Rede kann sogar eine Schonung und Milde¬ rung enthalten, indem man eigentlich sagen wollte, sie könnte so viele Freiheit gar nicht er¬ tragen, und nur eine hohe Strenge könne ver¬ hindern, daß sie sich nicht unter einander selber aufrieben. Wenn aber die Worte also genom¬ men werden, wie sie gesagt sind, so sind sie wahr unter der Voraussetzung, daß eine solche Nation des ursprünglichen Lebens, und des Triebes nach solchem, durchaus unfähig sey. Eine solche Nation, falls eine solche, in der auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, möglich seyn sollte, bedürfte in der That gar keiner Freiheit, denn diese ist nur für die höhere über den Staat hinaus liegenden Zweke; sie bedarf bloß der Bezähmung, und Abrichtung, damit die Ein¬ zelnen friedlich neben einander bestehen, und damit das Ganze zu einem tüchtigen Mittel für willkührlich zu setzende außer ihr liegende Zweke zubereitet werde. Wir können unent¬ schieden lassen, ob man irgend einer Nation dies mit Wahrheit sagen könne; so viel ist klar, daß ein ursprüngliches Volk der Freiheit be¬
R 2
Rede kann ſogar eine Schonung und Milde¬ rung enthalten, indem man eigentlich ſagen wollte, ſie koͤnnte ſo viele Freiheit gar nicht er¬ tragen, und nur eine hohe Strenge koͤnne ver¬ hindern, daß ſie ſich nicht unter einander ſelber aufrieben. Wenn aber die Worte alſo genom¬ men werden, wie ſie geſagt ſind, ſo ſind ſie wahr unter der Vorausſetzung, daß eine ſolche Nation des urſpruͤnglichen Lebens, und des Triebes nach ſolchem, durchaus unfaͤhig ſey. Eine ſolche Nation, falls eine ſolche, in der auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von der allgemeinen Regel machten, moͤglich ſeyn ſollte, beduͤrfte in der That gar keiner Freiheit, denn dieſe iſt nur fuͤr die hoͤhere uͤber den Staat hinaus liegenden Zweke; ſie bedarf bloß der Bezaͤhmung, und Abrichtung, damit die Ein¬ zelnen friedlich neben einander beſtehen, und damit das Ganze zu einem tuͤchtigen Mittel fuͤr willkuͤhrlich zu ſetzende außer ihr liegende Zweke zubereitet werde. Wir koͤnnen unent¬ ſchieden laſſen, ob man irgend einer Nation dies mit Wahrheit ſagen koͤnne; ſo viel iſt klar, daß ein urſpruͤngliches Volk der Freiheit be¬
R 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0265"n="259"/>
Rede kann ſogar eine Schonung und Milde¬<lb/>
rung enthalten, indem man eigentlich ſagen<lb/>
wollte, ſie koͤnnte ſo viele Freiheit gar nicht er¬<lb/>
tragen, und nur eine hohe Strenge koͤnne ver¬<lb/>
hindern, daß ſie ſich nicht unter einander ſelber<lb/>
aufrieben. Wenn aber die Worte alſo genom¬<lb/>
men werden, wie ſie geſagt ſind, ſo ſind ſie<lb/>
wahr unter der Vorausſetzung, daß eine ſolche<lb/>
Nation des urſpruͤnglichen Lebens, und des<lb/>
Triebes nach ſolchem, durchaus unfaͤhig ſey.<lb/>
Eine ſolche Nation, falls eine ſolche, in der<lb/>
auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von<lb/>
der allgemeinen Regel machten, moͤglich ſeyn<lb/>ſollte, beduͤrfte in der That gar keiner Freiheit,<lb/>
denn dieſe iſt nur fuͤr die hoͤhere uͤber den Staat<lb/>
hinaus liegenden Zweke; ſie bedarf bloß der<lb/>
Bezaͤhmung, und Abrichtung, damit die Ein¬<lb/>
zelnen friedlich neben einander beſtehen, und<lb/>
damit das Ganze zu einem tuͤchtigen Mittel fuͤr<lb/>
willkuͤhrlich zu ſetzende außer ihr liegende<lb/>
Zweke zubereitet werde. Wir koͤnnen unent¬<lb/>ſchieden laſſen, ob man irgend einer Nation<lb/>
dies mit Wahrheit ſagen koͤnne; ſo viel iſt klar,<lb/>
daß ein urſpruͤngliches Volk der Freiheit be¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R 2<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[259/0265]
Rede kann ſogar eine Schonung und Milde¬
rung enthalten, indem man eigentlich ſagen
wollte, ſie koͤnnte ſo viele Freiheit gar nicht er¬
tragen, und nur eine hohe Strenge koͤnne ver¬
hindern, daß ſie ſich nicht unter einander ſelber
aufrieben. Wenn aber die Worte alſo genom¬
men werden, wie ſie geſagt ſind, ſo ſind ſie
wahr unter der Vorausſetzung, daß eine ſolche
Nation des urſpruͤnglichen Lebens, und des
Triebes nach ſolchem, durchaus unfaͤhig ſey.
Eine ſolche Nation, falls eine ſolche, in der
auch nicht wenige edlere eine Ausnahme von
der allgemeinen Regel machten, moͤglich ſeyn
ſollte, beduͤrfte in der That gar keiner Freiheit,
denn dieſe iſt nur fuͤr die hoͤhere uͤber den Staat
hinaus liegenden Zweke; ſie bedarf bloß der
Bezaͤhmung, und Abrichtung, damit die Ein¬
zelnen friedlich neben einander beſtehen, und
damit das Ganze zu einem tuͤchtigen Mittel fuͤr
willkuͤhrlich zu ſetzende außer ihr liegende
Zweke zubereitet werde. Wir koͤnnen unent¬
ſchieden laſſen, ob man irgend einer Nation
dies mit Wahrheit ſagen koͤnne; ſo viel iſt klar,
daß ein urſpruͤngliches Volk der Freiheit be¬
R 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/265>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.