Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.Schmerzblick und Händeschütteln, und ehe noch der am Horizont schwebende Sonnenball völlig unter war, war das Grab geschlossen und mit Asterkränzen überdeckt. Eine halbe Stunde später, es dämmerte schon, war Eccelius wieder in seiner Studierstube, das Sammetkäpsel auf dem Kopf, das ihm Frau Hradscheck vor gerade Jahresfrist gestickt hatte. Die Bauern aber saßen in der Weinstube, Hradscheck zwischen ihnen, und faßten alles, was sie an Trost zu spenden hatten, in die Worte zusammen: "Jmmer Kourage, Hradscheck! Der alte Gott lebt noch" - welchen Trost- und Weisheitssprüchen sich allerlei Wiederverheirathungsgeschichten beinah unmittelbar anschlossen. Eine davon, die beste, handelte von einem alten Hauptmann v. Rohr, der vier Frauen gehabt und beim Hinscheiden jeder Einzelnen mit einer gewissen trotzigen Entschlossenheit gesagt hatte: "Nimmt Gott, so nehm' ich wieder." Hradscheck hörte dem allem ruhig und kopfnickend zu, war aber doch froh, die Tafelrunde heute früher als sonst aufbrechen zu sehn. Er begleitete Kunicke bis an die Ladenthür und stieg dann, er wußte selbst nicht warum, in die Stube hinauf, in der Ursel gestorben war. Hier nahm er Platz an ihrem Bett und starrte vor sich hin, während allerlei Schatten an Wand und Decke vorüberzogen. Als er eine Viertelstunde so gesessen, verließ er das Zimmer wieder und sah, im Vorübergehen, daß die nach rechts hin gelegene Giebelstube halb offenstand, dieselbe Stube, drin die Verstorbene nach vollendetem Umbau zu wohnen und zu schlafen so bestimmt verweigert hatte. "Was machst Du hier, Male?" fragte Hradscheck. "Wat ick moak? Jck treck em sien Bett öwer." "Wem?" "Js joa wihr ankoamen. Wedder een mit'n Pelz." "So, so," sagte Hradscheck und stieg die Treppe langsam hinunter. "Wedder een ... wedder een ... Jmmer noch nicht vergessen." Schmerzblick und Händeschütteln, und ehe noch der am Horizont schwebende Sonnenball völlig unter war, war das Grab geschlossen und mit Asterkränzen überdeckt. Eine halbe Stunde später, es dämmerte schon, war Eccelius wieder in seiner Studierstube, das Sammetkäpsel auf dem Kopf, das ihm Frau Hradscheck vor gerade Jahresfrist gestickt hatte. Die Bauern aber saßen in der Weinstube, Hradscheck zwischen ihnen, und faßten alles, was sie an Trost zu spenden hatten, in die Worte zusammen: „Jmmer Kourage, Hradscheck! Der alte Gott lebt noch“ – welchen Trost- und Weisheitssprüchen sich allerlei Wiederverheirathungsgeschichten beinah unmittelbar anschlossen. Eine davon, die beste, handelte von einem alten Hauptmann v. Rohr, der vier Frauen gehabt und beim Hinscheiden jeder Einzelnen mit einer gewissen trotzigen Entschlossenheit gesagt hatte: „Nimmt Gott, so nehm’ ich wieder.“ Hradscheck hörte dem allem ruhig und kopfnickend zu, war aber doch froh, die Tafelrunde heute früher als sonst aufbrechen zu sehn. Er begleitete Kunicke bis an die Ladenthür und stieg dann, er wußte selbst nicht warum, in die Stube hinauf, in der Ursel gestorben war. Hier nahm er Platz an ihrem Bett und starrte vor sich hin, während allerlei Schatten an Wand und Decke vorüberzogen. Als er eine Viertelstunde so gesessen, verließ er das Zimmer wieder und sah, im Vorübergehen, daß die nach rechts hin gelegene Giebelstube halb offenstand, dieselbe Stube, drin die Verstorbene nach vollendetem Umbau zu wohnen und zu schlafen so bestimmt verweigert hatte. „Was machst Du hier, Male?“ fragte Hradscheck. „Wat ick moak? Jck treck em sien Bett öwer.“ „Wem?“ „Js joa wihr ankoamen. Wedder een mit’n Pelz.“ „So, so,“ sagte Hradscheck und stieg die Treppe langsam hinunter. „Wedder een … wedder een … Jmmer noch nicht vergessen.“ <TEI> <text> <body> <div xml:id="Heft_39"> <div xml:id="Kapitel15_1" type="chapter" next="#Kapitel15_2"> <p><pb facs="#f0030" n="632"/> Schmerzblick und Händeschütteln, und ehe noch der am Horizont schwebende Sonnenball völlig unter war, war das Grab geschlossen und mit Asterkränzen überdeckt.</p><lb/> <p>Eine halbe Stunde später, es dämmerte schon, war Eccelius wieder in seiner Studierstube, das Sammetkäpsel auf dem Kopf, das ihm Frau Hradscheck vor gerade Jahresfrist gestickt hatte. Die Bauern aber saßen in der Weinstube, Hradscheck zwischen ihnen, und faßten alles, was sie an Trost zu spenden hatten, in die Worte zusammen: „Jmmer Kourage, Hradscheck! Der alte Gott lebt noch“ – welchen Trost- und Weisheitssprüchen sich allerlei Wiederverheirathungsgeschichten beinah unmittelbar anschlossen. Eine davon, die beste, handelte von einem alten Hauptmann v. Rohr, der vier Frauen gehabt und beim Hinscheiden jeder Einzelnen mit einer gewissen trotzigen Entschlossenheit gesagt hatte: „Nimmt Gott, so nehm’ ich wieder.“ Hradscheck hörte dem allem ruhig und kopfnickend zu, war aber doch froh, die Tafelrunde heute früher als sonst aufbrechen zu sehn. Er begleitete Kunicke bis an die Ladenthür und stieg dann, er wußte selbst nicht warum, in die Stube hinauf, in der Ursel gestorben war. Hier nahm er Platz an ihrem Bett und starrte vor sich hin, während allerlei Schatten an Wand und Decke vorüberzogen.</p><lb/> <p>Als er eine Viertelstunde so gesessen, verließ er das Zimmer wieder und sah, im Vorübergehen, daß die nach rechts hin gelegene Giebelstube halb offenstand, dieselbe Stube, drin die Verstorbene nach vollendetem Umbau zu wohnen und zu schlafen so bestimmt verweigert hatte.</p><lb/> <p>„Was machst Du hier, Male?“ fragte Hradscheck.</p><lb/> <p>„Wat ick moak? 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Schmerzblick und Händeschütteln, und ehe noch der am Horizont schwebende Sonnenball völlig unter war, war das Grab geschlossen und mit Asterkränzen überdeckt.
Eine halbe Stunde später, es dämmerte schon, war Eccelius wieder in seiner Studierstube, das Sammetkäpsel auf dem Kopf, das ihm Frau Hradscheck vor gerade Jahresfrist gestickt hatte. Die Bauern aber saßen in der Weinstube, Hradscheck zwischen ihnen, und faßten alles, was sie an Trost zu spenden hatten, in die Worte zusammen: „Jmmer Kourage, Hradscheck! Der alte Gott lebt noch“ – welchen Trost- und Weisheitssprüchen sich allerlei Wiederverheirathungsgeschichten beinah unmittelbar anschlossen. Eine davon, die beste, handelte von einem alten Hauptmann v. Rohr, der vier Frauen gehabt und beim Hinscheiden jeder Einzelnen mit einer gewissen trotzigen Entschlossenheit gesagt hatte: „Nimmt Gott, so nehm’ ich wieder.“ Hradscheck hörte dem allem ruhig und kopfnickend zu, war aber doch froh, die Tafelrunde heute früher als sonst aufbrechen zu sehn. Er begleitete Kunicke bis an die Ladenthür und stieg dann, er wußte selbst nicht warum, in die Stube hinauf, in der Ursel gestorben war. Hier nahm er Platz an ihrem Bett und starrte vor sich hin, während allerlei Schatten an Wand und Decke vorüberzogen.
Als er eine Viertelstunde so gesessen, verließ er das Zimmer wieder und sah, im Vorübergehen, daß die nach rechts hin gelegene Giebelstube halb offenstand, dieselbe Stube, drin die Verstorbene nach vollendetem Umbau zu wohnen und zu schlafen so bestimmt verweigert hatte.
„Was machst Du hier, Male?“ fragte Hradscheck.
„Wat ick moak? Jck treck em sien Bett öwer.“
„Wem?“
„Js joa wihr ankoamen. Wedder een mit’n Pelz.“
„So, so,“ sagte Hradscheck und stieg die Treppe langsam hinunter.
„Wedder een … wedder een … Jmmer noch nicht vergessen.“
(Fortsetzung folgt.)
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/30>, abgerufen am 16.02.2025. |