fernt, da ist ihm Gott nur noch ein negatives Wesen. Dem wahrhaft religiösen Menschen ist Gott kein bestimmungsloses Wesen, weil er ihm ein gewisses, wirkliches Wesen ist. Die Bestimmungslosigkeit und mit ihr identische Unerkennbarkeit Gottes ist daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product der modernen Ungläubigkeit.
Wie die Vernunft nur da als endlich bestimmt wird und be- stimmt werden kann, wo dem Menschen der sinnliche Genuß oder das religiöse Gefühl oder die ästhetische Anschauung oder die mo- ralische Gesinnung für das Absolute, das Wahre gilt: so kann nur da die Unerkennbarkeit oder Unbestimmbarkeit Gottes als ein Dogma ausgesprochen und fixirt werden, wo dieser Ge- genstand kein Interesse mehr für die Erkenntniß hat, wo die Wirklichkeit allein den Menschen in Anspruch nimmt, das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des wesentlichen, des absoluten, göttlichen Gegenstandes hat, aber doch zugleich noch im Widerspruch mit dieser rein weltlichen Tendenz ein alter Rest von Religiosität vorhanden ist. Der Mensch ent- schuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor seinem noch übrig- gebliebenen religiösen Gewissen seine Gottvergessenheit, sein Verlorensein in die Welt; er negirt Gott praktisch durch die That -- all sein Sinnen und Denken hat die Welt inne -- aber er negirt ihn nicht theoretisch; er greift seine Existenz nicht an; er läßt ihn bestehen. Allein diese Existenz tangirt und incommodirt ihn nicht; sie ist eine nur negative Existenz, eine Existenz ohne Existenz, eine sich selbst widersprechende Existenz, -- ein Sein, das seinen Wirkungen nach nicht un- terscheidbar vom Nichtsein ist. Die Negation bestimmter, po- sitiver Prädicate des göttlichen Wesens ist nichts andres als eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein
fernt, da iſt ihm Gott nur noch ein negatives Weſen. Dem wahrhaft religiöſen Menſchen iſt Gott kein beſtimmungsloſes Weſen, weil er ihm ein gewiſſes, wirkliches Weſen iſt. Die Beſtimmungsloſigkeit und mit ihr identiſche Unerkennbarkeit Gottes iſt daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product der modernen Ungläubigkeit.
Wie die Vernunft nur da als endlich beſtimmt wird und be- ſtimmt werden kann, wo dem Menſchen der ſinnliche Genuß oder das religiöſe Gefühl oder die äſthetiſche Anſchauung oder die mo- raliſche Geſinnung für das Abſolute, das Wahre gilt: ſo kann nur da die Unerkennbarkeit oder Unbeſtimmbarkeit Gottes als ein Dogma ausgeſprochen und fixirt werden, wo dieſer Ge- genſtand kein Intereſſe mehr für die Erkenntniß hat, wo die Wirklichkeit allein den Menſchen in Anſpruch nimmt, das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des weſentlichen, des abſoluten, göttlichen Gegenſtandes hat, aber doch zugleich noch im Widerſpruch mit dieſer rein weltlichen Tendenz ein alter Reſt von Religioſität vorhanden iſt. Der Menſch ent- ſchuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor ſeinem noch übrig- gebliebenen religiöſen Gewiſſen ſeine Gottvergeſſenheit, ſein Verlorenſein in die Welt; er negirt Gott praktiſch durch die That — all ſein Sinnen und Denken hat die Welt inne — aber er negirt ihn nicht theoretiſch; er greift ſeine Exiſtenz nicht an; er läßt ihn beſtehen. Allein dieſe Exiſtenz tangirt und incommodirt ihn nicht; ſie iſt eine nur negative Exiſtenz, eine Exiſtenz ohne Exiſtenz, eine ſich ſelbſt widerſprechende Exiſtenz, — ein Sein, das ſeinen Wirkungen nach nicht un- terſcheidbar vom Nichtſein iſt. Die Negation beſtimmter, po- ſitiver Prädicate des göttlichen Weſens iſt nichts andres als eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0039"n="21"/>
fernt, da iſt ihm Gott nur noch ein <hirendition="#g">negatives</hi> Weſen. Dem<lb/>
wahrhaft religiöſen Menſchen iſt Gott kein beſtimmungsloſes<lb/>
Weſen, weil er ihm ein <hirendition="#g">gewiſſes, wirkliches</hi> Weſen iſt. Die<lb/>
Beſtimmungsloſigkeit und mit ihr identiſche Unerkennbarkeit<lb/>
Gottes iſt daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product<lb/>
der modernen Ungläubigkeit.</p><lb/><p>Wie die Vernunft nur da als endlich beſtimmt wird und be-<lb/>ſtimmt werden kann, wo dem Menſchen der ſinnliche Genuß oder<lb/>
das religiöſe Gefühl oder die äſthetiſche Anſchauung oder die mo-<lb/>
raliſche Geſinnung für das Abſolute, das Wahre gilt: ſo kann<lb/>
nur da die Unerkennbarkeit oder Unbeſtimmbarkeit Gottes als<lb/>
ein Dogma ausgeſprochen und fixirt werden, wo dieſer Ge-<lb/>
genſtand <hirendition="#g">kein Intereſſe mehr für die Erkenntniß</hi> hat,<lb/>
wo die Wirklichkeit allein den Menſchen in Anſpruch nimmt,<lb/>
das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des weſentlichen,<lb/>
des abſoluten, göttlichen Gegenſtandes hat, aber doch zugleich<lb/>
noch <hirendition="#g">im Widerſpruch</hi> mit dieſer rein weltlichen Tendenz ein<lb/>
alter Reſt von Religioſität vorhanden iſt. Der Menſch ent-<lb/>ſchuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor ſeinem noch übrig-<lb/>
gebliebenen religiöſen Gewiſſen ſeine Gottvergeſſenheit, ſein<lb/>
Verlorenſein in die Welt; er negirt Gott praktiſch durch die<lb/>
That — all ſein Sinnen und Denken hat die Welt inne —<lb/>
aber er negirt ihn nicht <hirendition="#g">theoretiſch</hi>; er greift ſeine Exiſtenz<lb/>
nicht an; er läßt ihn beſtehen. Allein dieſe Exiſtenz tangirt<lb/>
und incommodirt ihn nicht; ſie iſt eine nur <hirendition="#g">negative</hi> Exiſtenz,<lb/>
eine Exiſtenz <hirendition="#g">ohne Exiſtenz</hi>, eine ſich ſelbſt widerſprechende<lb/>
Exiſtenz, — ein Sein, das ſeinen Wirkungen nach nicht un-<lb/>
terſcheidbar vom Nichtſein iſt. Die Negation beſtimmter, po-<lb/>ſitiver Prädicate des göttlichen Weſens iſt nichts andres als<lb/>
eine Negation der Religion, welche aber noch einen <hirendition="#g">Schein<lb/></hi></p></div></div></body></text></TEI>
[21/0039]
fernt, da iſt ihm Gott nur noch ein negatives Weſen. Dem
wahrhaft religiöſen Menſchen iſt Gott kein beſtimmungsloſes
Weſen, weil er ihm ein gewiſſes, wirkliches Weſen iſt. Die
Beſtimmungsloſigkeit und mit ihr identiſche Unerkennbarkeit
Gottes iſt daher nur eine Frucht der neuern Zeit, ein Product
der modernen Ungläubigkeit.
Wie die Vernunft nur da als endlich beſtimmt wird und be-
ſtimmt werden kann, wo dem Menſchen der ſinnliche Genuß oder
das religiöſe Gefühl oder die äſthetiſche Anſchauung oder die mo-
raliſche Geſinnung für das Abſolute, das Wahre gilt: ſo kann
nur da die Unerkennbarkeit oder Unbeſtimmbarkeit Gottes als
ein Dogma ausgeſprochen und fixirt werden, wo dieſer Ge-
genſtand kein Intereſſe mehr für die Erkenntniß hat,
wo die Wirklichkeit allein den Menſchen in Anſpruch nimmt,
das Wirkliche allein für ihn die Bedeutung des weſentlichen,
des abſoluten, göttlichen Gegenſtandes hat, aber doch zugleich
noch im Widerſpruch mit dieſer rein weltlichen Tendenz ein
alter Reſt von Religioſität vorhanden iſt. Der Menſch ent-
ſchuldigt mit der Unerkennbarkeit Gottes vor ſeinem noch übrig-
gebliebenen religiöſen Gewiſſen ſeine Gottvergeſſenheit, ſein
Verlorenſein in die Welt; er negirt Gott praktiſch durch die
That — all ſein Sinnen und Denken hat die Welt inne —
aber er negirt ihn nicht theoretiſch; er greift ſeine Exiſtenz
nicht an; er läßt ihn beſtehen. Allein dieſe Exiſtenz tangirt
und incommodirt ihn nicht; ſie iſt eine nur negative Exiſtenz,
eine Exiſtenz ohne Exiſtenz, eine ſich ſelbſt widerſprechende
Exiſtenz, — ein Sein, das ſeinen Wirkungen nach nicht un-
terſcheidbar vom Nichtſein iſt. Die Negation beſtimmter, po-
ſitiver Prädicate des göttlichen Weſens iſt nichts andres als
eine Negation der Religion, welche aber noch einen Schein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/39>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.