Wenn vor des Pfarrhofs kleinen Zellen Nun bald die Lindenknospen schwellen, Wenn Vögel in den Ahorn-Hecken Die weißen Eierchen verstecken, Dann kommst Du, unfres Glückes froh, Im Hute von geflochtnem Stroh, Zu athmen hier voll Veilchenduft Werneuchen's reine Frühlingsluft. Schmidt von Werneuchen.
Inmitten des alten Landes Barnim, halben Wegs zwischen Ber- lin und Neustadt-Eberswalde, liegt das Städtchen Werneuchen. Ich sage Städtchen, um dem Local-Patriotismus einzelner seiner Bewohner nicht zu nahe zu treten, die das Beiwort "Stadt" für ironische Uebertreibung und die Bezeichnung "Flecken" als Mangel an Respect ansehen möchten. Ich hüte mich weislich vor jeder Partei-Ergreifung in dieser delicaten Frage und verweigere mit gleicher Entschiedenheit, an dem Kampfe Theil zu nehmen, der über die Ableitung des Wortes "Werneuchen" tobt. Die ganze Erbitte- rung, die auf dem Felde der vergleichenden Sprachforschung nur jemals zu Tage trat, hat sich auch hier bewährt, und die Partei "Bernau" (wiewohl mehrmals geschlagen) steht der Partei "War- now" noch immer voll ungebrochenen Muthes gegenüber. Wer- neuchen ist Klein-Bernau, sagen die Einen und deduciren etwa wie folgt: Klein-Bernau = Bernäuchen, und Bernäuchen = Werneu- chen. Mit nichten, erwidern die Andern; Werneuchen ist Klein-
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Werneuchen.
Wenn vor des Pfarrhofs kleinen Zellen Nun bald die Lindenknospen ſchwellen, Wenn Vögel in den Ahorn-Hecken Die weißen Eierchen verſtecken, Dann kommſt Du, unfres Glückes froh, Im Hute von geflochtnem Stroh, Zu athmen hier voll Veilchenduft Werneuchen’s reine Frühlingsluft. Schmidt von Werneuchen.
Inmitten des alten Landes Barnim, halben Wegs zwiſchen Ber- lin und Neuſtadt-Eberswalde, liegt das Städtchen Werneuchen. Ich ſage Städtchen, um dem Local-Patriotismus einzelner ſeiner Bewohner nicht zu nahe zu treten, die das Beiwort „Stadt“ für ironiſche Uebertreibung und die Bezeichnung „Flecken“ als Mangel an Reſpect anſehen möchten. Ich hüte mich weislich vor jeder Partei-Ergreifung in dieſer delicaten Frage und verweigere mit gleicher Entſchiedenheit, an dem Kampfe Theil zu nehmen, der über die Ableitung des Wortes „Werneuchen“ tobt. Die ganze Erbitte- rung, die auf dem Felde der vergleichenden Sprachforſchung nur jemals zu Tage trat, hat ſich auch hier bewährt, und die Partei „Bernau“ (wiewohl mehrmals geſchlagen) ſteht der Partei „War- now“ noch immer voll ungebrochenen Muthes gegenüber. Wer- neuchen iſt Klein-Bernau, ſagen die Einen und deduciren etwa wie folgt: Klein-Bernau = Bernäuchen, und Bernäuchen = Werneu- chen. Mit nichten, erwidern die Andern; Werneuchen iſt Klein-
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Werneuchen.
Wenn vor des Pfarrhofs kleinen Zellen
Nun bald die Lindenknospen ſchwellen,
Wenn Vögel in den Ahorn-Hecken
Die weißen Eierchen verſtecken,
Dann kommſt Du, unfres Glückes froh,
Im Hute von geflochtnem Stroh,
Zu athmen hier voll Veilchenduft
Werneuchen’s reine Frühlingsluft.
Schmidt von Werneuchen.
Inmitten des alten Landes Barnim, halben Wegs zwiſchen Ber-
lin und Neuſtadt-Eberswalde, liegt das Städtchen Werneuchen.
Ich ſage Städtchen, um dem Local-Patriotismus einzelner ſeiner
Bewohner nicht zu nahe zu treten, die das Beiwort „Stadt“ für
ironiſche Uebertreibung und die Bezeichnung „Flecken“ als Mangel
an Reſpect anſehen möchten. Ich hüte mich weislich vor jeder
Partei-Ergreifung in dieſer delicaten Frage und verweigere mit
gleicher Entſchiedenheit, an dem Kampfe Theil zu nehmen, der über
die Ableitung des Wortes „Werneuchen“ tobt. Die ganze Erbitte-
rung, die auf dem Felde der vergleichenden Sprachforſchung nur
jemals zu Tage trat, hat ſich auch hier bewährt, und die Partei
„Bernau“ (wiewohl mehrmals geſchlagen) ſteht der Partei „War-
now“ noch immer voll ungebrochenen Muthes gegenüber. Wer-
neuchen iſt Klein-Bernau, ſagen die Einen und deduciren etwa wie
folgt: Klein-Bernau = Bernäuchen, und Bernäuchen = Werneu-
chen. Mit nichten, erwidern die Andern; Werneuchen iſt Klein-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. [273]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/291>, abgerufen am 24.11.2024.
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