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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus,
unicumque organum, quo panem et corpus Christi,
itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus

(ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum
panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san-
guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at
modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a
nemine mortalium
(sicherlich auch von keinem Gotte) expli-
cari potest, revera interim et ore corporis accipia-
mus
. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I.
§. 15.) Welch'
eine Heuchelei! Mit demselben Munde, womit er seinen Gott
zwischen die Lippen preßt und sein Blut in sich saugt, um sich
seiner wirklichen, d. i. fleischlichen Existenz zu versichern, mit
demselben Munde läugnet der Christ und zwar im heiligsten
Momente seiner Religion, die fleischliche Gegenwart, den fleischli-
chen Genuß Gottes. So läugnet er also auch hier, daß er
das Fleisch befriedigt, während er es in der That befriedigt.


Der Widerspruch der christlichen Religion ist der
Widerspruch von Glaube und Liebe
.

Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott
als einem vom Menschen unterschiednen persönlichen Wesen
auf. Wohl ist Gott der mystische Gattungsbegriff der Mensch-
heit -- was die Religion dadurch ausspricht, daß sie Gott
zum gemeinsamen Vater der Menschen macht -- und wer
daher Gott liebt, liebt insofern die Menschen. Die Liebe zu
Gott ist die mystische Liebe zum Menschen. Aber Gott ist
nicht nur das gemeinsame -- er ist auch ein besondres Wesen,
ein Wesen für sich -- ein Subject. Wie sich daher theore-
tisch
in dem Satze: Gott ist die Liebe, das Subject von dem
Prädicat der Liebe unterscheidet, so scheidet sich auch nothwen-
dig praktisch das Wesen, die Persönlichkeit Gottes von
der Liebe. Wo sich das Wesen von der Liebe scheidet, ent-
springt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-

statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus,
unicumque organum, quo panem et corpus Christi,
itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus

(ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum
panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san-
guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at
modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a
nemine mortalium
(ſicherlich auch von keinem Gotte) expli-
cari potest, revera interim et ore corporis accipia-
mus
. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I.
§. 15.) Welch’
eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott
zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich
ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit
demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten
Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli-
chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er
das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt.


Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der
Widerſpruch von Glaube und Liebe
.

Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott
als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen
auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch-
heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott
zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer
daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu
Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt
nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen,
ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher theore-
tiſch
in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem
Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen-
dig praktiſch das Weſen, die Perſönlichkeit Gottes von
der Liebe. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent-
ſpringt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-

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[438/0456] statim est naturalis .... Unicus itaque licet sit actus, unicumque organum, quo panem et corpus Christi, itemque vinum et sanguinem Christi accipimus, modus (ja wohl der modus) nihilominus maximopere differt, cum panem et vinum modo naturali et sensibili, corpus et san- guinem Christi simul equidem cum pane et vino, at modo supernaturali et insensibili, qui adeo etiam a nemine mortalium (ſicherlich auch von keinem Gotte) expli- cari potest, revera interim et ore corporis accipia- mus. Jo. Fr. Buddeus (l. c. Lib. V. c. I. §. 15.) Welch’ eine Heuchelei! Mit demſelben Munde, womit er ſeinen Gott zwiſchen die Lippen preßt und ſein Blut in ſich ſaugt, um ſich ſeiner wirklichen, d. i. fleiſchlichen Exiſtenz zu verſichern, mit demſelben Munde läugnet der Chriſt und zwar im heiligſten Momente ſeiner Religion, die fleiſchliche Gegenwart, den fleiſchli- chen Genuß Gottes. So läugnet er alſo auch hier, daß er das Fleiſch befriedigt, während er es in der That befriedigt. Der Widerſpruch der chriſtlichen Religion iſt der Widerſpruch von Glaube und Liebe. Der Glaube opfert die Liebe zur Liebe der Liebe zu Gott als einem vom Menſchen unterſchiednen perſönlichen Weſen auf. Wohl iſt Gott der myſtiſche Gattungsbegriff der Menſch- heit — was die Religion dadurch ausſpricht, daß ſie Gott zum gemeinſamen Vater der Menſchen macht — und wer daher Gott liebt, liebt inſofern die Menſchen. Die Liebe zu Gott iſt die myſtiſche Liebe zum Menſchen. Aber Gott iſt nicht nur das gemeinſame — er iſt auch ein beſondres Weſen, ein Weſen für ſich — ein Subject. Wie ſich daher theore- tiſch in dem Satze: Gott iſt die Liebe, das Subject von dem Prädicat der Liebe unterſcheidet, ſo ſcheidet ſich auch nothwen- dig praktiſch das Weſen, die Perſönlichkeit Gottes von der Liebe. Wo ſich das Weſen von der Liebe ſcheidet, ent- ſpringt die Willkühr. Die Liebe handelt aus Nothwen-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/456>, abgerufen am 07.05.2024.