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Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719.

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Anderer Theil/
[Spaltenumbruch] von der Heyde und andern Knospen,
Brunnen-Kresse, Mooß und allerhand
Rinden derer Bäume. Jn Behältnis-
sen und dickem Gebüsch verbirget sie sich
vor rauher Winter-Kälte, Frost und
Schnee; Des Nachts aber, so lange es
finster, gehet sie auf die Winter-Saat
vorsichtig aus, ihre Nahrung zu neh-
men. Es hält sich meistens das Wild
zur Herbst- und Winters-Zeit Troupp-
weise beysammen auff, worbey jedes-
mahl eines umb das andere genau auf-
fiehet und die Wache hält, umb ihren
Feinden zu entfliehen. Wann es zwi-
schen Ostern und Pfingsten kommt, des
Frühlings umb den May-Monat, su-
chet ein jedes Thier einen absonderlichen
stillen Ort aus, sein Kalb zu setzen, wel-
ches gemeiniglich, aus Furcht der Raub-
Thiere, an Strassen oder Wegen, in
kleinen Gründen, Wiesen, jungem Ge-
häu, unter einem dicken Gebüsch oder
Lager-Baum und Zopff-Ende geschie-
het. Umb welche Zeit kein Hirte, Schaaf-
oder Rind-Vieh, weniger Hunde in o-
der bey denen Heyden oder Büschen zu
dulden; Dann wann ein Stück Wild
oder Thier in der Satz-Zeit, da es setzet,
verstöhret wird, erschrickt und aussprin-
get, thut es sich leicht Schaden, so, daß
es öffters crepiren muß. Wann sie nun
ihr Kalb setzen, so thun sie sich gar offt
nieder und krümmen sich zusammen.
Jm 39. Cap. Hiobs wird deren Geburth
also beschrieben: Sie beugen sich, wann
sie gebähren, und reissen sich und lassen
aus ihre Jungen. Das Kalb ist an-
fänglich naß, dunckelroth, mit vielen weis-
sen Flecken gezieret, und, weil es noch
gantz matt von der Geburth, liegt es
drey biß vier Tage stille und drücket sich
wie ein Haase zur Erden; Jnsgemein
führet das Thier das Kalb von der Ge-
burths-Stelle etwas weiter, meistens
ins Korn, damit es von Menschen oder
Raub-Thieren, so öffters geschiehet,
nicht weggenommen werden mögte. So
das Kalb von einem Menschen gesuchet
wird, wird das Thier denselben durch
viele Wendungen hin und wieder wun-
derlich mit grosser List verführen, daß es
nicht zu finden. Währender Zeit wird
öffters in Abwesenheit des alten Thie-
res das Kalb von Menschen, Hunden
oder Raub-Thieren weggenommen; So
es nun schreyet, springet sie in höchster
Eyl darzu, schläget starck mit denen Läuff-
ten und jaget manches Raub-Thier da-
[Spaltenumbruch] von; Wo aber Gewalt vor Recht gehet,
muß sie es geschehen lassen, was nicht zu
ändern. Sie lässet das Kalb täglich
früh, mittags und abends fleißig sau-
gen, lecket und liebet es, ob es gleich vom
Kalbe gestossen wird; Doch habe selber
gesehen, daß ein Thier sein eigenes Kalb,
weil es gebrechlich gewesen, angegriffen,
und bereits das rechte Ohr und die lin-
cke Klaue davon aufgezehret hat; Muth-
masse dahero, daß eben nicht so schlech-
terdings zu verwerffen sey, was Plini-
us
von dem Hirsch und der Schlange ge-
schrieben hat, und ist uns noch vieles
verborgen, welches wir auszulernen nicht
vermögend sind. So es gesogen, gehet
das Thier nach seiner Nahrung, wann
es das Kalb nicht gleich findet, wird es
so lange ruffen, biß das kleine antwor-
tet, so in kurtzer Zeit lauffen lernet. An-
fänglich gehet es allzeit hinter dem Thier
her, wann es aber kundiger und stär-
cker wird, läufft es alsdann vorwitziger
voran. Das Thier führet sein Kalb al-
lenthalben vorsichtig aus, zeiget ihm alle
Gefahr, Nahrung und Sicherheit, biß
es überall kundig ist und alle Gelegenhei-
ten mercket. Wann nun das Wild-
Kalb zu andern Kälbern seines gleichen
kömmt, machen sie sich lustig und üben
sich im Lauffen, dummeln sich mit kur-
tzen Wendungen, springen flüchtig über
die Sträucher weg, schlagen mit denen
Vorder-Läufften und sind sehr artlich.
Das Thier lässet es täglich saugen, biß
zur Brunfft, auch öffters etliche Wochen
nach der Brunfft, ob sie schon wiederum
empfangen hat, wann aber das Thier
gelde gehet, sauget sie es durchs gantze
Jahr, biß sie wiederum brunfftet. Jm
Sommer verliehret das Kalb seine weis-
se Flecken, etliche Wochen nach der Satz-
Zeit, und wird gelbröthlich, wie das an-
dere Wildpräth; Maassen alles rothe
Wildpräth insgemein umb die Satz-Zeit
die grauen Winter-Haare fallen lässet,
und sich röthlich färbet. Des Frühlings,
wenn sie haaren, treibet ihnen die Natur
aus dem innersten scorbutischen und sal-
tzigten Geblüthe durch alle Poros, so zu
solcher Zeit sich öffnen, zwischen Haut
und Fleisch solche Materie, aus welcher
Putrefaction Würmer wachsen, Ender-
linge genannt, so auch zuweilen durch den
Schlund, Nasen und Maul heraus ge-
hen und eine Reinigung des Geblüts sind,
zuzeiten aber durch besagten Schlund so
starck treiben, daß das Thier ersticken

und

Anderer Theil/
[Spaltenumbruch] von der Heyde und andern Knoſpen,
Brunnen-Kreſſe, Mooß und allerhand
Rinden derer Baͤume. Jn Behaͤltniſ-
ſen und dickem Gebuͤſch verbirget ſie ſich
vor rauher Winter-Kaͤlte, Froſt und
Schnee; Des Nachts aber, ſo lange es
finſter, gehet ſie auf die Winter-Saat
vorſichtig aus, ihre Nahrung zu neh-
men. Es haͤlt ſich meiſtens das Wild
zur Herbſt- und Winters-Zeit Troupp-
weiſe beyſammen auff, worbey jedes-
mahl eines umb das andere genau auf-
fiehet und die Wache haͤlt, umb ihren
Feinden zu entfliehen. Wann es zwi-
ſchen Oſtern und Pfingſten kommt, des
Fruͤhlings umb den May-Monat, ſu-
chet ein jedes Thier einen abſonderlichen
ſtillen Ort aus, ſein Kalb zu ſetzen, wel-
ches gemeiniglich, aus Furcht der Raub-
Thiere, an Straſſen oder Wegen, in
kleinen Gruͤnden, Wieſen, jungem Ge-
haͤu, unter einem dicken Gebuͤſch oder
Lager-Baum und Zopff-Ende geſchie-
het. Umb welche Zeit kein Hirte, Schaaf-
oder Rind-Vieh, weniger Hunde in o-
der bey denen Heyden oder Buͤſchen zu
dulden; Dann wann ein Stuͤck Wild
oder Thier in der Satz-Zeit, da es ſetzet,
verſtoͤhret wird, erſchrickt und ausſprin-
get, thut es ſich leicht Schaden, ſo, daß
es oͤffters crepiren muß. Wann ſie nun
ihr Kalb ſetzen, ſo thun ſie ſich gar offt
nieder und kruͤmmen ſich zuſammen.
Jm 39. Cap. Hiobs wird deren Geburth
alſo beſchrieben: Sie beugen ſich, wann
ſie gebaͤhren, und reiſſen ſich und laſſen
aus ihre Jungen. Das Kalb iſt an-
faͤnglich naß, dunckelroth, mit vielen weiſ-
ſen Flecken gezieret, und, weil es noch
gantz matt von der Geburth, liegt es
drey biß vier Tage ſtille und druͤcket ſich
wie ein Haaſe zur Erden; Jnsgemein
fuͤhret das Thier das Kalb von der Ge-
burths-Stelle etwas weiter, meiſtens
ins Korn, damit es von Menſchen oder
Raub-Thieren, ſo oͤffters geſchiehet,
nicht weggenommen werden moͤgte. So
das Kalb von einem Menſchen geſuchet
wird, wird das Thier denſelben durch
viele Wendungen hin und wieder wun-
derlich mit groſſer Liſt verfuͤhren, daß es
nicht zu finden. Waͤhrender Zeit wird
oͤffters in Abweſenheit des alten Thie-
res das Kalb von Menſchen, Hunden
oder Raub-Thieren weggenommen; So
es nun ſchreyet, ſpringet ſie in hoͤchſter
Eyl darzu, ſchlaͤget ſtarck mit denen Laͤuff-
ten und jaget manches Raub-Thier da-
[Spaltenumbruch] von; Wo aber Gewalt vor Recht gehet,
muß ſie es geſchehen laſſen, was nicht zu
aͤndern. Sie laͤſſet das Kalb taͤglich
fruͤh, mittags und abends fleißig ſau-
gen, lecket und liebet es, ob es gleich vom
Kalbe geſtoſſen wird; Doch habe ſelber
geſehen, daß ein Thier ſein eigenes Kalb,
weil es gebrechlich geweſen, angegriffen,
und bereits das rechte Ohr und die lin-
cke Klaue davon aufgezehret hat; Muth-
maſſe dahero, daß eben nicht ſo ſchlech-
terdings zu verwerffen ſey, was Plini-
us
von dem Hirſch und der Schlange ge-
ſchrieben hat, und iſt uns noch vieles
verborgen, welches wir auszulernen nicht
vermoͤgend ſind. So es geſogen, gehet
das Thier nach ſeiner Nahrung, wann
es das Kalb nicht gleich findet, wird es
ſo lange ruffen, biß das kleine antwor-
tet, ſo in kurtzer Zeit lauffen lernet. An-
faͤnglich gehet es allzeit hinter dem Thier
her, wann es aber kundiger und ſtaͤr-
cker wird, laͤufft es alsdann vorwitziger
voran. Das Thier fuͤhret ſein Kalb al-
lenthalben vorſichtig aus, zeiget ihm alle
Gefahr, Nahrung und Sicherheit, biß
es uͤberall kundig iſt und alle Gelegenhei-
ten mercket. Wann nun das Wild-
Kalb zu andern Kaͤlbern ſeines gleichen
koͤmmt, machen ſie ſich luſtig und uͤben
ſich im Lauffen, dummeln ſich mit kur-
tzen Wendungen, ſpringen fluͤchtig uͤber
die Straͤucher weg, ſchlagen mit denen
Vorder-Laͤufften und ſind ſehr artlich.
Das Thier laͤſſet es taͤglich ſaugen, biß
zur Brunfft, auch oͤffters etliche Wochen
nach der Brunfft, ob ſie ſchon wiederum
empfangen hat, wann aber das Thier
gelde gehet, ſauget ſie es durchs gantze
Jahr, biß ſie wiederum brunfftet. Jm
Sommer verliehret das Kalb ſeine weiſ-
ſe Flecken, etliche Wochen nach der Satz-
Zeit, und wird gelbroͤthlich, wie das an-
dere Wildpraͤth; Maaſſen alles rothe
Wildpraͤth insgemein umb die Satz-Zeit
die grauen Winter-Haare fallen laͤſſet,
und ſich roͤthlich faͤrbet. Des Fruͤhlings,
wenn ſie haaren, treibet ihnen die Natur
aus dem innerſten ſcorbutiſchen und ſal-
tzigten Gebluͤthe durch alle Poros, ſo zu
ſolcher Zeit ſich oͤffnen, zwiſchen Haut
und Fleiſch ſolche Materie, aus welcher
Putrefaction Wuͤrmer wachſen, Ender-
linge genannt, ſo auch zuweilen durch den
Schlund, Naſen und Maul heraus ge-
hen und eine Reinigung des Gebluͤts ſind,
zuzeiten aber durch beſagten Schlund ſo
ſtarck treiben, daß das Thier erſticken

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Zitationshilfe: Fleming, Hans Friedrich von: Der Vollkommene Teutsche Jäger. Bd. 1. Leipzig, 1719, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fleming_jaeger01_1719/182>, abgerufen am 21.11.2024.