geworden in ihrem Besitz, sah sie schon die Zeit des Verfalls kom- men, die unmöglich Blumen hervorbringen konnte, wie sie immer nur auf dem Boden des Glaubens und eines unerschütterten Ver- trauens gewachsen sind. Die Marken, wenn man den Ausdruck gestatten will, wurden um ihre Legendenzeit betrogen, wie manche Kinder um ihre Jugend betrogen werden; aber in derselben Weise, wie Kinder, die nie Kinder sein durften, in späteren Lebensjahren ein rührendes Verlangen zeigen, spielen und "dalbern" zu können, in derselben Weise, scheint es, haben die Brandenburger sich schad- los zu halten gesucht.
Sie haben ihre Lieblingsfürsten unter den Hohenzollern zu halb sagenhaften Gestalten ausgebildet und sie zu Trägern lieb- licher Legenden gemacht. Die Geschichte von Froben gehört theil- weis hieher; sie ist eine Sage, die nur da entstehen konnte, wo die "Treue" wie eine Pflicht und ein Bedürfniß im Herzen des Volks empfunden wurde. Die Geschichte vom Hakenberger Bauern- kind aber geht noch einen Schritt weiter und nimmt völlig den Charakter und die Formen einer Legende an.
Der Kurfürst, als er zur Schlacht ritt, so erzählt die Legende, kam durch Hakenberg. Das Dorf war ausgestorben und leer, nur auf der Schwelle eines Hauses saß ein dreijähriger Blondkopf, den die fliehenden Dörfler, in der Hast und Unruhe des Augenblicks im Dorf zurückgelassen hatten. Er streckte die Händchen nach dem Fürsten aus. Der Kurfürst hielt sein Pferd an, bückte sich tief, hob das Kind auf und setzte es vorn auf seinen Sattel. "Wirst schon jemand finden," dachte er, "der sich seiner annimmt." So ritt er aus dem Dorf. Aber da war niemand, der Lust gehabt hätte, sich des Kleinen anzunehmen; die schwedischen Geschütze schickten bereits Kugel auf Kugel herüber und der Kurfürst selbst vergaß des Kindes, das ruhig und furchtlos auf der Sattelkruppe saß. Das Regiment Mörner kam eben vorüber und der Kurfürst setzte sich an seine Spitze. Die Brandenburger hieben sich wacker durch das Regiment Dalwigk hindurch und die Schweden flohen. Als der Kampf vor- über war und Kurfürst Friedrich Wilhelm sich im Sattel hob,
geworden in ihrem Beſitz, ſah ſie ſchon die Zeit des Verfalls kom- men, die unmöglich Blumen hervorbringen konnte, wie ſie immer nur auf dem Boden des Glaubens und eines unerſchütterten Ver- trauens gewachſen ſind. Die Marken, wenn man den Ausdruck geſtatten will, wurden um ihre Legendenzeit betrogen, wie manche Kinder um ihre Jugend betrogen werden; aber in derſelben Weiſe, wie Kinder, die nie Kinder ſein durften, in ſpäteren Lebensjahren ein rührendes Verlangen zeigen, ſpielen und „dalbern“ zu können, in derſelben Weiſe, ſcheint es, haben die Brandenburger ſich ſchad- los zu halten geſucht.
Sie haben ihre Lieblingsfürſten unter den Hohenzollern zu halb ſagenhaften Geſtalten ausgebildet und ſie zu Trägern lieb- licher Legenden gemacht. Die Geſchichte von Froben gehört theil- weis hieher; ſie iſt eine Sage, die nur da entſtehen konnte, wo die „Treue“ wie eine Pflicht und ein Bedürfniß im Herzen des Volks empfunden wurde. Die Geſchichte vom Hakenberger Bauern- kind aber geht noch einen Schritt weiter und nimmt völlig den Charakter und die Formen einer Legende an.
Der Kurfürſt, als er zur Schlacht ritt, ſo erzählt die Legende, kam durch Hakenberg. Das Dorf war ausgeſtorben und leer, nur auf der Schwelle eines Hauſes ſaß ein dreijähriger Blondkopf, den die fliehenden Dörfler, in der Haſt und Unruhe des Augenblicks im Dorf zurückgelaſſen hatten. Er ſtreckte die Händchen nach dem Fürſten aus. Der Kurfürſt hielt ſein Pferd an, bückte ſich tief, hob das Kind auf und ſetzte es vorn auf ſeinen Sattel. „Wirſt ſchon jemand finden,“ dachte er, „der ſich ſeiner annimmt.“ So ritt er aus dem Dorf. Aber da war niemand, der Luſt gehabt hätte, ſich des Kleinen anzunehmen; die ſchwediſchen Geſchütze ſchickten bereits Kugel auf Kugel herüber und der Kurfürſt ſelbſt vergaß des Kindes, das ruhig und furchtlos auf der Sattelkruppe ſaß. Das Regiment Mörner kam eben vorüber und der Kurfürſt ſetzte ſich an ſeine Spitze. Die Brandenburger hieben ſich wacker durch das Regiment Dalwigk hindurch und die Schweden flohen. Als der Kampf vor- über war und Kurfürſt Friedrich Wilhelm ſich im Sattel hob,
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geworden in ihrem Beſitz, ſah ſie ſchon die Zeit des Verfalls kom-
men, die unmöglich Blumen hervorbringen konnte, wie ſie immer
nur auf dem Boden des Glaubens und eines unerſchütterten Ver-
trauens gewachſen ſind. Die Marken, wenn man den Ausdruck
geſtatten will, wurden um ihre Legendenzeit betrogen, wie manche
Kinder um ihre Jugend betrogen werden; aber in derſelben Weiſe,
wie Kinder, die nie Kinder ſein durften, in ſpäteren Lebensjahren
ein rührendes Verlangen zeigen, ſpielen und „dalbern“ zu können,
in derſelben Weiſe, ſcheint es, haben die Brandenburger ſich ſchad-
los zu halten geſucht.
Sie haben ihre Lieblingsfürſten unter den Hohenzollern zu
halb ſagenhaften Geſtalten ausgebildet und ſie zu Trägern lieb-
licher Legenden gemacht. Die Geſchichte von Froben gehört theil-
weis hieher; ſie iſt eine Sage, die nur da entſtehen konnte, wo
die „Treue“ wie eine Pflicht und ein Bedürfniß im Herzen des
Volks empfunden wurde. Die Geſchichte vom Hakenberger Bauern-
kind aber geht noch einen Schritt weiter und nimmt völlig den
Charakter und die Formen einer Legende an.
Der Kurfürſt, als er zur Schlacht ritt, ſo erzählt die Legende,
kam durch Hakenberg. Das Dorf war ausgeſtorben und leer, nur auf
der Schwelle eines Hauſes ſaß ein dreijähriger Blondkopf, den die
fliehenden Dörfler, in der Haſt und Unruhe des Augenblicks im Dorf
zurückgelaſſen hatten. Er ſtreckte die Händchen nach dem Fürſten aus.
Der Kurfürſt hielt ſein Pferd an, bückte ſich tief, hob das Kind auf
und ſetzte es vorn auf ſeinen Sattel. „Wirſt ſchon jemand finden,“
dachte er, „der ſich ſeiner annimmt.“ So ritt er aus dem Dorf.
Aber da war niemand, der Luſt gehabt hätte, ſich des Kleinen
anzunehmen; die ſchwediſchen Geſchütze ſchickten bereits Kugel auf
Kugel herüber und der Kurfürſt ſelbſt vergaß des Kindes, das
ruhig und furchtlos auf der Sattelkruppe ſaß. Das Regiment
Mörner kam eben vorüber und der Kurfürſt ſetzte ſich an ſeine
Spitze. Die Brandenburger hieben ſich wacker durch das Regiment
Dalwigk hindurch und die Schweden flohen. Als der Kampf vor-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/188>, abgerufen am 29.11.2024.
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