ES sind die Thiere mit keiner Vernunfft begabet, und al- so kan man auch nicht von ihnen sagen, daß sie Ge- dancken hätten, oder daß sie durch den Klang, den sie von sich geben, einander ihres Hertzens Meynungen offenbahre- ten. Dieses ist ein blosses Reservatum vor diejenigen vernünfftigen Geschöpffe, die nach dem Ebenbilde GOttes erschaf- fen sind. Jnzwischen ist doch auch nicht zu läugnen, daß die mancherley Thone und Stimmen, die die Thiere von sich hö- ren lassen, ihnen von dem allweisen Schöpffer nicht umsonst verliehen, son- dern daß sie ihre Empfindungen oder ihr Bedürffniß dadurch anzeigen. Sie ge- brauchen sich derselben zu Abwendung der Gefahr, ihr Leben zu erhalten, ihren Abscheu vor dem Tode dadurch an Tag zu legen, ihre Jungen und Eyer zu be- schützen, ihre Nahrung zu suchen, ihr Verlangen nach dem Weibgen zu erwei- sen, ihre Freude, ihr Betrübniß, ihre Rache, und andere Affecten dadurch vor- zustellen. Es ist auch kein Zweifel, daß die Thiere ihre Stimmen einander auf gewisse Maasse verstehen, und sich dar- nach zu richten wissen, welches durch viel Exempel erweißlich gemacht werden kön- te; und daß sie, wie sie uns Menschen meistentheils in den andern äusserlichen [Spaltenumbruch]
Sinnen übertreffen, also auch insonder- heit in dem Gehöre, so, daß die Vögel, wenn sie noch so weit sind, und von an- dern gelockt werden, es dennoch hören, und auf dieses Locken sich alsbald einfin- den. Es ist kein Zweifel, daß uns Men- schen von dem Verständniß der Thiere, das sie untereinander haben, gewiß man- ches verborgen ist.
§. 2.
Einige Philosophi haben be- hauptet, daß die Thiere auf gewisse Maas- se mit einander discourirten, als wie wir Menschen, welches aber gar falsch ist, son- dern sie zeigen nur, wie ich ietzt gesagt, durch den Klang ihr Bedürffniß an, da- mit sie sich unter einander erhalten. An- dere legen ihnen ein Wesen bey, welches der Vernunfft gantz ähnlich wäre, und daß sie allezeit bey demjenigen, was sie dächten, ihre Stimme erhüben. Jedoch ich glaube, daß man dieses nicht so wohl Gedancken, als Empfindungen nennen könne. Von den Papagoyen, Raben, Aglastern, und andern Vögeln, ist bekandt, daß sie die menschlichen Stimmen lernen nachahmen, und die Worte, so man ihnen offters vorsagt, deutlich und vernehmlich wiederholen; es wird aber dieses niemand eine ordentliche Rede nennen, indem sie ihres Hertzens Meynungen nicht offen- bahren können, sondern nur dasjenige, was sie gelernet, wenn es ihnen gelegen, hersagen. Der Fleiß der Menschen hat
es heu-
M (Anderer Haupt-Theil.)
Der Andern Haupt-Abtheilung Anderer Theil.
Das 1. Capitel/ Vom Verſtaͤndniß wilder Thiere.
§. 1.
[Spaltenumbruch]
ES ſind die Thiere mit keiner Vernunfft begabet, und al- ſo kan man auch nicht von ihnen ſagen, daß ſie Ge- dancken haͤtten, oder daß ſie durch den Klang, den ſie von ſich geben, einander ihres Hertzens Meynungen offenbahre- ten. Dieſes iſt ein bloſſes Reſervatum vor diejenigen vernuͤnfftigen Geſchoͤpffe, die nach dem Ebenbilde GOttes erſchaf- fen ſind. Jnzwiſchen iſt doch auch nicht zu laͤugnen, daß die mancherley Thone und Stimmen, die die Thiere von ſich hoͤ- ren laſſen, ihnen von dem allweiſen Schoͤpffer nicht umſonſt verliehen, ſon- dern daß ſie ihre Empfindungen oder ihr Beduͤrffniß dadurch anzeigen. Sie ge- brauchen ſich derſelben zu Abwendung der Gefahr, ihr Leben zu erhalten, ihren Abſcheu vor dem Tode dadurch an Tag zu legen, ihre Jungen und Eyer zu be- ſchuͤtzen, ihre Nahrung zu ſuchen, ihr Verlangen nach dem Weibgen zu erwei- ſen, ihre Freude, ihr Betruͤbniß, ihre Rache, und andere Affecten dadurch vor- zuſtellen. Es iſt auch kein Zweifel, daß die Thiere ihre Stimmen einander auf gewiſſe Maaſſe verſtehen, und ſich dar- nach zu richten wiſſen, welches durch viel Exempel erweißlich gemacht werden koͤn- te; und daß ſie, wie ſie uns Menſchen meiſtentheils in den andern aͤuſſerlichen [Spaltenumbruch]
Sinnen uͤbertreffen, alſo auch inſonder- heit in dem Gehoͤre, ſo, daß die Voͤgel, wenn ſie noch ſo weit ſind, und von an- dern gelockt werden, es dennoch hoͤren, und auf dieſes Locken ſich alsbald einfin- den. Es iſt kein Zweifel, daß uns Men- ſchen von dem Verſtaͤndniß der Thiere, das ſie untereinander haben, gewiß man- ches verborgen iſt.
§. 2.
Einige Philoſophi haben be- hauptet, daß die Thiere auf gewiſſe Maaſ- ſe mit einander diſcourirten, als wie wir Menſchen, welches aber gar falſch iſt, ſon- dern ſie zeigen nur, wie ich ietzt geſagt, durch den Klang ihr Beduͤrffniß an, da- mit ſie ſich unter einander erhalten. An- dere legen ihnen ein Weſen bey, welches der Vernunfft gantz aͤhnlich waͤre, und daß ſie allezeit bey demjenigen, was ſie daͤchten, ihre Stimme erhuͤben. Jedoch ich glaube, daß man dieſes nicht ſo wohl Gedancken, als Empfindungen nennen koͤnne. Von den Papagoyen, Raben, Aglaſteꝛn, und andern Voͤgeln, iſt bekandt, daß ſie die menſchlichen Stimmen lernen nachahmen, und die Worte, ſo man ihnen offters vorſagt, deutlich und vernehmlich wiederholen; es wird aber dieſes niemand eine ordentliche Rede nennen, indem ſie ihres Hertzens Meynungen nicht offen- bahren koͤnnen, ſondern nur dasjenige, was ſie gelernet, wenn es ihnen gelegen, herſagen. Der Fleiß der Menſchen hat
es heu-
M (Anderer Haupt-Theil.)
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[[89]/0153]
Der Andern Haupt-Abtheilung
Anderer Theil.
Das 1. Capitel/
Vom Verſtaͤndniß wilder Thiere.
§. 1.
ES ſind die Thiere mit keiner
Vernunfft begabet, und al-
ſo kan man auch nicht von
ihnen ſagen, daß ſie Ge-
dancken haͤtten, oder daß
ſie durch den Klang, den
ſie von ſich geben, einander
ihres Hertzens Meynungen offenbahre-
ten. Dieſes iſt ein bloſſes Reſervatum
vor diejenigen vernuͤnfftigen Geſchoͤpffe,
die nach dem Ebenbilde GOttes erſchaf-
fen ſind. Jnzwiſchen iſt doch auch nicht
zu laͤugnen, daß die mancherley Thone
und Stimmen, die die Thiere von ſich hoͤ-
ren laſſen, ihnen von dem allweiſen
Schoͤpffer nicht umſonſt verliehen, ſon-
dern daß ſie ihre Empfindungen oder ihr
Beduͤrffniß dadurch anzeigen. Sie ge-
brauchen ſich derſelben zu Abwendung
der Gefahr, ihr Leben zu erhalten, ihren
Abſcheu vor dem Tode dadurch an Tag
zu legen, ihre Jungen und Eyer zu be-
ſchuͤtzen, ihre Nahrung zu ſuchen, ihr
Verlangen nach dem Weibgen zu erwei-
ſen, ihre Freude, ihr Betruͤbniß, ihre
Rache, und andere Affecten dadurch vor-
zuſtellen. Es iſt auch kein Zweifel, daß
die Thiere ihre Stimmen einander auf
gewiſſe Maaſſe verſtehen, und ſich dar-
nach zu richten wiſſen, welches durch viel
Exempel erweißlich gemacht werden koͤn-
te; und daß ſie, wie ſie uns Menſchen
meiſtentheils in den andern aͤuſſerlichen
Sinnen uͤbertreffen, alſo auch inſonder-
heit in dem Gehoͤre, ſo, daß die Voͤgel,
wenn ſie noch ſo weit ſind, und von an-
dern gelockt werden, es dennoch hoͤren,
und auf dieſes Locken ſich alsbald einfin-
den. Es iſt kein Zweifel, daß uns Men-
ſchen von dem Verſtaͤndniß der Thiere,
das ſie untereinander haben, gewiß man-
ches verborgen iſt.
§. 2. Einige Philoſophi haben be-
hauptet, daß die Thiere auf gewiſſe Maaſ-
ſe mit einander diſcourirten, als wie wir
Menſchen, welches aber gar falſch iſt, ſon-
dern ſie zeigen nur, wie ich ietzt geſagt,
durch den Klang ihr Beduͤrffniß an, da-
mit ſie ſich unter einander erhalten. An-
dere legen ihnen ein Weſen bey, welches
der Vernunfft gantz aͤhnlich waͤre, und
daß ſie allezeit bey demjenigen, was ſie
daͤchten, ihre Stimme erhuͤben. Jedoch
ich glaube, daß man dieſes nicht ſo wohl
Gedancken, als Empfindungen nennen
koͤnne. Von den Papagoyen, Raben,
Aglaſteꝛn, und andern Voͤgeln, iſt bekandt,
daß ſie die menſchlichen Stimmen lernen
nachahmen, und die Worte, ſo man ihnen
offters vorſagt, deutlich und vernehmlich
wiederholen; es wird aber dieſes niemand
eine ordentliche Rede nennen, indem ſie
ihres Hertzens Meynungen nicht offen-
bahren koͤnnen, ſondern nur dasjenige,
was ſie gelernet, wenn es ihnen gelegen,
herſagen. Der Fleiß der Menſchen hat
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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 2. Leipzig, 1724, S. [89]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger02_1724/153>, abgerufen am 23.11.2024.
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