Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

weder vermöge, noch wolle oder begehre, und
daß sie dies überhaupt für unmöglich halte.
Dagegen würde die neue Erziehung gerade
darin bestehen müssen, daß sie auf dem Bo¬
den, dessen Bearbeitung sie übernähme, die
Freiheit des Willens gänzlich vernichtete, und
dagegen strenge Nothwendigkeit der Entschlies¬
sungen, und die Unmöglichkeit des entgegen¬
gesezten in dem Willen hervorbrächte, auf
welchen Willen man nunmehro sicher rechnen
und auf ihn sich verlassen könnte.

Alle Bildung strebt an die Hervorbrin¬
gung eines festen bestimmten und beharrli¬
chen Seyns, das nun nicht mehr wird, son¬
dern ist, und nicht anders seyn kann, denn
so wie es ist. Strebte sie nicht an ein sol¬
ches Seyn, so wäre sie nicht Bildung, son¬
dern irgend ein zweckloses Spiel; hätte sie
ein solches Seyn nicht hervorgebracht, so wäre
sie eben noch nicht vollendet. Wer sich noch
ermahnen muß, und ermahnt werden, das
Gute zu wollen, der hat noch kein bestimm¬
tes, und stets bereit stehendes Wollen, son¬
dern er will sich dieses erst jedesmal im Falle
des Gebrauches machen; wer ein solches festes

weder vermoͤge, noch wolle oder begehre, und
daß ſie dies uͤberhaupt fuͤr unmoͤglich halte.
Dagegen wuͤrde die neue Erziehung gerade
darin beſtehen muͤſſen, daß ſie auf dem Bo¬
den, deſſen Bearbeitung ſie uͤbernaͤhme, die
Freiheit des Willens gaͤnzlich vernichtete, und
dagegen ſtrenge Nothwendigkeit der Entſchlieſ¬
ſungen, und die Unmoͤglichkeit des entgegen¬
geſezten in dem Willen hervorbraͤchte, auf
welchen Willen man nunmehro ſicher rechnen
und auf ihn ſich verlaſſen koͤnnte.

Alle Bildung ſtrebt an die Hervorbrin¬
gung eines feſten beſtimmten und beharrli¬
chen Seyns, das nun nicht mehr wird, ſon¬
dern iſt, und nicht anders ſeyn kann, denn
ſo wie es iſt. Strebte ſie nicht an ein ſol¬
ches Seyn, ſo waͤre ſie nicht Bildung, ſon¬
dern irgend ein zweckloſes Spiel; haͤtte ſie
ein ſolches Seyn nicht hervorgebracht, ſo waͤre
ſie eben noch nicht vollendet. Wer ſich noch
ermahnen muß, und ermahnt werden, das
Gute zu wollen, der hat noch kein beſtimm¬
tes, und ſtets bereit ſtehendes Wollen, ſon¬
dern er will ſich dieſes erſt jedesmal im Falle
des Gebrauches machen; wer ein ſolches feſtes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="52"/>
weder vermo&#x0364;ge, noch wolle oder begehre, und<lb/>
daß &#x017F;ie dies u&#x0364;berhaupt fu&#x0364;r unmo&#x0364;glich halte.<lb/>
Dagegen wu&#x0364;rde die neue Erziehung gerade<lb/>
darin be&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie auf dem Bo¬<lb/>
den, de&#x017F;&#x017F;en Bearbeitung &#x017F;ie u&#x0364;berna&#x0364;hme, die<lb/>
Freiheit des Willens ga&#x0364;nzlich vernichtete, und<lb/>
dagegen &#x017F;trenge Nothwendigkeit der Ent&#x017F;chlie&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ungen, und die Unmo&#x0364;glichkeit des entgegen¬<lb/>
ge&#x017F;ezten in dem Willen hervorbra&#x0364;chte, auf<lb/>
welchen Willen man nunmehro &#x017F;icher rechnen<lb/>
und auf ihn &#x017F;ich verla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
        <p>Alle Bildung &#x017F;trebt an die Hervorbrin¬<lb/>
gung eines fe&#x017F;ten be&#x017F;timmten und beharrli¬<lb/>
chen Seyns, das nun nicht mehr wird, &#x017F;on¬<lb/>
dern i&#x017F;t, und nicht anders &#x017F;eyn kann, denn<lb/>
&#x017F;o wie es i&#x017F;t. Strebte &#x017F;ie nicht an ein &#x017F;ol¬<lb/>
ches Seyn, &#x017F;o wa&#x0364;re &#x017F;ie nicht Bildung, &#x017F;on¬<lb/>
dern irgend ein zwecklo&#x017F;es Spiel; ha&#x0364;tte &#x017F;ie<lb/>
ein &#x017F;olches Seyn nicht hervorgebracht, &#x017F;o wa&#x0364;re<lb/>
&#x017F;ie eben noch nicht vollendet. Wer &#x017F;ich noch<lb/>
ermahnen muß, und ermahnt werden, das<lb/>
Gute zu wollen, der hat noch kein be&#x017F;timm¬<lb/>
tes, und &#x017F;tets bereit &#x017F;tehendes Wollen, &#x017F;on¬<lb/>
dern er will &#x017F;ich die&#x017F;es er&#x017F;t jedesmal im Falle<lb/>
des Gebrauches machen; wer ein &#x017F;olches fe&#x017F;tes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0058] weder vermoͤge, noch wolle oder begehre, und daß ſie dies uͤberhaupt fuͤr unmoͤglich halte. Dagegen wuͤrde die neue Erziehung gerade darin beſtehen muͤſſen, daß ſie auf dem Bo¬ den, deſſen Bearbeitung ſie uͤbernaͤhme, die Freiheit des Willens gaͤnzlich vernichtete, und dagegen ſtrenge Nothwendigkeit der Entſchlieſ¬ ſungen, und die Unmoͤglichkeit des entgegen¬ geſezten in dem Willen hervorbraͤchte, auf welchen Willen man nunmehro ſicher rechnen und auf ihn ſich verlaſſen koͤnnte. Alle Bildung ſtrebt an die Hervorbrin¬ gung eines feſten beſtimmten und beharrli¬ chen Seyns, das nun nicht mehr wird, ſon¬ dern iſt, und nicht anders ſeyn kann, denn ſo wie es iſt. Strebte ſie nicht an ein ſol¬ ches Seyn, ſo waͤre ſie nicht Bildung, ſon¬ dern irgend ein zweckloſes Spiel; haͤtte ſie ein ſolches Seyn nicht hervorgebracht, ſo waͤre ſie eben noch nicht vollendet. Wer ſich noch ermahnen muß, und ermahnt werden, das Gute zu wollen, der hat noch kein beſtimm¬ tes, und ſtets bereit ſtehendes Wollen, ſon¬ dern er will ſich dieſes erſt jedesmal im Falle des Gebrauches machen; wer ein ſolches feſtes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/58
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/58>, abgerufen am 02.05.2024.