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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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mer den Versuch machen, was sich hieraus er¬
geben würde. Aber, wenn wir sie auch nur
in unsrer Gesellschaft lassen, macht ihre Erzie¬
hung, ohne allen unsern Wunsch oder Willen,
sich von selbst; sie selbst erziehen sich an uns:
unsre Weise zu seyn dringt sich ihnen auf, als
ihr Muster, sie eifern uns nach, auch ohne
daß wir es verlangen, und sie begehren nichts
anderes, denn also zu werden, wie wir sind.
Nun aber sind wir in der Regel und nach der
großen Mehrheit genommen, durchaus verkehrt,
theils ohne es zu wissen, und indem wir selbst,
eben so unbefangen wie unsre Kinder, unsere
Verkehrtheit für das rechte halten; oder, wenn
wir es auch wüßten, wie vermöchten wir doch
in der Gesellschaft unsrer Kinder plözlich das,
was ein langes Leben uns zur zweiten Natur
gemacht hat, abzulegen, und unsern ganzen
alten Sinn und Geist mit einem neuen zu ver¬
tauschen? In der Berührung mit uns müssen
sie verderben, dies ist unvermeidlich; haben
wir einen Funken Liebe für sie, so müssen wir
sie entfernen aus unserm verpestenden Dunst¬
kreise, und einen reinern Aufenthalt für sie er¬
richten. Wir müssen sie in die Gesellschaft von

mer den Verſuch machen, was ſich hieraus er¬
geben wuͤrde. Aber, wenn wir ſie auch nur
in unſrer Geſellſchaft laſſen, macht ihre Erzie¬
hung, ohne allen unſern Wunſch oder Willen,
ſich von ſelbſt; ſie ſelbſt erziehen ſich an uns:
unſre Weiſe zu ſeyn dringt ſich ihnen auf, als
ihr Muſter, ſie eifern uns nach, auch ohne
daß wir es verlangen, und ſie begehren nichts
anderes, denn alſo zu werden, wie wir ſind.
Nun aber ſind wir in der Regel und nach der
großen Mehrheit genommen, durchaus verkehrt,
theils ohne es zu wiſſen, und indem wir ſelbſt,
eben ſo unbefangen wie unſre Kinder, unſere
Verkehrtheit fuͤr das rechte halten; oder, wenn
wir es auch wuͤßten, wie vermoͤchten wir doch
in der Geſellſchaft unſrer Kinder ploͤzlich das,
was ein langes Leben uns zur zweiten Natur
gemacht hat, abzulegen, und unſern ganzen
alten Sinn und Geiſt mit einem neuen zu ver¬
tauſchen? In der Beruͤhrung mit uns muͤſſen
ſie verderben, dies iſt unvermeidlich; haben
wir einen Funken Liebe fuͤr ſie, ſo muͤſſen wir
ſie entfernen aus unſerm verpeſtenden Dunſt¬
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[331/0337] mer den Verſuch machen, was ſich hieraus er¬ geben wuͤrde. Aber, wenn wir ſie auch nur in unſrer Geſellſchaft laſſen, macht ihre Erzie¬ hung, ohne allen unſern Wunſch oder Willen, ſich von ſelbſt; ſie ſelbſt erziehen ſich an uns: unſre Weiſe zu ſeyn dringt ſich ihnen auf, als ihr Muſter, ſie eifern uns nach, auch ohne daß wir es verlangen, und ſie begehren nichts anderes, denn alſo zu werden, wie wir ſind. Nun aber ſind wir in der Regel und nach der großen Mehrheit genommen, durchaus verkehrt, theils ohne es zu wiſſen, und indem wir ſelbſt, eben ſo unbefangen wie unſre Kinder, unſere Verkehrtheit fuͤr das rechte halten; oder, wenn wir es auch wuͤßten, wie vermoͤchten wir doch in der Geſellſchaft unſrer Kinder ploͤzlich das, was ein langes Leben uns zur zweiten Natur gemacht hat, abzulegen, und unſern ganzen alten Sinn und Geiſt mit einem neuen zu ver¬ tauſchen? In der Beruͤhrung mit uns muͤſſen ſie verderben, dies iſt unvermeidlich; haben wir einen Funken Liebe fuͤr ſie, ſo muͤſſen wir ſie entfernen aus unſerm verpeſtenden Dunſt¬ kreiſe, und einen reinern Aufenthalt fuͤr ſie er¬ richten. Wir muͤſſen ſie in die Geſellſchaft von

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/337>, abgerufen am 22.11.2024.