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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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vigilare, dormire, quiescere, laborare et caeteris ne-
cessitatibus naturae
subjacere, vere magna miseria
est et afflictio homini devoto, qui libenter esset absolutus
et liber ab omni peccato. Utinam non essent istae ne-
cessitates
, sed solum spirituales animae refectiones,
quas heu! satis raro degustamus. Thomas a K. (de imit.
l. I. c.
22 u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss.
de anima et resurr. Lipsiae 1837. p. 98. p.
144. 153.)
Wohl ist die christliche Unsterblichkeit im Unterschiede von der
heidnischen nicht die Unsterblichkeit des Geistes, sondern die des
Fleisches. ... Scientia immortalis visa est res illis (den
heidnischen Philosophen) atque incorruptibilis. Nos autem,
quibus divina revelatio illuxit ... novimus, non solum
mentem, sed affectus perpurgatos, neque animam
tantum, sed etiam corpus ad immortalitatem assum-
ptum iri suo tempore. Baco de Verul. (de augm. Scien.
l. I.)
Celsus warf deßwegen den Christen ein desiderium cor-
poris
vor. Aber dieser unsterbliche Körper ist, wie schon be-
merkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemüthlicher, subjecti-
ver Leib -- ein Leib, welcher die directe Negation des wirklichen
natürlichen Leibes ist. Und es handelt sich daher in diesem
Glauben nicht sowohl um die Anerkennung oder Verklärung
der Natur, der Materie als solcher, als vielmehr nur um die
Realität des Gemüths, der Subjectivität, welcher der wirkliche
objective Leib zur Last ist und daher statt dessen ein angemes-
sener, ihren Wünschen entsprechender Körper zu Theil wird.

Was die Engel eigentlich sind, denen die himmlischen
Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel eben so wenig,
wie über andere wichtige Dinge, bestimmte Aufschlüsse, sie
werden nur von ihr Geister pneumata genannt und als ho-
minibus superiores
bezeichnet. Die spätern Christen sprachen
sich, und mit vollem Rechte, auch hierüber bestimmter aus,
jedoch verschiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die
andern nicht -- eine übrigens nur scheinbare Differenz, da
der englische Leib nur ein phantastischer ist. Was jedoch den

vigilare, dormire, quiescere, laborare et caeteris ne-
cessitatibus naturae
subjacere, vere magna miseria
est et afflictio homini devoto, qui libenter esset absolutus
et liber ab omni peccato. Utinam non essent istae ne-
cessitates
, sed solum spirituales animae refectiones,
quas heu! satis raro degustamus. Thomas a K. (de imit.
l. I. c.
22 u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss.
de anima et resurr. Lipsiae 1837. p. 98. p.
144. 153.)
Wohl iſt die chriſtliche Unſterblichkeit im Unterſchiede von der
heidniſchen nicht die Unſterblichkeit des Geiſtes, ſondern die des
Fleiſches. … Scientia immortalis visa est res illis (den
heidniſchen Philoſophen) atque incorruptibilis. Nos autem,
quibus divina revelatio illuxit … novimus, non solum
mentem, sed affectus perpurgatos, neque animam
tantum, sed etiam corpus ad immortalitatem assum-
ptum iri suo tempore. Baco de Verul. (de augm. Scien.
l. I.)
Celſus warf deßwegen den Chriſten ein desiderium cor-
poris
vor. Aber dieſer unſterbliche Körper iſt, wie ſchon be-
merkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemüthlicher, ſubjecti-
ver Leib — ein Leib, welcher die directe Negation des wirklichen
natürlichen Leibes iſt. Und es handelt ſich daher in dieſem
Glauben nicht ſowohl um die Anerkennung oder Verklärung
der Natur, der Materie als ſolcher, als vielmehr nur um die
Realität des Gemüths, der Subjectivität, welcher der wirkliche
objective Leib zur Laſt iſt und daher ſtatt deſſen ein angemeſ-
ſener, ihren Wünſchen entſprechender Körper zu Theil wird.

Was die Engel eigentlich ſind, denen die himmliſchen
Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel eben ſo wenig,
wie über andere wichtige Dinge, beſtimmte Aufſchlüſſe, ſie
werden nur von ihr Geiſter πνεύματα genannt und als ho-
minibus superiores
bezeichnet. Die ſpätern Chriſten ſprachen
ſich, und mit vollem Rechte, auch hierüber beſtimmter aus,
jedoch verſchiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die
andern nicht — eine übrigens nur ſcheinbare Differenz, da
der engliſche Leib nur ein phantaſtiſcher iſt. Was jedoch den

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[422/0440] vigilare, dormire, quiescere, laborare et caeteris ne- cessitatibus naturae subjacere, vere magna miseria est et afflictio homini devoto, qui libenter esset absolutus et liber ab omni peccato. Utinam non essent istae ne- cessitates, sed solum spirituales animae refectiones, quas heu! satis raro degustamus. Thomas a K. (de imit. l. I. c. 22 u. 25. S. hierüber auch z. B. S. Gregorii Nyss. de anima et resurr. Lipsiae 1837. p. 98. p. 144. 153.) Wohl iſt die chriſtliche Unſterblichkeit im Unterſchiede von der heidniſchen nicht die Unſterblichkeit des Geiſtes, ſondern die des Fleiſches. … Scientia immortalis visa est res illis (den heidniſchen Philoſophen) atque incorruptibilis. Nos autem, quibus divina revelatio illuxit … novimus, non solum mentem, sed affectus perpurgatos, neque animam tantum, sed etiam corpus ad immortalitatem assum- ptum iri suo tempore. Baco de Verul. (de augm. Scien. l. I.) Celſus warf deßwegen den Chriſten ein desiderium cor- poris vor. Aber dieſer unſterbliche Körper iſt, wie ſchon be- merkt, ein immaterieller, d. h. durchaus gemüthlicher, ſubjecti- ver Leib — ein Leib, welcher die directe Negation des wirklichen natürlichen Leibes iſt. Und es handelt ſich daher in dieſem Glauben nicht ſowohl um die Anerkennung oder Verklärung der Natur, der Materie als ſolcher, als vielmehr nur um die Realität des Gemüths, der Subjectivität, welcher der wirkliche objective Leib zur Laſt iſt und daher ſtatt deſſen ein angemeſ- ſener, ihren Wünſchen entſprechender Körper zu Theil wird. Was die Engel eigentlich ſind, denen die himmliſchen Seelen gleichen werden, darüber gibt die Bibel eben ſo wenig, wie über andere wichtige Dinge, beſtimmte Aufſchlüſſe, ſie werden nur von ihr Geiſter πνεύματα genannt und als ho- minibus superiores bezeichnet. Die ſpätern Chriſten ſprachen ſich, und mit vollem Rechte, auch hierüber beſtimmter aus, jedoch verſchiedentlich. Die einen gaben ihnen Körper, die andern nicht — eine übrigens nur ſcheinbare Differenz, da der engliſche Leib nur ein phantaſtiſcher iſt. Was jedoch den

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/440>, abgerufen am 10.05.2024.