Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

wahrhaft ursprüngliches und erstes Leben, und
an dieser Stelle erst treten ein die wahren Ma¬
jestätsrechte der Regierung, gleich Gott um
höhern Lebens willen das niedere Leben daran
zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten
Verfassung, der Gesetze, des bürgerlichen
Wohlstandes, ist gar kein rechtes eigentliches
Leben, und kein ursprünglicher Entschluß.
Umstände, und Lage, längst vielleicht verstor¬
bene Gesezgeber, haben diese erschaffen; die fol¬
genden Zeitalter gehen gläubig fort auf der an¬
getretenen Bahn, und leben so in der That
nicht ein eignes öffentliches Leben, sondern sie
wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es be¬
darf in solchen Zeiten keiner eigentlichen Re¬
gierung. Wenn aber dieser gleichmäßige Fort¬
gang in Gefahr geräth, und es nun gilt, über
neue, nie also da gewesene Fälle zu entschei¬
den; dann bedarf es eines Lebens, das aus
sich selber lebe. Welcher Geist nun ist es, der
in solchen Fällen sich an das Ruder stellen
dürfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit,
und ohne unruhiges Hin- und Herschwanken
zu entscheiden vermöge, der ein unbezweifeltes

wahrhaft urſpruͤngliches und erſtes Leben, und
an dieſer Stelle erſt treten ein die wahren Ma¬
jeſtaͤtsrechte der Regierung, gleich Gott um
hoͤhern Lebens willen das niedere Leben daran
zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten
Verfaſſung, der Geſetze, des buͤrgerlichen
Wohlſtandes, iſt gar kein rechtes eigentliches
Leben, und kein urſpruͤnglicher Entſchluß.
Umſtaͤnde, und Lage, laͤngſt vielleicht verſtor¬
bene Geſezgeber, haben dieſe erſchaffen; die fol¬
genden Zeitalter gehen glaͤubig fort auf der an¬
getretenen Bahn, und leben ſo in der That
nicht ein eignes oͤffentliches Leben, ſondern ſie
wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es be¬
darf in ſolchen Zeiten keiner eigentlichen Re¬
gierung. Wenn aber dieſer gleichmaͤßige Fort¬
gang in Gefahr geraͤth, und es nun gilt, uͤber
neue, nie alſo da geweſene Faͤlle zu entſchei¬
den; dann bedarf es eines Lebens, das aus
ſich ſelber lebe. Welcher Geiſt nun iſt es, der
in ſolchen Faͤllen ſich an das Ruder ſtellen
duͤrfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit,
und ohne unruhiges Hin- und Herſchwanken
zu entſcheiden vermoͤge, der ein unbezweifeltes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0267" n="261"/>
wahrhaft ur&#x017F;pru&#x0364;ngliches und er&#x017F;tes Leben, und<lb/>
an die&#x017F;er Stelle er&#x017F;t treten ein die wahren Ma¬<lb/>
je&#x017F;ta&#x0364;tsrechte der Regierung, gleich Gott um<lb/>
ho&#x0364;hern Lebens willen das niedere Leben daran<lb/>
zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung, der Ge&#x017F;etze, des bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Wohl&#x017F;tandes, i&#x017F;t gar kein rechtes eigentliches<lb/>
Leben, und kein ur&#x017F;pru&#x0364;nglicher Ent&#x017F;chluß.<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde, und Lage, la&#x0364;ng&#x017F;t vielleicht ver&#x017F;tor¬<lb/>
bene Ge&#x017F;ezgeber, haben die&#x017F;e er&#x017F;chaffen; die fol¬<lb/>
genden Zeitalter gehen gla&#x0364;ubig fort auf der an¬<lb/>
getretenen Bahn, und leben &#x017F;o in der That<lb/>
nicht ein eignes o&#x0364;ffentliches Leben, &#x017F;ondern &#x017F;ie<lb/>
wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es be¬<lb/>
darf in &#x017F;olchen Zeiten keiner eigentlichen Re¬<lb/>
gierung. Wenn aber die&#x017F;er gleichma&#x0364;ßige Fort¬<lb/>
gang in Gefahr gera&#x0364;th, und es nun gilt, u&#x0364;ber<lb/>
neue, nie al&#x017F;o da gewe&#x017F;ene Fa&#x0364;lle zu ent&#x017F;chei¬<lb/>
den; dann bedarf es eines Lebens, das aus<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elber lebe. Welcher Gei&#x017F;t nun i&#x017F;t es, der<lb/>
in &#x017F;olchen Fa&#x0364;llen &#x017F;ich an das Ruder &#x017F;tellen<lb/>
du&#x0364;rfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit,<lb/>
und ohne unruhiges Hin- und Her&#x017F;chwanken<lb/>
zu ent&#x017F;cheiden vermo&#x0364;ge, der ein unbezweifeltes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0267] wahrhaft urſpruͤngliches und erſtes Leben, und an dieſer Stelle erſt treten ein die wahren Ma¬ jeſtaͤtsrechte der Regierung, gleich Gott um hoͤhern Lebens willen das niedere Leben daran zu wagen. In der Erhaltung der hergebrachten Verfaſſung, der Geſetze, des buͤrgerlichen Wohlſtandes, iſt gar kein rechtes eigentliches Leben, und kein urſpruͤnglicher Entſchluß. Umſtaͤnde, und Lage, laͤngſt vielleicht verſtor¬ bene Geſezgeber, haben dieſe erſchaffen; die fol¬ genden Zeitalter gehen glaͤubig fort auf der an¬ getretenen Bahn, und leben ſo in der That nicht ein eignes oͤffentliches Leben, ſondern ſie wiederholen nur ein ehemaliges Leben. Es be¬ darf in ſolchen Zeiten keiner eigentlichen Re¬ gierung. Wenn aber dieſer gleichmaͤßige Fort¬ gang in Gefahr geraͤth, und es nun gilt, uͤber neue, nie alſo da geweſene Faͤlle zu entſchei¬ den; dann bedarf es eines Lebens, das aus ſich ſelber lebe. Welcher Geiſt nun iſt es, der in ſolchen Faͤllen ſich an das Ruder ſtellen duͤrfe, der mit eigner Sicherheit und Gewißheit, und ohne unruhiges Hin- und Herſchwanken zu entſcheiden vermoͤge, der ein unbezweifeltes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/267
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/267>, abgerufen am 23.11.2024.