setzen lassen, dessen hochbetrübteste Wittwe, Ehrengard Maria Freifrau von Canstein, geborne v. d. Schulenburg, 1708.
Die "hochbetrübteste Wittwe" indeß war ein Kind ihrer Zeit, d. h. sie verheirathete sich wieder und zwar in kürzester Frist. Sie wurde dann abermals eine Wittwe, aber nur um sich bald darauf zum dritten Mal zu vermählen. Das war damals Landesbrauch in den Marken, und wir werden noch im Lauf dieses Aufsatzes die Bekanntschaft eines hervorragenden Mannes jener Epoche machen, der außer seinem Vater und Schwiegervater zwei Stiefväter und zwei Stiefschwiegerväter hatte, also sechs Väter im Ganzen. (Der große Kurfürst war zweimal, der alte Derfflinger zweimal, König Friedrich I. dreimal verheirathet; so viele Andere noch.) Es war damals, als ob Alles, was lebte, sich einen Zustand der Ehe- losigkeit nicht denken konnte, und einzelne Ausnahmefälle abgerech- net, sprach sich in dem Allen viel weniger eine Frivolität, als eine Fülle des Lebens aus. Man hielt das Trauerjahr und war in aller Aufrichtigkeit ein tief betrübter Wittwer, oder eine "hochbe- trübteste Wittwe." Aber sobald die Trauerkleider fielen, gehörte man wieder dem Leben; das Blut, das voll zum Herzen drang, forderte sein Recht. Das sinnliche Leben überwog noch das geistige, und die Welt feinen Empfindens war noch wenig erschlossen. Aber freilich auch die Irrwege nicht, zu denen die Feinheit der Empfin- dung so leicht verführt.
Auch von der betrübten Wittwe unseres tapferen Obristen findet sich ein Bildwerk im Anbau der Kirche vor; kein Grabdenk- mal, nichts von Sensenmann und Sarkophag, vielmehr ihr Oel- porträt in ganzer Figur, frisch, blühend, voll. Es ist ein sehr interessantes Bild, einmal als künstlerische Leistung überhaupt, un- gleich mehr aber durch die ingeniöse Art, wie der Maler es ver- standen hat, die drei Ehemänner der noch stattlichen Frau halb huldigend, halb decorativ zu verwenden. Wie Macbeth in der be- kannten Hexenkessel-Scene die Könige Schottlands an sich vorüber ziehen sieht und zwar so, daß die letzten, die der Zeit nach am weitesten von ihm entfernt sind, immer kleiner und blasser werden,
ſetzen laſſen, deſſen hochbetrübteſte Wittwe, Ehrengard Maria Freifrau von Canſtein, geborne v. d. Schulenburg, 1708.
Die „hochbetrübteſte Wittwe“ indeß war ein Kind ihrer Zeit, d. h. ſie verheirathete ſich wieder und zwar in kürzeſter Friſt. Sie wurde dann abermals eine Wittwe, aber nur um ſich bald darauf zum dritten Mal zu vermählen. Das war damals Landesbrauch in den Marken, und wir werden noch im Lauf dieſes Aufſatzes die Bekanntſchaft eines hervorragenden Mannes jener Epoche machen, der außer ſeinem Vater und Schwiegervater zwei Stiefväter und zwei Stiefſchwiegerväter hatte, alſo ſechs Väter im Ganzen. (Der große Kurfürſt war zweimal, der alte Derfflinger zweimal, König Friedrich I. dreimal verheirathet; ſo viele Andere noch.) Es war damals, als ob Alles, was lebte, ſich einen Zuſtand der Ehe- loſigkeit nicht denken konnte, und einzelne Ausnahmefälle abgerech- net, ſprach ſich in dem Allen viel weniger eine Frivolität, als eine Fülle des Lebens aus. Man hielt das Trauerjahr und war in aller Aufrichtigkeit ein tief betrübter Wittwer, oder eine „hochbe- trübteſte Wittwe.“ Aber ſobald die Trauerkleider fielen, gehörte man wieder dem Leben; das Blut, das voll zum Herzen drang, forderte ſein Recht. Das ſinnliche Leben überwog noch das geiſtige, und die Welt feinen Empfindens war noch wenig erſchloſſen. Aber freilich auch die Irrwege nicht, zu denen die Feinheit der Empfin- dung ſo leicht verführt.
Auch von der betrübten Wittwe unſeres tapferen Obriſten findet ſich ein Bildwerk im Anbau der Kirche vor; kein Grabdenk- mal, nichts von Senſenmann und Sarkophag, vielmehr ihr Oel- porträt in ganzer Figur, friſch, blühend, voll. Es iſt ein ſehr intereſſantes Bild, einmal als künſtleriſche Leiſtung überhaupt, un- gleich mehr aber durch die ingeniöſe Art, wie der Maler es ver- ſtanden hat, die drei Ehemänner der noch ſtattlichen Frau halb huldigend, halb decorativ zu verwenden. Wie Macbeth in der be- kannten Hexenkeſſel-Scene die Könige Schottlands an ſich vorüber ziehen ſieht und zwar ſo, daß die letzten, die der Zeit nach am weiteſten von ihm entfernt ſind, immer kleiner und blaſſer werden,
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ſetzen laſſen, deſſen hochbetrübteſte Wittwe, Ehrengard Maria
Freifrau von Canſtein, geborne v. d. Schulenburg, 1708.
Die „hochbetrübteſte Wittwe“ indeß war ein Kind ihrer Zeit,
d. h. ſie verheirathete ſich wieder und zwar in kürzeſter Friſt. Sie
wurde dann abermals eine Wittwe, aber nur um ſich bald darauf
zum dritten Mal zu vermählen. Das war damals Landesbrauch
in den Marken, und wir werden noch im Lauf dieſes Aufſatzes
die Bekanntſchaft eines hervorragenden Mannes jener Epoche machen,
der außer ſeinem Vater und Schwiegervater zwei Stiefväter und
zwei Stiefſchwiegerväter hatte, alſo ſechs Väter im Ganzen.
(Der große Kurfürſt war zweimal, der alte Derfflinger zweimal,
König Friedrich I. dreimal verheirathet; ſo viele Andere noch.) Es
war damals, als ob Alles, was lebte, ſich einen Zuſtand der Ehe-
loſigkeit nicht denken konnte, und einzelne Ausnahmefälle abgerech-
net, ſprach ſich in dem Allen viel weniger eine Frivolität, als eine
Fülle des Lebens aus. Man hielt das Trauerjahr und war in
aller Aufrichtigkeit ein tief betrübter Wittwer, oder eine „hochbe-
trübteſte Wittwe.“ Aber ſobald die Trauerkleider fielen, gehörte
man wieder dem Leben; das Blut, das voll zum Herzen drang,
forderte ſein Recht. Das ſinnliche Leben überwog noch das geiſtige,
und die Welt feinen Empfindens war noch wenig erſchloſſen. Aber
freilich auch die Irrwege nicht, zu denen die Feinheit der Empfin-
dung ſo leicht verführt.
Auch von der betrübten Wittwe unſeres tapferen Obriſten
findet ſich ein Bildwerk im Anbau der Kirche vor; kein Grabdenk-
mal, nichts von Senſenmann und Sarkophag, vielmehr ihr Oel-
porträt in ganzer Figur, friſch, blühend, voll. Es iſt ein ſehr
intereſſantes Bild, einmal als künſtleriſche Leiſtung überhaupt, un-
gleich mehr aber durch die ingeniöſe Art, wie der Maler es ver-
ſtanden hat, die drei Ehemänner der noch ſtattlichen Frau halb
huldigend, halb decorativ zu verwenden. Wie Macbeth in der be-
kannten Hexenkeſſel-Scene die Könige Schottlands an ſich vorüber
ziehen ſieht und zwar ſo, daß die letzten, die der Zeit nach am
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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