Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

einführt. Um zu diesem Punkt zu gelangen, müssen einige
Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeschickt werden.

Diese Bemerkungen werden sich auf das Verhältniß
zu beziehen haben, in dem der Mensch zu der ihn um¬
gebenden Welt steht. Denn es wird sich zeigen, daß der¬
jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das
Wesen des künstlerischen Schaffens gefunden hat, nach einer
neuen Lösung des alten Problems sucht, nur dann zum
Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬
niß des Menschen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm
geläufige Auffassung desselben einer erneuten Prüfung
unterwirft.

Die Einsicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes
Dasein Gegenstand der Wahrnehmung und in Folge dessen
irgend einer Art geistigen Besitzes sein können, sondern daß
der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menschliche
Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Besitz¬
thümern des Bewußtseins gestaltet, -- diese Einsicht scheint
dem Menschen keineswegs immer in allen ihren Consequenzen
gegenwärtig zu sein. Zwar ist die einfache Gegenüber¬
stellung des wahrnehmenden, vorstellenden, erkennenden In¬
dividuums und der Welt des Seienden -- eine Gegen¬
überstellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬
seins bezeichnet wird -- mit jener Einsicht aufgehoben;
aber die große Umkehr, die in der Auffassung des Ver¬
hältnisses, in welchem der Mensch zur Außenwelt steht,
durch jene Einsicht gefordert wird, ist so lange nicht voll¬
endet, als der Mensch die stillschweigende Voraussetzung

einführt. Um zu dieſem Punkt zu gelangen, müſſen einige
Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeſchickt werden.

Dieſe Bemerkungen werden ſich auf das Verhältniß
zu beziehen haben, in dem der Menſch zu der ihn um¬
gebenden Welt ſteht. Denn es wird ſich zeigen, daß der¬
jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das
Weſen des künſtleriſchen Schaffens gefunden hat, nach einer
neuen Löſung des alten Problems ſucht, nur dann zum
Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬
niß des Menſchen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm
geläufige Auffaſſung desſelben einer erneuten Prüfung
unterwirft.

Die Einſicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes
Daſein Gegenſtand der Wahrnehmung und in Folge deſſen
irgend einer Art geiſtigen Beſitzes ſein können, ſondern daß
der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menſchliche
Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Beſitz¬
thümern des Bewußtſeins geſtaltet, — dieſe Einſicht ſcheint
dem Menſchen keineswegs immer in allen ihren Conſequenzen
gegenwärtig zu ſein. Zwar iſt die einfache Gegenüber¬
ſtellung des wahrnehmenden, vorſtellenden, erkennenden In¬
dividuums und der Welt des Seienden — eine Gegen¬
überſtellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬
ſeins bezeichnet wird — mit jener Einſicht aufgehoben;
aber die große Umkehr, die in der Auffaſſung des Ver¬
hältniſſes, in welchem der Menſch zur Außenwelt ſteht,
durch jene Einſicht gefordert wird, iſt ſo lange nicht voll¬
endet, als der Menſch die ſtillſchweigende Vorausſetzung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="2"/>
einführt. Um zu die&#x017F;em Punkt zu gelangen, mü&#x017F;&#x017F;en einige<lb/>
Bemerkungen allgemeiner Natur vorausge&#x017F;chickt werden.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Bemerkungen werden &#x017F;ich auf das Verhältniß<lb/>
zu beziehen haben, in dem der Men&#x017F;ch zu der ihn um¬<lb/>
gebenden Welt &#x017F;teht. Denn es wird &#x017F;ich zeigen, daß der¬<lb/>
jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das<lb/>
We&#x017F;en des kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Schaffens gefunden hat, nach einer<lb/>
neuen Lö&#x017F;ung des alten Problems &#x017F;ucht, nur dann zum<lb/>
Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬<lb/>
niß des Men&#x017F;chen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm<lb/>
geläufige Auffa&#x017F;&#x017F;ung des&#x017F;elben einer erneuten Prüfung<lb/>
unterwirft.</p><lb/>
        <p>Die Ein&#x017F;icht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes<lb/>
Da&#x017F;ein Gegen&#x017F;tand der Wahrnehmung und in Folge de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
irgend einer Art gei&#x017F;tigen Be&#x017F;itzes &#x017F;ein können, &#x017F;ondern daß<lb/>
der der Empfindung und Wahrnehmung fähige men&#x017F;chliche<lb/>
Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Be&#x017F;itz¬<lb/>
thümern des Bewußt&#x017F;eins ge&#x017F;taltet, &#x2014; die&#x017F;e Ein&#x017F;icht &#x017F;cheint<lb/>
dem Men&#x017F;chen keineswegs immer in allen ihren Con&#x017F;equenzen<lb/>
gegenwärtig zu &#x017F;ein. Zwar i&#x017F;t die einfache Gegenüber¬<lb/>
&#x017F;tellung des wahrnehmenden, vor&#x017F;tellenden, erkennenden In¬<lb/>
dividuums und der Welt des Seienden &#x2014; eine Gegen¬<lb/>
über&#x017F;tellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬<lb/>
&#x017F;eins bezeichnet wird &#x2014; mit jener Ein&#x017F;icht aufgehoben;<lb/>
aber die große Umkehr, die in der Auffa&#x017F;&#x017F;ung des Ver¬<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;es, in welchem der Men&#x017F;ch zur Außenwelt &#x017F;teht,<lb/>
durch jene Ein&#x017F;icht gefordert wird, i&#x017F;t &#x017F;o lange nicht voll¬<lb/>
endet, als der Men&#x017F;ch die &#x017F;till&#x017F;chweigende Voraus&#x017F;etzung<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0014] einführt. Um zu dieſem Punkt zu gelangen, müſſen einige Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeſchickt werden. Dieſe Bemerkungen werden ſich auf das Verhältniß zu beziehen haben, in dem der Menſch zu der ihn um¬ gebenden Welt ſteht. Denn es wird ſich zeigen, daß der¬ jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das Weſen des künſtleriſchen Schaffens gefunden hat, nach einer neuen Löſung des alten Problems ſucht, nur dann zum Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬ niß des Menſchen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm geläufige Auffaſſung desſelben einer erneuten Prüfung unterwirft. Die Einſicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes Daſein Gegenſtand der Wahrnehmung und in Folge deſſen irgend einer Art geiſtigen Beſitzes ſein können, ſondern daß der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menſchliche Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Beſitz¬ thümern des Bewußtſeins geſtaltet, — dieſe Einſicht ſcheint dem Menſchen keineswegs immer in allen ihren Conſequenzen gegenwärtig zu ſein. Zwar iſt die einfache Gegenüber¬ ſtellung des wahrnehmenden, vorſtellenden, erkennenden In¬ dividuums und der Welt des Seienden — eine Gegen¬ überſtellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬ ſeins bezeichnet wird — mit jener Einſicht aufgehoben; aber die große Umkehr, die in der Auffaſſung des Ver¬ hältniſſes, in welchem der Menſch zur Außenwelt ſteht, durch jene Einſicht gefordert wird, iſt ſo lange nicht voll¬ endet, als der Menſch die ſtillſchweigende Vorausſetzung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/14
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/14>, abgerufen am 24.04.2024.