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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Coup; denn abgesehen davon, daß das Gehölz selbst den heftigsten
Widerstand entgegensetzen konnte, so bestrichen auch die Geschütze
des feindlichen Flügels, je nachdem man links oder rechts vor-
ging, die anrückenden Truppen der Verbündeten, während, wenn die
Kanonade schwieg, die Kavallerie jeden Augenblick in die in Un-
ordnung gerathenen Regimenter einbrechen konnte. Sparr erkannte
die ganze Schwierigkeit; dennoch rückte er vor und führte die
Sache siegreich hinaus. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er den im
Walde versteckten Feind zuerst durch concentrisches Geschützfeuer
in's Schwanken brachte und endlich ihn zwang, sich hügelanwärts
aus dem Walde herauszuziehen. Diesen Moment des Rückzuges
benutzte er jetzt zu einem allgemeinen Angriff: die nachrückenden
Infanterie-Regimenter säuberten das Gehölz, während die Kaval-
lerie (fünf Schwadronen brandenburgische Kürassiere) bergan stürmte
und die durch ihre eigene Infanterie bereits in Unordnung ge-
rathene polnische Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen
warf. Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Position, und
zwar an der allerstärksten Stelle, herausgeworfen, wandten sich die
Polen zur Flucht und wurden theils in einen Morast, theils in
die Weichsel gejagt. Viele ertranken. Die Verbündeten hielten an-
dern Tags ihren Einzug in Warschau.

Es war dies, beinahe 20 Jahre vor dem Tage von Fehr-
bellin, die erste große Waffenthat der Brandenburger. Sie waren
von diesem Tage an, mehr als hundert Jahre lang, nämlich vom
18. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757 immer siegreich; erst
der Tag von Kollin brachte die Demüthigung einer Niederlage.

Wenn diese erste Ruhmesschlacht der Brandenburger verhält-
nißmäßig wenig im Herzen unseres Volkes lebt, und z. B. was
Popularität des Namens angeht, trotz ihrer dreitägigen Dauer mit
der dreistündigen Schlacht von Fehrbellin gar nicht verglichen wer-
den kann, so hat das zunächst darin seinen Grund, daß alle Siege,
bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten,
immer nur dem letzteren als kriegerische Großthat angerechnet wer-
den. Die Stärkeren verfahren dabei systematisch-absprechend und

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Coup; denn abgeſehen davon, daß das Gehölz ſelbſt den heftigſten
Widerſtand entgegenſetzen konnte, ſo beſtrichen auch die Geſchütze
des feindlichen Flügels, je nachdem man links oder rechts vor-
ging, die anrückenden Truppen der Verbündeten, während, wenn die
Kanonade ſchwieg, die Kavallerie jeden Augenblick in die in Un-
ordnung gerathenen Regimenter einbrechen konnte. Sparr erkannte
die ganze Schwierigkeit; dennoch rückte er vor und führte die
Sache ſiegreich hinaus. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß er den im
Walde verſteckten Feind zuerſt durch concentriſches Geſchützfeuer
in’s Schwanken brachte und endlich ihn zwang, ſich hügelanwärts
aus dem Walde herauszuziehen. Dieſen Moment des Rückzuges
benutzte er jetzt zu einem allgemeinen Angriff: die nachrückenden
Infanterie-Regimenter ſäuberten das Gehölz, während die Kaval-
lerie (fünf Schwadronen brandenburgiſche Küraſſiere) bergan ſtürmte
und die durch ihre eigene Infanterie bereits in Unordnung ge-
rathene polniſche Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen
warf. Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Poſition, und
zwar an der allerſtärkſten Stelle, herausgeworfen, wandten ſich die
Polen zur Flucht und wurden theils in einen Moraſt, theils in
die Weichſel gejagt. Viele ertranken. Die Verbündeten hielten an-
dern Tags ihren Einzug in Warſchau.

Es war dies, beinahe 20 Jahre vor dem Tage von Fehr-
bellin, die erſte große Waffenthat der Brandenburger. Sie waren
von dieſem Tage an, mehr als hundert Jahre lang, nämlich vom
18. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757 immer ſiegreich; erſt
der Tag von Kollin brachte die Demüthigung einer Niederlage.

Wenn dieſe erſte Ruhmesſchlacht der Brandenburger verhält-
nißmäßig wenig im Herzen unſeres Volkes lebt, und z. B. was
Popularität des Namens angeht, trotz ihrer dreitägigen Dauer mit
der dreiſtündigen Schlacht von Fehrbellin gar nicht verglichen wer-
den kann, ſo hat das zunächſt darin ſeinen Grund, daß alle Siege,
bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten,
immer nur dem letzteren als kriegeriſche Großthat angerechnet wer-
den. Die Stärkeren verfahren dabei ſyſtematiſch-abſprechend und

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[305/0323] Coup; denn abgeſehen davon, daß das Gehölz ſelbſt den heftigſten Widerſtand entgegenſetzen konnte, ſo beſtrichen auch die Geſchütze des feindlichen Flügels, je nachdem man links oder rechts vor- ging, die anrückenden Truppen der Verbündeten, während, wenn die Kanonade ſchwieg, die Kavallerie jeden Augenblick in die in Un- ordnung gerathenen Regimenter einbrechen konnte. Sparr erkannte die ganze Schwierigkeit; dennoch rückte er vor und führte die Sache ſiegreich hinaus. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß er den im Walde verſteckten Feind zuerſt durch concentriſches Geſchützfeuer in’s Schwanken brachte und endlich ihn zwang, ſich hügelanwärts aus dem Walde herauszuziehen. Dieſen Moment des Rückzuges benutzte er jetzt zu einem allgemeinen Angriff: die nachrückenden Infanterie-Regimenter ſäuberten das Gehölz, während die Kaval- lerie (fünf Schwadronen brandenburgiſche Küraſſiere) bergan ſtürmte und die durch ihre eigene Infanterie bereits in Unordnung ge- rathene polniſche Reiterei nach kurzem Kampf über den Haufen warf. Einmal aus ihrer unangreifbar geglaubten Poſition, und zwar an der allerſtärkſten Stelle, herausgeworfen, wandten ſich die Polen zur Flucht und wurden theils in einen Moraſt, theils in die Weichſel gejagt. Viele ertranken. Die Verbündeten hielten an- dern Tags ihren Einzug in Warſchau. Es war dies, beinahe 20 Jahre vor dem Tage von Fehr- bellin, die erſte große Waffenthat der Brandenburger. Sie waren von dieſem Tage an, mehr als hundert Jahre lang, nämlich vom 18. Juli 1656 bis zum 18. Juni 1757 immer ſiegreich; erſt der Tag von Kollin brachte die Demüthigung einer Niederlage. Wenn dieſe erſte Ruhmesſchlacht der Brandenburger verhält- nißmäßig wenig im Herzen unſeres Volkes lebt, und z. B. was Popularität des Namens angeht, trotz ihrer dreitägigen Dauer mit der dreiſtündigen Schlacht von Fehrbellin gar nicht verglichen wer- den kann, ſo hat das zunächſt darin ſeinen Grund, daß alle Siege, bei denen kleinere Völker an der Seite eines größeren auftreten, immer nur dem letzteren als kriegeriſche Großthat angerechnet wer- den. Die Stärkeren verfahren dabei ſyſtematiſch-abſprechend und 20

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/323>, abgerufen am 23.11.2024.