verstrickt fühlt, der mit der Wahrnehmung des Gesichts¬ sinnes beginnt und mit der äußerlich sichtbaren Darstellung endet, desto mehr scheidet er aus allen den Beziehungen zu den Dingen aus, die vorher Macht über ihn hatten. Erst dadurch, daß er nicht mehr bloß als wahrnehmendes, vorstellendes, sondern als thätiges, äußerlich thätiges Wesen an der Sichtbarkeit der Dinge betheiligt ist, wird ihm diese voll gegenwärtig, und je mehr sie ihn mit ihrer lebendigen Gegenwart erfüllt, desto mehr wird alles von ihm hinwegtreten, was sich sonst bei der Betrachtung der Dinge in den Vordergrund seines Bewußtseins drängte und die Sichtbarkeit verdunkelte. Nur in seiner Thätig¬ keit wird der Künstler das Bewußtsein gewinnen, daß ihm eine Seite der Welt anvertraut ist, damit er sie zum selbst¬ ständigen und gestalteten Dasein bringe. Und ferner wird es auch nur vermittelst der künstlerischen Thätigkeit ge¬ lingen, jener Flucht der Vorstellungen, der wir anheim¬ gegeben sind, so lange wir uns nur sehend oder Sehbares in unserem Inneren reproducirend verhalten, Einhalt zu gebieten und uns der einzelnen Erscheinung in einem klaren und bestimmten Erzeugniß zu bemächtigen. Es kann wie ein Verzicht, wie eine Beschränkung erscheinen, wenn wir den Künstler mit einem Einzelnen, Begrenzten beschäftigt sehen, wo wir nur die Augen aufzuschlagen, nur unseren Vorstellungen den Lauf zu lassen brauchen, um mühelos ein ungeheures Reich der Sichtbarkeit zu gewinnen. Aber wenn wir es uns nahe bringen können, daß die Sichtbarkeit der Dinge, so lange sie nichts weiter
Fiedler, Ursprung. 9
verſtrickt fühlt, der mit der Wahrnehmung des Geſichts¬ ſinnes beginnt und mit der äußerlich ſichtbaren Darſtellung endet, deſto mehr ſcheidet er aus allen den Beziehungen zu den Dingen aus, die vorher Macht über ihn hatten. Erſt dadurch, daß er nicht mehr bloß als wahrnehmendes, vorſtellendes, ſondern als thätiges, äußerlich thätiges Weſen an der Sichtbarkeit der Dinge betheiligt iſt, wird ihm dieſe voll gegenwärtig, und je mehr ſie ihn mit ihrer lebendigen Gegenwart erfüllt, deſto mehr wird alles von ihm hinwegtreten, was ſich ſonſt bei der Betrachtung der Dinge in den Vordergrund ſeines Bewußtſeins drängte und die Sichtbarkeit verdunkelte. Nur in ſeiner Thätig¬ keit wird der Künſtler das Bewußtſein gewinnen, daß ihm eine Seite der Welt anvertraut iſt, damit er ſie zum ſelbſt¬ ſtändigen und geſtalteten Daſein bringe. Und ferner wird es auch nur vermittelſt der künſtleriſchen Thätigkeit ge¬ lingen, jener Flucht der Vorſtellungen, der wir anheim¬ gegeben ſind, ſo lange wir uns nur ſehend oder Sehbares in unſerem Inneren reproducirend verhalten, Einhalt zu gebieten und uns der einzelnen Erſcheinung in einem klaren und beſtimmten Erzeugniß zu bemächtigen. Es kann wie ein Verzicht, wie eine Beſchränkung erſcheinen, wenn wir den Künſtler mit einem Einzelnen, Begrenzten beſchäftigt ſehen, wo wir nur die Augen aufzuſchlagen, nur unſeren Vorſtellungen den Lauf zu laſſen brauchen, um mühelos ein ungeheures Reich der Sichtbarkeit zu gewinnen. Aber wenn wir es uns nahe bringen können, daß die Sichtbarkeit der Dinge, ſo lange ſie nichts weiter
Fiedler, Urſprung. 9
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verſtrickt fühlt, der mit der Wahrnehmung des Geſichts¬
ſinnes beginnt und mit der äußerlich ſichtbaren Darſtellung
endet, deſto mehr ſcheidet er aus allen den Beziehungen
zu den Dingen aus, die vorher Macht über ihn hatten.
Erſt dadurch, daß er nicht mehr bloß als wahrnehmendes,
vorſtellendes, ſondern als thätiges, äußerlich thätiges Weſen
an der Sichtbarkeit der Dinge betheiligt iſt, wird ihm
dieſe voll gegenwärtig, und je mehr ſie ihn mit ihrer
lebendigen Gegenwart erfüllt, deſto mehr wird alles von
ihm hinwegtreten, was ſich ſonſt bei der Betrachtung der
Dinge in den Vordergrund ſeines Bewußtſeins drängte
und die Sichtbarkeit verdunkelte. Nur in ſeiner Thätig¬
keit wird der Künſtler das Bewußtſein gewinnen, daß ihm
eine Seite der Welt anvertraut iſt, damit er ſie zum ſelbſt¬
ſtändigen und geſtalteten Daſein bringe. Und ferner wird
es auch nur vermittelſt der künſtleriſchen Thätigkeit ge¬
lingen, jener Flucht der Vorſtellungen, der wir anheim¬
gegeben ſind, ſo lange wir uns nur ſehend oder Sehbares
in unſerem Inneren reproducirend verhalten, Einhalt zu
gebieten und uns der einzelnen Erſcheinung in einem
klaren und beſtimmten Erzeugniß zu bemächtigen. Es
kann wie ein Verzicht, wie eine Beſchränkung erſcheinen,
wenn wir den Künſtler mit einem Einzelnen, Begrenzten
beſchäftigt ſehen, wo wir nur die Augen aufzuſchlagen,
nur unſeren Vorſtellungen den Lauf zu laſſen brauchen,
um mühelos ein ungeheures Reich der Sichtbarkeit zu
gewinnen. Aber wenn wir es uns nahe bringen können,
daß die Sichtbarkeit der Dinge, ſo lange ſie nichts weiter
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/141>, abgerufen am 20.07.2024.
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