Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erstarrten, Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Tratest Du kühnlich hervor, gesetzt und weis' und besonnen, Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anspruch auf diese Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und be- grenzter, aber innerhalb desselben hatte er sich bewährt. Den grö- ßern Kreis sich zu schaffen, lag außerhalb seiner Macht, aber wo immer er stand, stand er da -- ein ganzer Mann. Er starb hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir sitzen im Herrenhause zu Löwenbruch; die Saal- thür, die in den Garten führt, steht offen, und Duft und Frische dringen zu uns ein. Die Sonne geht eben unter und ein breiter rother Streifen liegt über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles ist Sabbathstille, und geräuschlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeerschalen schmücken den Tisch und lachen uns an; heiter, behaglich fließt der Strom der Rede. Wir sprechen, und die todten Dinge um uns her sprechen auch. Was seit Jahrhunderten hier thätig und lebendig war, es ist nicht todt; irgend ein Etwas ist da, was uns das Vergangene wieder gegenwärtig macht und geheimnißvolle Bande webt zwischen todten und lebenden Geschlech- tern. Vor uns auf dem Tisch steht ein hoher Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterstedts auf seinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeschlagene Sammt-Portiere gewahren wir im Ne- benzimmer die alte Alvensleben'sche Truhe, die nun als Sopha dient; vor uns der Hollunderbaum, der über die Gartenmauer ragt, mahnt uns an Gröben, der im Leinwandkittel unter dem grünen Blätterdache saß und phantastische Schlachten auf seinem Schachbrett schlug; und neben uns, an der Wand, tickt die Pen- deluhr, die Knesebeck der Feldmarschall in Wien erstand, als der Friedens-Congreß die Fürsten Europa's in der heitern alten Kaiserstadt versammelt hielt. Wie viele Denkschriften, Gutachten
Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten, Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag, Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen, Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und be- grenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den grö- ßern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, aber wo immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er ſtarb hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch; die Saal- thür, die in den Garten führt, ſteht offen, und Duft und Friſche dringen zu uns ein. Die Sonne geht eben unter und ein breiter rother Streifen liegt über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles iſt Sabbathſtille, und geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeerſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an; heiter, behaglich fließt der Strom der Rede. Wir ſprechen, und die todten Dinge um uns her ſprechen auch. Was ſeit Jahrhunderten hier thätig und lebendig war, es iſt nicht todt; irgend ein Etwas iſt da, was uns das Vergangene wieder gegenwärtig macht und geheimnißvolle Bande webt zwiſchen todten und lebenden Geſchlech- tern. Vor uns auf dem Tiſch ſteht ein hoher Serpentin-Krug, der das Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Ne- benzimmer die alte Alvensleben’ſche Truhe, die nun als Sopha dient; vor uns der Hollunderbaum, der über die Gartenmauer ragt, mahnt uns an Gröben, der im Leinwandkittel unter dem grünen Blätterdache ſaß und phantaſtiſche Schlachten auf ſeinem Schachbrett ſchlug; und neben uns, an der Wand, tickt die Pen- deluhr, die Kneſebeck der Feldmarſchall in Wien erſtand, als der Friedens-Congreß die Fürſten Europa’s in der heitern alten Kaiſerſtadt verſammelt hielt. Wie viele Denkſchriften, Gutachten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0430"n="412"/><lgtype="poem"><l>Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten,</l><lb/><l>Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,</l><lb/><l>Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen,</l><lb/><l>Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.</l></lg><lb/><p>Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis, in<lb/>
dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und be-<lb/>
grenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den grö-<lb/>
ßern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, aber wo<lb/>
immer er ſtand, ſtand er da — ein <hirendition="#g">ganzer</hi> Mann. Er ſtarb<lb/>
hochbetagt am 11. Juli 1860.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Wir ſitzen im <hirendition="#g">Herrenhauſe</hi> zu <hirendition="#g">Löwenbruch</hi>; die Saal-<lb/>
thür, die in den Garten führt, ſteht offen, und Duft und Friſche<lb/>
dringen zu uns ein. Die Sonne geht eben unter und ein breiter<lb/>
rother Streifen liegt über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles<lb/>
iſt Sabbathſtille, und geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch<lb/>
die Luft. Erdbeerſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an;<lb/>
heiter, behaglich fließt der Strom der Rede. Wir ſprechen, und die<lb/>
todten Dinge um uns her ſprechen auch. Was ſeit Jahrhunderten<lb/>
hier thätig und lebendig war, es iſt nicht todt; irgend ein Etwas<lb/>
iſt da, was uns das Vergangene wieder gegenwärtig macht und<lb/>
geheimnißvolle Bande webt zwiſchen todten und lebenden Geſchlech-<lb/>
tern. Vor uns auf dem Tiſch ſteht ein hoher Serpentin-Krug,<lb/>
der das Wappen der <hirendition="#g">Otterſtedts</hi> auf ſeinem Silberdeckel trägt;<lb/>
durch die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Ne-<lb/>
benzimmer die alte <hirendition="#g">Alvensleben</hi>’ſche Truhe, die nun als Sopha<lb/>
dient; vor uns der Hollunderbaum, der über die Gartenmauer<lb/>
ragt, mahnt uns an <hirendition="#g">Gröben</hi>, der im Leinwandkittel unter dem<lb/>
grünen Blätterdache ſaß und phantaſtiſche Schlachten auf ſeinem<lb/>
Schachbrett ſchlug; und neben uns, an der Wand, tickt die Pen-<lb/>
deluhr, die <hirendition="#g">Kneſebeck der Feldmarſchall</hi> in Wien erſtand, als<lb/>
der Friedens-Congreß die Fürſten Europa’s in der heitern alten<lb/>
Kaiſerſtadt verſammelt hielt. Wie viele Denkſchriften, Gutachten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[412/0430]
Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüther erſtarrten,
Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,
Trateſt Du kühnlich hervor, geſetzt und weiſ’ und beſonnen,
Zu beſchwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.
Er hatte wohl Anſpruch auf dieſe Huldigung. Der Kreis, in
dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und be-
grenzter, aber innerhalb deſſelben hatte er ſich bewährt. Den grö-
ßern Kreis ſich zu ſchaffen, lag außerhalb ſeiner Macht, aber wo
immer er ſtand, ſtand er da — ein ganzer Mann. Er ſtarb
hochbetagt am 11. Juli 1860.
Wir ſitzen im Herrenhauſe zu Löwenbruch; die Saal-
thür, die in den Garten führt, ſteht offen, und Duft und Friſche
dringen zu uns ein. Die Sonne geht eben unter und ein breiter
rother Streifen liegt über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles
iſt Sabbathſtille, und geräuſchlos zieht ein Schwarm Tauben durch
die Luft. Erdbeerſchalen ſchmücken den Tiſch und lachen uns an;
heiter, behaglich fließt der Strom der Rede. Wir ſprechen, und die
todten Dinge um uns her ſprechen auch. Was ſeit Jahrhunderten
hier thätig und lebendig war, es iſt nicht todt; irgend ein Etwas
iſt da, was uns das Vergangene wieder gegenwärtig macht und
geheimnißvolle Bande webt zwiſchen todten und lebenden Geſchlech-
tern. Vor uns auf dem Tiſch ſteht ein hoher Serpentin-Krug,
der das Wappen der Otterſtedts auf ſeinem Silberdeckel trägt;
durch die zurückgeſchlagene Sammt-Portière gewahren wir im Ne-
benzimmer die alte Alvensleben’ſche Truhe, die nun als Sopha
dient; vor uns der Hollunderbaum, der über die Gartenmauer
ragt, mahnt uns an Gröben, der im Leinwandkittel unter dem
grünen Blätterdache ſaß und phantaſtiſche Schlachten auf ſeinem
Schachbrett ſchlug; und neben uns, an der Wand, tickt die Pen-
deluhr, die Kneſebeck der Feldmarſchall in Wien erſtand, als
der Friedens-Congreß die Fürſten Europa’s in der heitern alten
Kaiſerſtadt verſammelt hielt. Wie viele Denkſchriften, Gutachten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/430>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.