Seit der Franzosenzeit hat kein Gottesdienst mehr in dieser Kirche stattgefunden, und man könnte sich versucht halten, diese vier grauen Mauern für einen Bau anzusehen, der von Uranfang an eine Remise war und weiter nichts, wenn man nicht in jüng- ster Zeit unterhalb der Kirche ein weites Gewölbe mit verschiednen Särgen entdeckt hätte. Der am besten erhaltene dieser Särge, mit einem Kupfereinsatz, trug die Aufschrift: "Hildebrand von Kracht, Oberst und Kommandant von Küstrin." Man öffnete den Sarg und fand einen echten Kracht. Die Krachte sagen nämlich von jedem Familienmitglied, das unter sechs Fuß lang ist: "Der ist aus der Art geschlagen." Dieser maß drei Zoll darüber.
Um diese alte Kirche her befand sich ein Kirchhof. Auf die- sem Kirchhof wurde Katt beerdigt. Erst auf die Bitten sei- nes Vaters, des Generallieutenants von Katt, wurde der Sarg wieder ausgegraben und nach Wust bei Jerichow (im Altmär- kischen, dicht an der Havelländischen Grenze) in das Erbbegräbniß der Familie gebracht. Dort steht der Sarg noch; das Skelett ist wohlerhalten.
Der Name Katts führt uns wieder auf die Fridericianische Zeit, auf das Jahr 1730. Die oft erzählten Ereignisse wiederhole ich nicht. Am 5. September war Kronprinz Friedrich unter Escorte in Küstrin eingetroffen, am Morgen des 6. Novembers fiel Katts Haupt. Jeder, der nach Küstrin kommt, wird den Wunsch haben, die betreffende Lokalität kennen zu lernen. Ich theile hier mit, was ich davon gesehen und großentheils durch die Güte des Herrn Kommandanten selbst, habe in Erfahrung bringen können.
Nach der Oderseite hinaus, hart am Ufer des Flusses, liegt Bastion Brandenburg. Auf der Höhe dieser Bastion erhebt sich das alte markgräfliche Schloß, das unter den ersten Königen vom Kommandanten bewohnt wurde, jetzt aber als Kaserne (Schloß- kaserne) dient. Es bildet ein Viereck und war früher von mehreren Thürmen flankirt. Von diesen Thürmen existiren nur noch zwei: ein niedriger Rundthurm an der Westecke und ein hoher acht- eckiger Thurm an der Ostseite. Es steht fest, daß Kronprinz Fried-
Seit der Franzoſenzeit hat kein Gottesdienſt mehr in dieſer Kirche ſtattgefunden, und man könnte ſich verſucht halten, dieſe vier grauen Mauern für einen Bau anzuſehen, der von Uranfang an eine Remiſe war und weiter nichts, wenn man nicht in jüng- ſter Zeit unterhalb der Kirche ein weites Gewölbe mit verſchiednen Särgen entdeckt hätte. Der am beſten erhaltene dieſer Särge, mit einem Kupfereinſatz, trug die Aufſchrift: „Hildebrand von Kracht, Oberſt und Kommandant von Küſtrin.“ Man öffnete den Sarg und fand einen echten Kracht. Die Krachte ſagen nämlich von jedem Familienmitglied, das unter ſechs Fuß lang iſt: „Der iſt aus der Art geſchlagen.“ Dieſer maß drei Zoll darüber.
Um dieſe alte Kirche her befand ſich ein Kirchhof. Auf die- ſem Kirchhof wurde Katt beerdigt. Erſt auf die Bitten ſei- nes Vaters, des Generallieutenants von Katt, wurde der Sarg wieder ausgegraben und nach Wuſt bei Jerichow (im Altmär- kiſchen, dicht an der Havelländiſchen Grenze) in das Erbbegräbniß der Familie gebracht. Dort ſteht der Sarg noch; das Skelett iſt wohlerhalten.
Der Name Katts führt uns wieder auf die Fridericianiſche Zeit, auf das Jahr 1730. Die oft erzählten Ereigniſſe wiederhole ich nicht. Am 5. September war Kronprinz Friedrich unter Escorte in Küſtrin eingetroffen, am Morgen des 6. Novembers fiel Katts Haupt. Jeder, der nach Küſtrin kommt, wird den Wunſch haben, die betreffende Lokalität kennen zu lernen. Ich theile hier mit, was ich davon geſehen und großentheils durch die Güte des Herrn Kommandanten ſelbſt, habe in Erfahrung bringen können.
Nach der Oderſeite hinaus, hart am Ufer des Fluſſes, liegt Baſtion Brandenburg. Auf der Höhe dieſer Baſtion erhebt ſich das alte markgräfliche Schloß, das unter den erſten Königen vom Kommandanten bewohnt wurde, jetzt aber als Kaſerne (Schloß- kaſerne) dient. Es bildet ein Viereck und war früher von mehreren Thürmen flankirt. Von dieſen Thürmen exiſtiren nur noch zwei: ein niedriger Rundthurm an der Weſtecke und ein hoher acht- eckiger Thurm an der Oſtſeite. Es ſteht feſt, daß Kronprinz Fried-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0352"n="334"/><p>Seit der Franzoſenzeit hat kein Gottesdienſt mehr in dieſer<lb/>
Kirche ſtattgefunden, und man könnte ſich verſucht halten, dieſe<lb/>
vier grauen Mauern für einen Bau anzuſehen, der von Uranfang<lb/>
an eine Remiſe war und weiter nichts, wenn man nicht in jüng-<lb/>ſter Zeit unterhalb der Kirche ein weites Gewölbe mit verſchiednen<lb/>
Särgen entdeckt hätte. Der am beſten erhaltene dieſer Särge, mit<lb/>
einem Kupfereinſatz, trug die Aufſchrift: „Hildebrand von Kracht,<lb/>
Oberſt und Kommandant von Küſtrin.“ Man öffnete den Sarg<lb/>
und fand einen <hirendition="#g">echten Kracht</hi>. Die Krachte ſagen nämlich von<lb/>
jedem Familienmitglied, das unter ſechs Fuß lang iſt: „Der iſt aus<lb/>
der Art geſchlagen.“ Dieſer maß drei Zoll darüber.</p><lb/><p>Um dieſe alte Kirche her befand ſich ein Kirchhof. <hirendition="#g">Auf die-<lb/>ſem Kirchhof wurde Katt beerdigt</hi>. Erſt auf die Bitten ſei-<lb/>
nes Vaters, des Generallieutenants von Katt, wurde der Sarg<lb/>
wieder ausgegraben und nach Wuſt bei Jerichow (im Altmär-<lb/>
kiſchen, dicht an der Havelländiſchen Grenze) in das Erbbegräbniß<lb/>
der Familie gebracht. Dort ſteht der Sarg noch; das Skelett iſt<lb/>
wohlerhalten.</p><lb/><p>Der Name Katts führt uns wieder auf die Fridericianiſche<lb/>
Zeit, auf das Jahr 1730. Die oft erzählten Ereigniſſe wiederhole<lb/>
ich nicht. Am 5. September war Kronprinz Friedrich unter Escorte<lb/>
in Küſtrin eingetroffen, am Morgen des 6. Novembers fiel Katts<lb/>
Haupt. Jeder, der nach Küſtrin kommt, wird den Wunſch haben,<lb/>
die betreffende Lokalität kennen zu lernen. Ich theile hier mit, was<lb/>
ich davon geſehen und großentheils durch die Güte des Herrn<lb/>
Kommandanten ſelbſt, habe in Erfahrung bringen können.</p><lb/><p>Nach der Oderſeite hinaus, hart am Ufer des Fluſſes, liegt<lb/>
Baſtion <hirendition="#g">Brandenburg</hi>. Auf der Höhe dieſer Baſtion erhebt ſich<lb/>
das alte markgräfliche Schloß, das unter den erſten Königen vom<lb/>
Kommandanten bewohnt wurde, jetzt aber als Kaſerne (Schloß-<lb/>
kaſerne) dient. Es bildet ein Viereck und war früher von mehreren<lb/>
Thürmen flankirt. Von dieſen Thürmen exiſtiren nur noch zwei:<lb/>
ein niedriger Rundthurm an der Weſtecke und ein hoher acht-<lb/>
eckiger Thurm an der Oſtſeite. Es ſteht feſt, daß Kronprinz Fried-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[334/0352]
Seit der Franzoſenzeit hat kein Gottesdienſt mehr in dieſer
Kirche ſtattgefunden, und man könnte ſich verſucht halten, dieſe
vier grauen Mauern für einen Bau anzuſehen, der von Uranfang
an eine Remiſe war und weiter nichts, wenn man nicht in jüng-
ſter Zeit unterhalb der Kirche ein weites Gewölbe mit verſchiednen
Särgen entdeckt hätte. Der am beſten erhaltene dieſer Särge, mit
einem Kupfereinſatz, trug die Aufſchrift: „Hildebrand von Kracht,
Oberſt und Kommandant von Küſtrin.“ Man öffnete den Sarg
und fand einen echten Kracht. Die Krachte ſagen nämlich von
jedem Familienmitglied, das unter ſechs Fuß lang iſt: „Der iſt aus
der Art geſchlagen.“ Dieſer maß drei Zoll darüber.
Um dieſe alte Kirche her befand ſich ein Kirchhof. Auf die-
ſem Kirchhof wurde Katt beerdigt. Erſt auf die Bitten ſei-
nes Vaters, des Generallieutenants von Katt, wurde der Sarg
wieder ausgegraben und nach Wuſt bei Jerichow (im Altmär-
kiſchen, dicht an der Havelländiſchen Grenze) in das Erbbegräbniß
der Familie gebracht. Dort ſteht der Sarg noch; das Skelett iſt
wohlerhalten.
Der Name Katts führt uns wieder auf die Fridericianiſche
Zeit, auf das Jahr 1730. Die oft erzählten Ereigniſſe wiederhole
ich nicht. Am 5. September war Kronprinz Friedrich unter Escorte
in Küſtrin eingetroffen, am Morgen des 6. Novembers fiel Katts
Haupt. Jeder, der nach Küſtrin kommt, wird den Wunſch haben,
die betreffende Lokalität kennen zu lernen. Ich theile hier mit, was
ich davon geſehen und großentheils durch die Güte des Herrn
Kommandanten ſelbſt, habe in Erfahrung bringen können.
Nach der Oderſeite hinaus, hart am Ufer des Fluſſes, liegt
Baſtion Brandenburg. Auf der Höhe dieſer Baſtion erhebt ſich
das alte markgräfliche Schloß, das unter den erſten Königen vom
Kommandanten bewohnt wurde, jetzt aber als Kaſerne (Schloß-
kaſerne) dient. Es bildet ein Viereck und war früher von mehreren
Thürmen flankirt. Von dieſen Thürmen exiſtiren nur noch zwei:
ein niedriger Rundthurm an der Weſtecke und ein hoher acht-
eckiger Thurm an der Oſtſeite. Es ſteht feſt, daß Kronprinz Fried-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/352>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.