Königs, aber auch sinnig zugleich, wie sie nur die Hand eines solchen Königs schenkt. Keiner ist vergessen. Jung und Alt stehen da und blicken, während derselbe Schlag durch alle Herzen geht, auf die Zeichen hoher Huld und Gnade, und während das Haupt der Familie mit bewegter Stimme die Königlichen Worte liest, die diese reichen Gaben begleiten, fallen die Thränen treuer Menschen zwischen die Gemmen und Edelsteine, als gehörten sie dorthin.
Schloß Beuthen ist längst keine Veste mehr, die Brederlow gegen die Hohenzollern hält. Thür und Thor stehen weit offen und die Herzen der Goertzke's dazu.
Wochen ſind vorüber. Wir ſtehen noch einmal in dem ge- räumigen Saal, deſſen Thür auf die Gartentreppe führt. Der Herbſt iſt gekommen, ein klarer Octoberhimmel lacht; in die Pla- tanenblätter miſcht ſich das erſte Gelb, und die Obſtbäume, die über das Weinſpalier wegragen, ſtehen in voller Frucht. Im Gartenſaale aber iſt es, als wären ſchon die Decembertage da, jene ſchönſte Zeit im Jahr, wo es auf Flur und Treppe nach Tannenbaum und Wachsſtock riecht, wo die Geſchenkkiſten eintreffen von nah und fern und jene gekritzelten Mädchenbriefe, die ein frohes Feſt wünſchen und ein glückliches neues Jahr. An der ganzen Länge des Tiſches hin ſtehen alle Inſaſſen des Hauſes, die Damen zumal, und blicken auf die wohlverpackten Kiſten, als wären es Zauber-Commoden, aus deren Fächern und Schubkäſten jeden Augenblick eine Wunderwelt emporſteigen könne. Mit einer Feierlichkeit, die Niemand merkt, weil ſie Jedem der Ausdruck der eigenen Stimmung iſt, langſam und mit unwillkürlichen Pauſen, um die Schauer der Erwartung nicht zu kürzen, ſo werden endlich die Deckel geöffnet, und der knarrende Ton, mit dem die Nägel ſich langſam aus dem Holze ziehen, hat ſeinen Reiz in dieſer Stunde. Die Seegras-Hülle weg und nun blinkt es und blitzt es hell herauf! Es ſind Geſchenke von Sansſouci. Gold und Por- zellan, Bilder und Gemmen, — Dinge, werthvoll, wie ſie die Hand eines Königs, aber auch ſinnig zugleich, wie ſie nur die Hand eines ſolchen Königs ſchenkt. Keiner iſt vergeſſen. Jung und Alt ſtehen da und blicken, während derſelbe Schlag durch alle Herzen geht, auf die Zeichen hoher Huld und Gnade, und während das Haupt der Familie mit bewegter Stimme die Königlichen Worte lieſt, die dieſe reichen Gaben begleiten, fallen die Thränen treuer Menſchen zwiſchen die Gemmen und Edelſteine, als gehörten ſie dorthin.
Schloß Beuthen iſt längſt keine Veſte mehr, die Brederlow gegen die Hohenzollern hält. Thür und Thor ſtehen weit offen und die Herzen der Goertzke’s dazu.
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Wochen ſind vorüber. Wir ſtehen noch einmal in dem ge-
räumigen Saal, deſſen Thür auf die Gartentreppe führt. Der
Herbſt iſt gekommen, ein klarer Octoberhimmel lacht; in die Pla-
tanenblätter miſcht ſich das erſte Gelb, und die Obſtbäume, die
über das Weinſpalier wegragen, ſtehen in voller Frucht. Im
Gartenſaale aber iſt es, als wären ſchon die Decembertage da,
jene ſchönſte Zeit im Jahr, wo es auf Flur und Treppe nach
Tannenbaum und Wachsſtock riecht, wo die Geſchenkkiſten eintreffen
von nah und fern und jene gekritzelten Mädchenbriefe, die ein
frohes Feſt wünſchen und ein glückliches neues Jahr. An der
ganzen Länge des Tiſches hin ſtehen alle Inſaſſen des Hauſes, die
Damen zumal, und blicken auf die wohlverpackten Kiſten, als
wären es Zauber-Commoden, aus deren Fächern und Schubkäſten
jeden Augenblick eine Wunderwelt emporſteigen könne. Mit einer
Feierlichkeit, die Niemand merkt, weil ſie Jedem der Ausdruck der
eigenen Stimmung iſt, langſam und mit unwillkürlichen Pauſen,
um die Schauer der Erwartung nicht zu kürzen, ſo werden endlich
die Deckel geöffnet, und der knarrende Ton, mit dem die Nägel
ſich langſam aus dem Holze ziehen, hat ſeinen Reiz in dieſer
Stunde. Die Seegras-Hülle weg und nun blinkt es und blitzt es
hell herauf! Es ſind Geſchenke von Sansſouci. Gold und Por-
zellan, Bilder und Gemmen, — Dinge, werthvoll, wie ſie die
Hand eines Königs, aber auch ſinnig zugleich, wie ſie nur die
Hand eines ſolchen Königs ſchenkt. Keiner iſt vergeſſen. Jung
und Alt ſtehen da und blicken, während derſelbe Schlag durch alle
Herzen geht, auf die Zeichen hoher Huld und Gnade, und während
das Haupt der Familie mit bewegter Stimme die Königlichen
Worte lieſt, die dieſe reichen Gaben begleiten, fallen die Thränen
treuer Menſchen zwiſchen die Gemmen und Edelſteine, als gehörten
ſie dorthin.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/439>, abgerufen am 21.11.2024.
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