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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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der Entzückung, aber nur weil der Sohn selbst nichts andres
ist als die Glut der Liebe, der Begeisterung *). Gott als
Sohn ist die primitive Incarnation, die primitive Selbstver-
läugnung Gottes; denn als Sohn ist er endliches Wesen;
denn er ist ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen
grundlos, a se, von sich selbst. Es wird also in der zweiten
Person die wesentliche Bestimmung der Gottheit, die Bestim-
mung des von sich selbst Seins aufgegeben. Aber Gott der
Vater zeugt selbst den Sohn; er resignirt also auf seine rigo-
rose ausschließliche Göttlichkeit; er ist herablassend, erniedrigt
sich, setzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde
Seins in sich; er wird im Sohne Mensch, zwar zuvörderst
nicht der Gestalt, doch dem Wesen nach. Aber eben dadurch
wird auch Gott erst Gegenstand des Menschen, Gegenstand
des Gefühls, des Herzens.

Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen stammt.
Aus der Beschaffenheit des subjectiven Verhaltens ist untrüg-
lich der Schluß auf die Beschaffenheit des Objects dieses Ver-
haltens. Der reine, freie Verstand negirt den Sohn, der durch
das Gefühl bestimmte, vom Herzen überschattete Verstand nicht;
er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er
in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für sich
etwas Dunkles ist und darum dem Menschen für etwas My-
steriöses gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre
Vater
des göttlichen Sohnes das menschliche Herz ist, der
Sohn selbst nichts ist als das göttliche Herz, das sich als
göttliches Wesen gegenständliche menschliche Herz
.

*) Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon-
sus amari
. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus
(Sup. Cant. Ser. 83.)

der Entzückung, aber nur weil der Sohn ſelbſt nichts andres
iſt als die Glut der Liebe, der Begeiſterung *). Gott als
Sohn iſt die primitive Incarnation, die primitive Selbſtver-
läugnung Gottes; denn als Sohn iſt er endliches Weſen;
denn er iſt ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen
grundlos, a se, von ſich ſelbſt. Es wird alſo in der zweiten
Perſon die weſentliche Beſtimmung der Gottheit, die Beſtim-
mung des von ſich ſelbſt Seins aufgegeben. Aber Gott der
Vater zeugt ſelbſt den Sohn; er reſignirt alſo auf ſeine rigo-
roſe ausſchließliche Göttlichkeit; er iſt herablaſſend, erniedrigt
ſich, ſetzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde
Seins in ſich; er wird im Sohne Menſch, zwar zuvörderſt
nicht der Geſtalt, doch dem Weſen nach. Aber eben dadurch
wird auch Gott erſt Gegenſtand des Menſchen, Gegenſtand
des Gefühls, des Herzens.

Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen ſtammt.
Aus der Beſchaffenheit des ſubjectiven Verhaltens iſt untrüg-
lich der Schluß auf die Beſchaffenheit des Objects dieſes Ver-
haltens. Der reine, freie Verſtand negirt den Sohn, der durch
das Gefühl beſtimmte, vom Herzen überſchattete Verſtand nicht;
er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er
in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für ſich
etwas Dunkles iſt und darum dem Menſchen für etwas My-
ſteriöſes gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre
Vater
des göttlichen Sohnes das menſchliche Herz iſt, der
Sohn ſelbſt nichts iſt als das göttliche Herz, das ſich als
göttliches Weſen gegenſtändliche menſchliche Herz
.

*) Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon-
sus amari
. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus
(Sup. Cant. Ser. 83.)
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[78/0096] der Entzückung, aber nur weil der Sohn ſelbſt nichts andres iſt als die Glut der Liebe, der Begeiſterung *). Gott als Sohn iſt die primitive Incarnation, die primitive Selbſtver- läugnung Gottes; denn als Sohn iſt er endliches Weſen; denn er iſt ab alio, von einem Grunde; der Vater dagegen grundlos, a se, von ſich ſelbſt. Es wird alſo in der zweiten Perſon die weſentliche Beſtimmung der Gottheit, die Beſtim- mung des von ſich ſelbſt Seins aufgegeben. Aber Gott der Vater zeugt ſelbſt den Sohn; er reſignirt alſo auf ſeine rigo- roſe ausſchließliche Göttlichkeit; er iſt herablaſſend, erniedrigt ſich, ſetzt das Princip der Endlichkeit, des von einem Grunde Seins in ſich; er wird im Sohne Menſch, zwar zuvörderſt nicht der Geſtalt, doch dem Weſen nach. Aber eben dadurch wird auch Gott erſt Gegenſtand des Menſchen, Gegenſtand des Gefühls, des Herzens. Das Herz ergreift nur, was aus dem Herzen ſtammt. Aus der Beſchaffenheit des ſubjectiven Verhaltens iſt untrüg- lich der Schluß auf die Beſchaffenheit des Objects dieſes Ver- haltens. Der reine, freie Verſtand negirt den Sohn, der durch das Gefühl beſtimmte, vom Herzen überſchattete Verſtand nicht; er findet vielmehr die Tiefe der Gottheit im Sohne, weil er in ihm das Gefühl findet, das Gefühl, das an und für ſich etwas Dunkles iſt und darum dem Menſchen für etwas My- ſteriöſes gilt. Der Sohn ergreift das Herz, weil der wahre Vater des göttlichen Sohnes das menſchliche Herz iſt, der Sohn ſelbſt nichts iſt als das göttliche Herz, das ſich als göttliches Weſen gegenſtändliche menſchliche Herz. *) Exigit ergo Deus timeri ut Dominus, honorari ut pater, ut spon- sus amari. Quid in his praestat, quid eminet? Amor. Bernardus (Sup. Cant. Ser. 83.)

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/96>, abgerufen am 02.05.2024.