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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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der Werth, die Würde des menschlichen Fleisches nicht in
ihm
selbst liegt, warum machst Du nicht andres, nicht thie-
risches
Fleisch zur Wohnstätte des göttlichen Geistes." Zwar
heißt es: der Mensch ist nur das Organ "in, mit und
durch" welches die Gottheit wirket "wie die Seele im Leibe."
Aber auch dieser Einwand ist durch das eben Gesagte schon
widerlegt. Gott wählte den Menschen zu seinem Organ, sei-
nem Leibe, weil er nur im Menschen ein seiner würdiges,
ein ihm passendes, wohlgefälliges Organ fand. Wenn der
Mensch gleichgültig ist, warum incarnirte sich denn Gott nicht
in einem Thiere? So kommt Gott nur aus dem Menschen in
den Menschen. Die Erscheinung Gottes im Menschen ist nur
eine Erscheinung von der Göttlichkeit und Herrlichkeit des
Menschen. Noscitur ex alio, qui non cognoscitur ex se --
dieser triviale Spruch gilt auch hier. Gott wird erkannt aus
dem Menschen, den er mit seiner persönlichen Gegenwart und
Einwohnung beehrt, und zwar als ein menschliches We-
sen
, denn was einer bevorzugt, auserwählt, liebt, das ist
sein gegenständliches Wesen selbst; und der Mensch wrid aus
Gott erkannt, und zwar als ein göttliches Wesen, denn
nur Gotteswürdiges, nur Göttliches kann Object, kann Or-
gan und Wohnsitz Gottes sein. Zwar heißt es ferner: es ist
nur dieser Jesus Christus ausschließlich allein, kein
andrer Mensch sonst, der als Gott verehrt wird. Aber auch
dieser Grund ist eitel und nichtig. Christus ist zwar Einer
nur, aber Einer für Alle. Er ist Mensch, wie wir, "un-
ser Bruder und wir sind Fleisch von seinem Fleische und Bein
von seinem Bein." Jeder erkennt daher sich in Christo, jeder
findet sich in ihm repräsentirt. "Fleisch und Blut ver-
kennt sich nicht
." Man mag sich daher drehen und wen-
den, läugnen und lügen so viel als man will: es steht un-
umstößlich fest: die Christen beten das menschliche In-
dividuum an als das höchste Wesen -- als Gott
. Frei-
lich nicht mit Bewußtsein; denn dieß eben constituirt die Illu-
sion des religiösen Princips. Aber in diesem Sinne beteten

Feuerbach. 28

der Werth, die Würde des menſchlichen Fleiſches nicht in
ihm
ſelbſt liegt, warum machſt Du nicht andres, nicht thie-
riſches
Fleiſch zur Wohnſtätte des göttlichen Geiſtes.“ Zwar
heißt es: der Menſch iſt nur das Organ „in, mit und
durch“ welches die Gottheit wirket „wie die Seele im Leibe.“
Aber auch dieſer Einwand iſt durch das eben Geſagte ſchon
widerlegt. Gott wählte den Menſchen zu ſeinem Organ, ſei-
nem Leibe, weil er nur im Menſchen ein ſeiner würdiges,
ein ihm paſſendes, wohlgefälliges Organ fand. Wenn der
Menſch gleichgültig iſt, warum incarnirte ſich denn Gott nicht
in einem Thiere? So kommt Gott nur aus dem Menſchen in
den Menſchen. Die Erſcheinung Gottes im Menſchen iſt nur
eine Erſcheinung von der Göttlichkeit und Herrlichkeit des
Menſchen. Noscitur ex alio, qui non cognoscitur ex se
dieſer triviale Spruch gilt auch hier. Gott wird erkannt aus
dem Menſchen, den er mit ſeiner perſönlichen Gegenwart und
Einwohnung beehrt, und zwar als ein menſchliches We-
ſen
, denn was einer bevorzugt, auserwählt, liebt, das iſt
ſein gegenſtändliches Weſen ſelbſt; und der Menſch wrid aus
Gott erkannt, und zwar als ein göttliches Weſen, denn
nur Gotteswürdiges, nur Göttliches kann Object, kann Or-
gan und Wohnſitz Gottes ſein. Zwar heißt es ferner: es iſt
nur dieſer Jeſus Chriſtus ausſchließlich allein, kein
andrer Menſch ſonſt, der als Gott verehrt wird. Aber auch
dieſer Grund iſt eitel und nichtig. Chriſtus iſt zwar Einer
nur, aber Einer für Alle. Er iſt Menſch, wie wir, „un-
ſer Bruder und wir ſind Fleiſch von ſeinem Fleiſche und Bein
von ſeinem Bein.“ Jeder erkennt daher ſich in Chriſto, jeder
findet ſich in ihm repräſentirt. „Fleiſch und Blut ver-
kennt ſich nicht
.“ Man mag ſich daher drehen und wen-
den, läugnen und lügen ſo viel als man will: es ſteht un-
umſtößlich feſt: die Chriſten beten das menſchliche In-
dividuum an als das höchſte Weſen — als Gott
. Frei-
lich nicht mit Bewußtſein; denn dieß eben conſtituirt die Illu-
ſion des religiöſen Princips. Aber in dieſem Sinne beteten

Feuerbach. 28
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[433/0451] der Werth, die Würde des menſchlichen Fleiſches nicht in ihm ſelbſt liegt, warum machſt Du nicht andres, nicht thie- riſches Fleiſch zur Wohnſtätte des göttlichen Geiſtes.“ Zwar heißt es: der Menſch iſt nur das Organ „in, mit und durch“ welches die Gottheit wirket „wie die Seele im Leibe.“ Aber auch dieſer Einwand iſt durch das eben Geſagte ſchon widerlegt. Gott wählte den Menſchen zu ſeinem Organ, ſei- nem Leibe, weil er nur im Menſchen ein ſeiner würdiges, ein ihm paſſendes, wohlgefälliges Organ fand. Wenn der Menſch gleichgültig iſt, warum incarnirte ſich denn Gott nicht in einem Thiere? So kommt Gott nur aus dem Menſchen in den Menſchen. Die Erſcheinung Gottes im Menſchen iſt nur eine Erſcheinung von der Göttlichkeit und Herrlichkeit des Menſchen. Noscitur ex alio, qui non cognoscitur ex se — dieſer triviale Spruch gilt auch hier. Gott wird erkannt aus dem Menſchen, den er mit ſeiner perſönlichen Gegenwart und Einwohnung beehrt, und zwar als ein menſchliches We- ſen, denn was einer bevorzugt, auserwählt, liebt, das iſt ſein gegenſtändliches Weſen ſelbſt; und der Menſch wrid aus Gott erkannt, und zwar als ein göttliches Weſen, denn nur Gotteswürdiges, nur Göttliches kann Object, kann Or- gan und Wohnſitz Gottes ſein. Zwar heißt es ferner: es iſt nur dieſer Jeſus Chriſtus ausſchließlich allein, kein andrer Menſch ſonſt, der als Gott verehrt wird. Aber auch dieſer Grund iſt eitel und nichtig. Chriſtus iſt zwar Einer nur, aber Einer für Alle. Er iſt Menſch, wie wir, „un- ſer Bruder und wir ſind Fleiſch von ſeinem Fleiſche und Bein von ſeinem Bein.“ Jeder erkennt daher ſich in Chriſto, jeder findet ſich in ihm repräſentirt. „Fleiſch und Blut ver- kennt ſich nicht.“ Man mag ſich daher drehen und wen- den, läugnen und lügen ſo viel als man will: es ſteht un- umſtößlich feſt: die Chriſten beten das menſchliche In- dividuum an als das höchſte Weſen — als Gott. Frei- lich nicht mit Bewußtſein; denn dieß eben conſtituirt die Illu- ſion des religiöſen Princips. Aber in dieſem Sinne beteten Feuerbach. 28

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/451>, abgerufen am 07.05.2024.