Gasthaus. Sie ist es nach jenem Naturgesetz, das in unwirth- baren Gegenden aus jedem Hause ein Gasthaus macht. Die oft angerufene und oft gewährte Hülfe, führt schließlich dazu, die Hülfe zu einem Geschäft zu machen. So auch die Müggelbude. Aber es ist ein wild-verwogenes Geschlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfah- ren haben mag, daß das Unglück nicht nur zu seltsamen Schlaf- kameraden führt, sondern auch umgekehrt seltsame Schlafkameraden bringt, hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um sein Haus vor ihnen sicher zu stellen. Seine Müggelbude oben auf geborge- ner Düne, ist "Gasthaus erster Klasse", für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat er am Fuß der Düne, auf dem schmalen Streifen zwischen See und Berg, eine Art Schiffer- Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das sich See und Sand beständig streitig machen, erheben sich Holzhütten mit etwas gewölbtem Dach, die sich bei näherer Besichtigung als ausrangirte Schiffskajüten zu erkennen geben. Durch die halb offen stehende Thür gewinnt man Einblick in das Innere: auf vier hohen Pfo- sten ruht ein roh zusammengenagelter Kasten, groß genug für zwei oder drei Schläfer, und mit nichts ausgestattet, als mit etwas niedergelegenem Stroh. Das ist Alles, was die Gastlichkeit der Müggelbude bietet, und doch muß es hier ein wunderbares Schlafen sein, wenn in Winternächten die glitzernden Sterne durch die halbhandbreiten Ritzen in dies Schlafgemach hineinblicken und der See, als wolle er sich warm schlagen in der bittern Kälte, seine Wellen bis unter das Bett der Schlafenden schickt. Nur schade, die Schiffer, die hier des Weges kommen, sind wohl die letzten sich dieses Zaubers zu freuen.
Die Müggelbude steht hoch; unmittelbar daneben flachen sich die Ufer ab und bilden einen kaum 10 Fuß hohen Sandgürtel, der nach vorn hin, wie eine Mauer steil abfallend, den See in seiner ganzen Ausdehnung umzirkt. Auf diesem Sandgürtel neh- men wir Platz und eine knorrige Fichte im Rücken, deren vorge- beugter Schirm schon halb über dem Wasser schwebt, sitzen wir
Gaſthaus. Sie iſt es nach jenem Naturgeſetz, das in unwirth- baren Gegenden aus jedem Hauſe ein Gaſthaus macht. Die oft angerufene und oft gewährte Hülfe, führt ſchließlich dazu, die Hülfe zu einem Geſchäft zu machen. So auch die Müggelbude. Aber es iſt ein wild-verwogenes Geſchlecht, das hier anpocht, um Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfah- ren haben mag, daß das Unglück nicht nur zu ſeltſamen Schlaf- kameraden führt, ſondern auch umgekehrt ſeltſame Schlafkameraden bringt, hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um ſein Haus vor ihnen ſicher zu ſtellen. Seine Müggelbude oben auf geborge- ner Düne, iſt „Gaſthaus erſter Klaſſe“, für die Unbekannten und Schlecht-Legitimirten aber hat er am Fuß der Düne, auf dem ſchmalen Streifen zwiſchen See und Berg, eine Art Schiffer- Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das ſich See und Sand beſtändig ſtreitig machen, erheben ſich Holzhütten mit etwas gewölbtem Dach, die ſich bei näherer Beſichtigung als ausrangirte Schiffskajüten zu erkennen geben. Durch die halb offen ſtehende Thür gewinnt man Einblick in das Innere: auf vier hohen Pfo- ſten ruht ein roh zuſammengenagelter Kaſten, groß genug für zwei oder drei Schläfer, und mit nichts ausgeſtattet, als mit etwas niedergelegenem Stroh. Das iſt Alles, was die Gaſtlichkeit der Müggelbude bietet, und doch muß es hier ein wunderbares Schlafen ſein, wenn in Winternächten die glitzernden Sterne durch die halbhandbreiten Ritzen in dies Schlafgemach hineinblicken und der See, als wolle er ſich warm ſchlagen in der bittern Kälte, ſeine Wellen bis unter das Bett der Schlafenden ſchickt. Nur ſchade, die Schiffer, die hier des Weges kommen, ſind wohl die letzten ſich dieſes Zaubers zu freuen.
Die Müggelbude ſteht hoch; unmittelbar daneben flachen ſich die Ufer ab und bilden einen kaum 10 Fuß hohen Sandgürtel, der nach vorn hin, wie eine Mauer ſteil abfallend, den See in ſeiner ganzen Ausdehnung umzirkt. Auf dieſem Sandgürtel neh- men wir Platz und eine knorrige Fichte im Rücken, deren vorge- beugter Schirm ſchon halb über dem Waſſer ſchwebt, ſitzen wir
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Gaſthaus. Sie iſt es nach jenem Naturgeſetz, das in unwirth-
baren Gegenden aus jedem Hauſe ein Gaſthaus macht. Die oft
angerufene und oft gewährte Hülfe, führt ſchließlich dazu, die
Hülfe zu einem Geſchäft zu machen. So auch die Müggelbude.
Aber es iſt ein wild-verwogenes Geſchlecht, das hier anpocht, um
Unterkommen oder Hülfe zu finden, und der Fährmann, der erfah-
ren haben mag, daß das Unglück nicht nur zu ſeltſamen Schlaf-
kameraden führt, ſondern auch umgekehrt ſeltſame Schlafkameraden
bringt, hat wohlweislich Vorkehrungen getroffen, um ſein Haus
vor ihnen ſicher zu ſtellen. Seine Müggelbude oben auf geborge-
ner Düne, iſt „Gaſthaus erſter Klaſſe“, für die Unbekannten und
Schlecht-Legitimirten aber hat er am Fuß der Düne, auf dem
ſchmalen Streifen zwiſchen See und Berg, eine Art Schiffer-
Ghetto aufgeführt. Hier auf einem Terrain, das ſich See und
Sand beſtändig ſtreitig machen, erheben ſich Holzhütten mit etwas
gewölbtem Dach, die ſich bei näherer Beſichtigung als ausrangirte
Schiffskajüten zu erkennen geben. Durch die halb offen ſtehende
Thür gewinnt man Einblick in das Innere: auf vier hohen Pfo-
ſten ruht ein roh zuſammengenagelter Kaſten, groß genug für
zwei oder drei Schläfer, und mit nichts ausgeſtattet, als mit
etwas niedergelegenem Stroh. Das iſt Alles, was die Gaſtlichkeit
der Müggelbude bietet, und doch muß es hier ein wunderbares
Schlafen ſein, wenn in Winternächten die glitzernden Sterne
durch die halbhandbreiten Ritzen in dies Schlafgemach hineinblicken
und der See, als wolle er ſich warm ſchlagen in der bittern
Kälte, ſeine Wellen bis unter das Bett der Schlafenden ſchickt.
Nur ſchade, die Schiffer, die hier des Weges kommen, ſind wohl
die letzten ſich dieſes Zaubers zu freuen.
Die Müggelbude ſteht hoch; unmittelbar daneben flachen ſich
die Ufer ab und bilden einen kaum 10 Fuß hohen Sandgürtel,
der nach vorn hin, wie eine Mauer ſteil abfallend, den See in
ſeiner ganzen Ausdehnung umzirkt. Auf dieſem Sandgürtel neh-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/392>, abgerufen am 24.11.2024.
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