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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Preußen und gute Brandenburger zu sein, und wenn es Noth
thut, an jedem Tag im Jahre so brav und tapfer zu Land und
Thron zu stehen, wie am 18. Juni 1675 ihre Väter hier gestan-
den haben. Dann giebt es ein Hurrah und Mützenschwenken, und
Musik vorauf, gemeinhin nach den Klängen des "alten Dessauers"
marschiren nun Alt und Jung über das eigentliche Schlachtfeld
hinweg, jener Hügelreihe zu, die nach Süd-Osten hin, den ziem-
lich schmalen Streifen, auf dem gekämpft wurde, begränzt. Die
höchste dieser Hügelkuppen, kahl und unscheinbar und nur im
Hintergrunde von einigen Pappeln überragt, heißt der Kurfürsten-
berg, weil von ihm aus der Kurfürst den Angriff und die Bewe-
gungen der Schlacht leitete. Auf diesem und dem benachbarten
Froben-Hügel macht man Halt, und unter allerhand Turner-
spielen, mit Ringen und Laufen, Springen und Klettern verbringt
die Jugend den Tag, bis spät am Nachmittag der Rückzug in
die Städte und Dörfer beginnt.

Das ist ein Volksfest im besten Sinne des Worts, besser
als unsere großstädtischen Festzüge, denen jeder geistige Mittelpunkt
(wenn sie ihn jemals hatten) längst abhanden gekommen ist. Es
gibt nichts kläglicheres, als die Volkslustbarkeiten unserer Residenzen,
als der "Stralauer Fischzug" und alles, was ihm ähnlich sieht.
In unsern kleinen Städten aber steckt noch ein guter und ge-
sunder Rest von Volks- und Kinderfesten, und jeder, der ihnen
beiwohnt, wird sich erheitert und gehoben fühlen. Man wirft un-
serem norddeutschen Leben vor, daß es nüchtern sei und des poe-
tischen Schwunges entbehre. Das ist in gewissem Sinne wahr.
Es fehlt uns das Bunte der Costüme und das Coulissenwerk einer
Wald- und Bergnatur, und weil wir dieser Requisiten entbehren,
mag bis zu einem gewissen Grade die Lust und die Fähigkeit in
uns verkümmert sein, ein Schauspiel im großen Stile aufzuführen.
Es fehlt uns außerdem die katholische Kirche, die große Lehr-
meisterin der Festzüge und Processionen. Zugegeben das. Aber ein
neues Volk, wie wir sind, dessen Traditionen über den Tag von
Fehrbellin kaum hinausreichen, hat sich hierzulande eben alles

Preußen und gute Brandenburger zu ſein, und wenn es Noth
thut, an jedem Tag im Jahre ſo brav und tapfer zu Land und
Thron zu ſtehen, wie am 18. Juni 1675 ihre Väter hier geſtan-
den haben. Dann giebt es ein Hurrah und Mützenſchwenken, und
Muſik vorauf, gemeinhin nach den Klängen des „alten Deſſauers“
marſchiren nun Alt und Jung über das eigentliche Schlachtfeld
hinweg, jener Hügelreihe zu, die nach Süd-Oſten hin, den ziem-
lich ſchmalen Streifen, auf dem gekämpft wurde, begränzt. Die
höchſte dieſer Hügelkuppen, kahl und unſcheinbar und nur im
Hintergrunde von einigen Pappeln überragt, heißt der Kurfürſten-
berg, weil von ihm aus der Kurfürſt den Angriff und die Bewe-
gungen der Schlacht leitete. Auf dieſem und dem benachbarten
Froben-Hügel macht man Halt, und unter allerhand Turner-
ſpielen, mit Ringen und Laufen, Springen und Klettern verbringt
die Jugend den Tag, bis ſpät am Nachmittag der Rückzug in
die Städte und Dörfer beginnt.

Das iſt ein Volksfeſt im beſten Sinne des Worts, beſſer
als unſere großſtädtiſchen Feſtzüge, denen jeder geiſtige Mittelpunkt
(wenn ſie ihn jemals hatten) längſt abhanden gekommen iſt. Es
gibt nichts kläglicheres, als die Volksluſtbarkeiten unſerer Reſidenzen,
als der „Stralauer Fiſchzug“ und alles, was ihm ähnlich ſieht.
In unſern kleinen Städten aber ſteckt noch ein guter und ge-
ſunder Reſt von Volks- und Kinderfeſten, und jeder, der ihnen
beiwohnt, wird ſich erheitert und gehoben fühlen. Man wirft un-
ſerem norddeutſchen Leben vor, daß es nüchtern ſei und des poe-
tiſchen Schwunges entbehre. Das iſt in gewiſſem Sinne wahr.
Es fehlt uns das Bunte der Coſtüme und das Couliſſenwerk einer
Wald- und Bergnatur, und weil wir dieſer Requiſiten entbehren,
mag bis zu einem gewiſſen Grade die Luſt und die Fähigkeit in
uns verkümmert ſein, ein Schauſpiel im großen Stile aufzuführen.
Es fehlt uns außerdem die katholiſche Kirche, die große Lehr-
meiſterin der Feſtzüge und Proceſſionen. Zugegeben das. Aber ein
neues Volk, wie wir ſind, deſſen Traditionen über den Tag von
Fehrbellin kaum hinausreichen, hat ſich hierzulande eben alles

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[167/0185] Preußen und gute Brandenburger zu ſein, und wenn es Noth thut, an jedem Tag im Jahre ſo brav und tapfer zu Land und Thron zu ſtehen, wie am 18. Juni 1675 ihre Väter hier geſtan- den haben. Dann giebt es ein Hurrah und Mützenſchwenken, und Muſik vorauf, gemeinhin nach den Klängen des „alten Deſſauers“ marſchiren nun Alt und Jung über das eigentliche Schlachtfeld hinweg, jener Hügelreihe zu, die nach Süd-Oſten hin, den ziem- lich ſchmalen Streifen, auf dem gekämpft wurde, begränzt. Die höchſte dieſer Hügelkuppen, kahl und unſcheinbar und nur im Hintergrunde von einigen Pappeln überragt, heißt der Kurfürſten- berg, weil von ihm aus der Kurfürſt den Angriff und die Bewe- gungen der Schlacht leitete. Auf dieſem und dem benachbarten Froben-Hügel macht man Halt, und unter allerhand Turner- ſpielen, mit Ringen und Laufen, Springen und Klettern verbringt die Jugend den Tag, bis ſpät am Nachmittag der Rückzug in die Städte und Dörfer beginnt. Das iſt ein Volksfeſt im beſten Sinne des Worts, beſſer als unſere großſtädtiſchen Feſtzüge, denen jeder geiſtige Mittelpunkt (wenn ſie ihn jemals hatten) längſt abhanden gekommen iſt. Es gibt nichts kläglicheres, als die Volksluſtbarkeiten unſerer Reſidenzen, als der „Stralauer Fiſchzug“ und alles, was ihm ähnlich ſieht. In unſern kleinen Städten aber ſteckt noch ein guter und ge- ſunder Reſt von Volks- und Kinderfeſten, und jeder, der ihnen beiwohnt, wird ſich erheitert und gehoben fühlen. Man wirft un- ſerem norddeutſchen Leben vor, daß es nüchtern ſei und des poe- tiſchen Schwunges entbehre. Das iſt in gewiſſem Sinne wahr. Es fehlt uns das Bunte der Coſtüme und das Couliſſenwerk einer Wald- und Bergnatur, und weil wir dieſer Requiſiten entbehren, mag bis zu einem gewiſſen Grade die Luſt und die Fähigkeit in uns verkümmert ſein, ein Schauſpiel im großen Stile aufzuführen. Es fehlt uns außerdem die katholiſche Kirche, die große Lehr- meiſterin der Feſtzüge und Proceſſionen. Zugegeben das. Aber ein neues Volk, wie wir ſind, deſſen Traditionen über den Tag von Fehrbellin kaum hinausreichen, hat ſich hierzulande eben alles

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/185>, abgerufen am 29.11.2024.