Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

als ihn bloß anreden, du mußt ihn machen, ihn
also machen, daß er gar nicht anders wollen
könne, als du willst, daß er wolle. Es ist
vergebens zu sagen, fliege -- dem der keine
Flügel hat, und er wird durch alle deine
Ermahnungen nie zwei Schritte über den
Boden empor kommen; aber entwikle, wenn
du kannst, seine geistigen Schwungfedern,
und lasse ihn dieselben üben, und kräftig
machen, und er wird ohne alle dein Ermah¬
nen gar nicht anders mehr wollen, oder kön¬
nen, denn fliegen.

Diesen festen, und nicht weiter schwan¬
kenden Willen muß die neue Erziehung her¬
vorbringen nach einer sichern, und ohne Aus¬
nahme wirksamen Regel; sie muß selber mit
Nothwendigkeit erzeugen die Nothwendigkeit,
die sie beabsichtiget. Was bisher gut gewor¬
den ist, ist gut geworden durch seine natür¬
liche Anlage, durch welche die Einwirkung der
schlechten Umgebung überwogen wurde; kei¬
nesweges aber durch die Erziehung, denn sonst
hätte alles durch dieselbe hindurch gegan¬
gene gut werden müssen: was da verdarb,
verdarb eben so wenig, durch die Erziehung,

als ihn bloß anreden, du mußt ihn machen, ihn
alſo machen, daß er gar nicht anders wollen
koͤnne, als du willſt, daß er wolle. Es iſt
vergebens zu ſagen, fliege — dem der keine
Fluͤgel hat, und er wird durch alle deine
Ermahnungen nie zwei Schritte uͤber den
Boden empor kommen; aber entwikle, wenn
du kannſt, ſeine geiſtigen Schwungfedern,
und laſſe ihn dieſelben uͤben, und kraͤftig
machen, und er wird ohne alle dein Ermah¬
nen gar nicht anders mehr wollen, oder koͤn¬
nen, denn fliegen.

Dieſen feſten, und nicht weiter ſchwan¬
kenden Willen muß die neue Erziehung her¬
vorbringen nach einer ſichern, und ohne Aus¬
nahme wirkſamen Regel; ſie muß ſelber mit
Nothwendigkeit erzeugen die Nothwendigkeit,
die ſie beabſichtiget. Was bisher gut gewor¬
den iſt, iſt gut geworden durch ſeine natuͤr¬
liche Anlage, durch welche die Einwirkung der
ſchlechten Umgebung uͤberwogen wurde; kei¬
nesweges aber durch die Erziehung, denn ſonſt
haͤtte alles durch dieſelbe hindurch gegan¬
gene gut werden muͤſſen: was da verdarb,
verdarb eben ſo wenig, durch die Erziehung,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="54"/>
als ihn bloß anreden, du mußt ihn machen, ihn<lb/>
al&#x017F;o machen, daß er gar nicht anders wollen<lb/>
ko&#x0364;nne, als du will&#x017F;t, daß er wolle. Es i&#x017F;t<lb/>
vergebens zu &#x017F;agen, fliege &#x2014; dem der keine<lb/>
Flu&#x0364;gel hat, und er wird durch alle deine<lb/>
Ermahnungen nie zwei Schritte u&#x0364;ber den<lb/>
Boden empor kommen; aber entwikle, wenn<lb/>
du kann&#x017F;t, &#x017F;eine gei&#x017F;tigen Schwungfedern,<lb/>
und la&#x017F;&#x017F;e ihn die&#x017F;elben u&#x0364;ben, und kra&#x0364;ftig<lb/>
machen, und er wird ohne alle dein Ermah¬<lb/>
nen gar nicht anders mehr wollen, oder ko&#x0364;<lb/>
nen, denn fliegen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;en fe&#x017F;ten, und nicht weiter &#x017F;chwan¬<lb/>
kenden Willen muß die neue Erziehung her¬<lb/>
vorbringen nach einer &#x017F;ichern, und ohne Aus¬<lb/>
nahme wirk&#x017F;amen Regel; &#x017F;ie muß &#x017F;elber mit<lb/>
Nothwendigkeit erzeugen die Nothwendigkeit,<lb/>
die &#x017F;ie beab&#x017F;ichtiget. Was bisher gut gewor¬<lb/>
den i&#x017F;t, i&#x017F;t gut geworden durch &#x017F;eine natu&#x0364;<lb/>
liche Anlage, durch welche die Einwirkung der<lb/>
&#x017F;chlechten Umgebung u&#x0364;berwogen wurde; kei¬<lb/>
nesweges aber durch die Erziehung, denn &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
ha&#x0364;tte alles durch die&#x017F;elbe hindurch gegan¬<lb/>
gene gut werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: was da verdarb,<lb/>
verdarb eben &#x017F;o wenig, durch die Erziehung,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0060] als ihn bloß anreden, du mußt ihn machen, ihn alſo machen, daß er gar nicht anders wollen koͤnne, als du willſt, daß er wolle. Es iſt vergebens zu ſagen, fliege — dem der keine Fluͤgel hat, und er wird durch alle deine Ermahnungen nie zwei Schritte uͤber den Boden empor kommen; aber entwikle, wenn du kannſt, ſeine geiſtigen Schwungfedern, und laſſe ihn dieſelben uͤben, und kraͤftig machen, und er wird ohne alle dein Ermah¬ nen gar nicht anders mehr wollen, oder koͤn¬ nen, denn fliegen. Dieſen feſten, und nicht weiter ſchwan¬ kenden Willen muß die neue Erziehung her¬ vorbringen nach einer ſichern, und ohne Aus¬ nahme wirkſamen Regel; ſie muß ſelber mit Nothwendigkeit erzeugen die Nothwendigkeit, die ſie beabſichtiget. Was bisher gut gewor¬ den iſt, iſt gut geworden durch ſeine natuͤr¬ liche Anlage, durch welche die Einwirkung der ſchlechten Umgebung uͤberwogen wurde; kei¬ nesweges aber durch die Erziehung, denn ſonſt haͤtte alles durch dieſelbe hindurch gegan¬ gene gut werden muͤſſen: was da verdarb, verdarb eben ſo wenig, durch die Erziehung,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/60
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/60>, abgerufen am 24.11.2024.