pfänglichkeit für alle die Reize des Eigenthümlichen, An¬ muthigen, Schönen, die einem offenen Auge überall be¬ gegnen, bald zu einer sentimentalen Annäherung an die Natur, die in Gefühlserlebnissen und Stimmungen aus¬ läuft. Beides hat mit dem künstlerischen Interesse an der Natur noch nichts zu thun; keines von beiden führt über die Natur hinaus. Jenes oberflächliche, in der Beobachtung sich erschöpfende Bedürfniß thut sich im Grunde an dem, was ihm Natur und Leben bietet, Genüge, und vermag der Kunst gegenüber nicht über die kindische Freude an der Wiederholung dessen hinauszukommen, was ihm schon bekannt ist. Der Antheil, der an den Leistungen der Kunst genommen wird, läßt sich in sehr weitem Umfange auf dieses harmlose Vergnügen zurückführen. Unstreitig beruht die Fähigkeit, die Anschauung zu einem sentimentalen Er¬ lebniß werden zu lassen, auf reicheren und tieferen Seiten der menschlichen Natur. Hier trifft die Gewohnheit, sich in das Anschauen der Natur zu versenken, zusammen mit einer leichten Erregbarkeit des Gemüths und mit der hohen Gabe, die Schranke gleichsam niederzureißen, die den Einzelnen von allem trennt, was ein Gegenstand seiner Wahrnehmung ist. In besonders gesteigerten Augen¬ blicken tritt ein Gefühl der Naturnähe ein, durch welches wir in die allerinnigste Beziehung zu der ganzen Herrlich¬ keit der sichtbaren Welt zu treten meinen. Mit einer wunderbaren Klarheit des Schauens vereinigt sich das Ge¬ fühl, einem Unendlichen, Unergründlichen gegenüberzustehen, selbst diesem Unendlichen, Unergründlichen anzugehören.
pfänglichkeit für alle die Reize des Eigenthümlichen, An¬ muthigen, Schönen, die einem offenen Auge überall be¬ gegnen, bald zu einer ſentimentalen Annäherung an die Natur, die in Gefühlserlebniſſen und Stimmungen aus¬ läuft. Beides hat mit dem künſtleriſchen Intereſſe an der Natur noch nichts zu thun; keines von beiden führt über die Natur hinaus. Jenes oberflächliche, in der Beobachtung ſich erſchöpfende Bedürfniß thut ſich im Grunde an dem, was ihm Natur und Leben bietet, Genüge, und vermag der Kunſt gegenüber nicht über die kindiſche Freude an der Wiederholung deſſen hinauszukommen, was ihm ſchon bekannt iſt. Der Antheil, der an den Leiſtungen der Kunſt genommen wird, läßt ſich in ſehr weitem Umfange auf dieſes harmloſe Vergnügen zurückführen. Unſtreitig beruht die Fähigkeit, die Anſchauung zu einem ſentimentalen Er¬ lebniß werden zu laſſen, auf reicheren und tieferen Seiten der menſchlichen Natur. Hier trifft die Gewohnheit, ſich in das Anſchauen der Natur zu verſenken, zuſammen mit einer leichten Erregbarkeit des Gemüths und mit der hohen Gabe, die Schranke gleichſam niederzureißen, die den Einzelnen von allem trennt, was ein Gegenſtand ſeiner Wahrnehmung iſt. In beſonders geſteigerten Augen¬ blicken tritt ein Gefühl der Naturnähe ein, durch welches wir in die allerinnigſte Beziehung zu der ganzen Herrlich¬ keit der ſichtbaren Welt zu treten meinen. Mit einer wunderbaren Klarheit des Schauens vereinigt ſich das Ge¬ fühl, einem Unendlichen, Unergründlichen gegenüberzuſtehen, ſelbſt dieſem Unendlichen, Unergründlichen anzugehören.
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pfänglichkeit für alle die Reize des Eigenthümlichen, An¬
muthigen, Schönen, die einem offenen Auge überall be¬
gegnen, bald zu einer ſentimentalen Annäherung an die
Natur, die in Gefühlserlebniſſen und Stimmungen aus¬
läuft. Beides hat mit dem künſtleriſchen Intereſſe an der
Natur noch nichts zu thun; keines von beiden führt über
die Natur hinaus. Jenes oberflächliche, in der Beobachtung
ſich erſchöpfende Bedürfniß thut ſich im Grunde an dem,
was ihm Natur und Leben bietet, Genüge, und vermag
der Kunſt gegenüber nicht über die kindiſche Freude an
der Wiederholung deſſen hinauszukommen, was ihm ſchon
bekannt iſt. Der Antheil, der an den Leiſtungen der Kunſt
genommen wird, läßt ſich in ſehr weitem Umfange auf
dieſes harmloſe Vergnügen zurückführen. Unſtreitig beruht
die Fähigkeit, die Anſchauung zu einem ſentimentalen Er¬
lebniß werden zu laſſen, auf reicheren und tieferen Seiten
der menſchlichen Natur. Hier trifft die Gewohnheit, ſich
in das Anſchauen der Natur zu verſenken, zuſammen mit
einer leichten Erregbarkeit des Gemüths und mit der
hohen Gabe, die Schranke gleichſam niederzureißen, die
den Einzelnen von allem trennt, was ein Gegenſtand
ſeiner Wahrnehmung iſt. In beſonders geſteigerten Augen¬
blicken tritt ein Gefühl der Naturnähe ein, durch welches
wir in die allerinnigſte Beziehung zu der ganzen Herrlich¬
keit der ſichtbaren Welt zu treten meinen. Mit einer
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ſelbſt dieſem Unendlichen, Unergründlichen anzugehören.
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/108>, abgerufen am 17.07.2024.
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