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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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andres als das Bewußtsein seiner als der absoluten Iden-
tität
, d. h. was dem Verstande für verstandesgemäß gilt, das
ist ihm ein absolutes Gesetz; es ist ihm unmöglich zu denken, daß,
was sich widerspricht, falsch, unsinnig ist, irgend wo wahr, und
was wahr, was vernünftig, irgend wo falsch, unvernünftig sei.
Von einem wesentlich andern Verstande habe ich auch nicht die
entfernteste Vorstellung, die entfernteste Ahnung. Vielmehr ist
jeder vermeintlich andere Verstand, den ich setze, nur eine
Position meines eignen Verstandes, eine Idee, Vorstellung
von mir, eine Vorstellung, die innerhalb mein Denkvermögen
fällt, also meinen Verstand ausdrückt und bejaht. Was ich
denke und zwar als das Höchste denke, das ist eben der höchste
Grad meiner Denkkraft, das Maaß dessen, was ich überhaupt
zu denken vermag. Was ich denke, das thue ich selbst --
natürlich bei rein theoretischen oder intellectuellen Dingen --
was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke
als getrennt, unterscheide ich in meinem Denken. Denke
ich also z. B. in dem göttlichen Verstande die Anschauung oder
Wirklichkeit des Gegenstandes mit der Vorstellung desselben
unmittelbar verbunden, so verbinde ich sie wirklich; mein Ver-
stand oder meine Einbildungskraft ist also das Verbindungs-
vermögen dieser Unterschiede oder Gegensätze. Wie könntest Du
sie Dir denn verbunden vorstellen -- sei diese Vorstellung nun
eine confuse oder deutliche -- wenn Du sie nicht in Dir selbst
verbändest? Wie könntest Du überhaupt eine Schranke in Gott
aufheben, wenn Du sie nicht an Dir selbst als Schranke
empfändest und aufhöbest, wie in Gott eine Realität setzen,
wenn Du sie nicht selbst als Realität empfändest? Was ist
also Gott anders als das höchste, ungetrübteste, freieste Selbst-
gefühl des Menschen? was der Verstand Gottes anders, als
der seiner selbst gewisse, seiner selbst bewußte Verstand des
Menschen?


andres als das Bewußtſein ſeiner als der abſoluten Iden-
tität
, d. h. was dem Verſtande für verſtandesgemäß gilt, das
iſt ihm ein abſolutes Geſetz; es iſt ihm unmöglich zu denken, daß,
was ſich widerſpricht, falſch, unſinnig iſt, irgend wo wahr, und
was wahr, was vernünftig, irgend wo falſch, unvernünftig ſei.
Von einem weſentlich andern Verſtande habe ich auch nicht die
entfernteſte Vorſtellung, die entfernteſte Ahnung. Vielmehr iſt
jeder vermeintlich andere Verſtand, den ich ſetze, nur eine
Poſition meines eignen Verſtandes, eine Idee, Vorſtellung
von mir, eine Vorſtellung, die innerhalb mein Denkvermögen
fällt, alſo meinen Verſtand ausdrückt und bejaht. Was ich
denke und zwar als das Höchſte denke, das iſt eben der höchſte
Grad meiner Denkkraft, das Maaß deſſen, was ich überhaupt
zu denken vermag. Was ich denke, das thue ich ſelbſt —
natürlich bei rein theoretiſchen oder intellectuellen Dingen —
was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke
als getrennt, unterſcheide ich in meinem Denken. Denke
ich alſo z. B. in dem göttlichen Verſtande die Anſchauung oder
Wirklichkeit des Gegenſtandes mit der Vorſtellung deſſelben
unmittelbar verbunden, ſo verbinde ich ſie wirklich; mein Ver-
ſtand oder meine Einbildungskraft iſt alſo das Verbindungs-
vermögen dieſer Unterſchiede oder Gegenſätze. Wie könnteſt Du
ſie Dir denn verbunden vorſtellen — ſei dieſe Vorſtellung nun
eine confuſe oder deutliche — wenn Du ſie nicht in Dir ſelbſt
verbändeſt? Wie könnteſt Du überhaupt eine Schranke in Gott
aufheben, wenn Du ſie nicht an Dir ſelbſt als Schranke
empfändeſt und aufhöbeſt, wie in Gott eine Realität ſetzen,
wenn Du ſie nicht ſelbſt als Realität empfändeſt? Was iſt
alſo Gott anders als das höchſte, ungetrübteſte, freieſte Selbſt-
gefühl des Menſchen? was der Verſtand Gottes anders, als
der ſeiner ſelbſt gewiſſe, ſeiner ſelbſt bewußte Verſtand des
Menſchen?


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[426/0444] andres als das Bewußtſein ſeiner als der abſoluten Iden- tität, d. h. was dem Verſtande für verſtandesgemäß gilt, das iſt ihm ein abſolutes Geſetz; es iſt ihm unmöglich zu denken, daß, was ſich widerſpricht, falſch, unſinnig iſt, irgend wo wahr, und was wahr, was vernünftig, irgend wo falſch, unvernünftig ſei. Von einem weſentlich andern Verſtande habe ich auch nicht die entfernteſte Vorſtellung, die entfernteſte Ahnung. Vielmehr iſt jeder vermeintlich andere Verſtand, den ich ſetze, nur eine Poſition meines eignen Verſtandes, eine Idee, Vorſtellung von mir, eine Vorſtellung, die innerhalb mein Denkvermögen fällt, alſo meinen Verſtand ausdrückt und bejaht. Was ich denke und zwar als das Höchſte denke, das iſt eben der höchſte Grad meiner Denkkraft, das Maaß deſſen, was ich überhaupt zu denken vermag. Was ich denke, das thue ich ſelbſt — natürlich bei rein theoretiſchen oder intellectuellen Dingen — was ich als verbunden denke, verbinde ich, was ich denke als getrennt, unterſcheide ich in meinem Denken. Denke ich alſo z. B. in dem göttlichen Verſtande die Anſchauung oder Wirklichkeit des Gegenſtandes mit der Vorſtellung deſſelben unmittelbar verbunden, ſo verbinde ich ſie wirklich; mein Ver- ſtand oder meine Einbildungskraft iſt alſo das Verbindungs- vermögen dieſer Unterſchiede oder Gegenſätze. Wie könnteſt Du ſie Dir denn verbunden vorſtellen — ſei dieſe Vorſtellung nun eine confuſe oder deutliche — wenn Du ſie nicht in Dir ſelbſt verbändeſt? Wie könnteſt Du überhaupt eine Schranke in Gott aufheben, wenn Du ſie nicht an Dir ſelbſt als Schranke empfändeſt und aufhöbeſt, wie in Gott eine Realität ſetzen, wenn Du ſie nicht ſelbſt als Realität empfändeſt? Was iſt alſo Gott anders als das höchſte, ungetrübteſte, freieſte Selbſt- gefühl des Menſchen? was der Verſtand Gottes anders, als der ſeiner ſelbſt gewiſſe, ſeiner ſelbſt bewußte Verſtand des Menſchen?

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/444>, abgerufen am 10.05.2024.