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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Dich verheirathest; indeß das ist nur mein unmaaßgeblicher,
freundschaftlicher Rath. Omnia licent, sed non omnia ex-
pediunt.
Was im Vordersatze zugegeben, das wird im Nach-
satz widerrufen. Licet, sagt der Mensch, non expedit, sagt
der Christ. Aber nur was für den Christen gut, ist für den
Menschen, wofern er ein christlicher sein will, das Maaß des
Thuns und Lassens. Quae non expediunt, nec licent --
so schließt das Gefühl des christlichen Adels. Die Ehe ist daher
nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke
des Fleisches, ein Naturnachlaß des Christenthums, ein Abfall
von dem wahrhaft, dem vollendet christlichen Sinn; aber in-
sofern gut, löblich, heilig selbst, als sie das beste Arzneimittel
gegen die Fornicatio ist. Um ihrer selbst willen, als Selbst-
genuß der Geschlechtsliebe, wird sie nicht anerkannt, nicht ge-
heiligt; -- also ist die Heiligkeit der Ehe im Christenthum nur
Scheinheiligkeit, nur Illusion, denn was man nicht um
sein selbst willen anerkennt, wird nicht anerkannt, aber mit
dem trügerischen Scheine, daß es anerkannt wird. Die
Ehe ist sanctionirt, nicht um das Fleisch zu heiligen und be-
friedigen, sondern um das Fleisch zu beschränken, zu unter-
drücken, zu tödten, -- um durch den Teufel den Teufel aus-
zutreiben. "Es ist besser freyen, denn Brunst leiden." 1 Ko-
rinther 7, 9. Aber wie viel besser ist, sagt Tertullian, diesen
Spruch entwickelnd, weder freyen noch Brunst leiden. ... Pos-
sum dicere quod permittitur, bonum non est (ad Uxo-
rem l. I. c. 3.). De minoribus bonis est conjugium, quod
non meretur palmam, sed est in remedium. ... Prima
institutio habuit praeceptum, secunda indulgentiam.
Didicimus enim ab Apostolo, humano generi propter vi-
tandam fornicationem indultum esse conjugium. Petrus
Lomb
. (l. IV. dist. 26. c.
2.) Die christliche Sophistik
wird dagegen erwidern, daß nur die nicht christliche Ehe, nur
die nicht vom Geiste des Christenthums consecrirte, d. h. mit
frommen Bildern verblümte Natur unheilig sei. Allein wenn
die Ehe, wenn die Natur erst durch die Beziehung auf Christus

27*

Dich verheiratheſt; indeß das iſt nur mein unmaaßgeblicher,
freundſchaftlicher Rath. Omnia licent, sed non omnia ex-
pediunt.
Was im Vorderſatze zugegeben, das wird im Nach-
ſatz widerrufen. Licet, ſagt der Menſch, non expedit, ſagt
der Chriſt. Aber nur was für den Chriſten gut, iſt für den
Menſchen, wofern er ein chriſtlicher ſein will, das Maaß des
Thuns und Laſſens. Quae non expediunt, nec licent
ſo ſchließt das Gefühl des chriſtlichen Adels. Die Ehe iſt daher
nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke
des Fleiſches, ein Naturnachlaß des Chriſtenthums, ein Abfall
von dem wahrhaft, dem vollendet chriſtlichen Sinn; aber in-
ſofern gut, löblich, heilig ſelbſt, als ſie das beſte Arzneimittel
gegen die Fornicatio iſt. Um ihrer ſelbſt willen, als Selbſt-
genuß der Geſchlechtsliebe, wird ſie nicht anerkannt, nicht ge-
heiligt; — alſo iſt die Heiligkeit der Ehe im Chriſtenthum nur
Scheinheiligkeit, nur Illuſion, denn was man nicht um
ſein ſelbſt willen anerkennt, wird nicht anerkannt, aber mit
dem trügeriſchen Scheine, daß es anerkannt wird. Die
Ehe iſt ſanctionirt, nicht um das Fleiſch zu heiligen und be-
friedigen, ſondern um das Fleiſch zu beſchränken, zu unter-
drücken, zu tödten, — um durch den Teufel den Teufel aus-
zutreiben. „Es iſt beſſer freyen, denn Brunſt leiden.“ 1 Ko-
rinther 7, 9. Aber wie viel beſſer iſt, ſagt Tertullian, dieſen
Spruch entwickelnd, weder freyen noch Brunſt leiden. … Pos-
sum dicere quod permittitur, bonum non est (ad Uxo-
rem l. I. c. 3.). De minoribus bonis est conjugium, quod
non meretur palmam, sed est in remedium. … Prima
institutio habuit praeceptum, secunda indulgentiam.
Didicimus enim ab Apostolo, humano generi propter vi-
tandam fornicationem indultum esse conjugium. Petrus
Lomb
. (l. IV. dist. 26. c.
2.) Die chriſtliche Sophiſtik
wird dagegen erwidern, daß nur die nicht chriſtliche Ehe, nur
die nicht vom Geiſte des Chriſtenthums conſecrirte, d. h. mit
frommen Bildern verblümte Natur unheilig ſei. Allein wenn
die Ehe, wenn die Natur erſt durch die Beziehung auf Chriſtus

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[419/0437] Dich verheiratheſt; indeß das iſt nur mein unmaaßgeblicher, freundſchaftlicher Rath. Omnia licent, sed non omnia ex- pediunt. Was im Vorderſatze zugegeben, das wird im Nach- ſatz widerrufen. Licet, ſagt der Menſch, non expedit, ſagt der Chriſt. Aber nur was für den Chriſten gut, iſt für den Menſchen, wofern er ein chriſtlicher ſein will, das Maaß des Thuns und Laſſens. Quae non expediunt, nec licent — ſo ſchließt das Gefühl des chriſtlichen Adels. Die Ehe iſt daher nur eine Indulgenz gegen die Schwachheit oder vielmehr Stärke des Fleiſches, ein Naturnachlaß des Chriſtenthums, ein Abfall von dem wahrhaft, dem vollendet chriſtlichen Sinn; aber in- ſofern gut, löblich, heilig ſelbſt, als ſie das beſte Arzneimittel gegen die Fornicatio iſt. Um ihrer ſelbſt willen, als Selbſt- genuß der Geſchlechtsliebe, wird ſie nicht anerkannt, nicht ge- heiligt; — alſo iſt die Heiligkeit der Ehe im Chriſtenthum nur Scheinheiligkeit, nur Illuſion, denn was man nicht um ſein ſelbſt willen anerkennt, wird nicht anerkannt, aber mit dem trügeriſchen Scheine, daß es anerkannt wird. Die Ehe iſt ſanctionirt, nicht um das Fleiſch zu heiligen und be- friedigen, ſondern um das Fleiſch zu beſchränken, zu unter- drücken, zu tödten, — um durch den Teufel den Teufel aus- zutreiben. „Es iſt beſſer freyen, denn Brunſt leiden.“ 1 Ko- rinther 7, 9. Aber wie viel beſſer iſt, ſagt Tertullian, dieſen Spruch entwickelnd, weder freyen noch Brunſt leiden. … Pos- sum dicere quod permittitur, bonum non est (ad Uxo- rem l. I. c. 3.). De minoribus bonis est conjugium, quod non meretur palmam, sed est in remedium. … Prima institutio habuit praeceptum, secunda indulgentiam. Didicimus enim ab Apostolo, humano generi propter vi- tandam fornicationem indultum esse conjugium. Petrus Lomb. (l. IV. dist. 26. c. 2.) Die chriſtliche Sophiſtik wird dagegen erwidern, daß nur die nicht chriſtliche Ehe, nur die nicht vom Geiſte des Chriſtenthums conſecrirte, d. h. mit frommen Bildern verblümte Natur unheilig ſei. Allein wenn die Ehe, wenn die Natur erſt durch die Beziehung auf Chriſtus 27*

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/437>, abgerufen am 10.05.2024.