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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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es besser, daß ihm ein Mühlstein an seinen Hals gehänget
würde und er in das Meer geworfen würde." Marcus 9, 42.
Matthäi 18, 6. "Wer da glaubet und getauft wird, der
wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird
verdammet werden
." Marcus 16, 16. Der Unterschied zwi-
schen dem Glauben, wie er sich in der Bibel bereits ausgespro-
chen, und dem Glauben, wie er sich in der spätern Zeit geltend
gemacht, ist nur der Unterschied zwischen dem Keime und der
Pflanze. Im Keime kann ich freilich nicht so deutlich sehen,
was in der reifen Pflanze mir in die Augen fällt. Und doch
lag die Pflanze schon im Keime. Aber was in die Augen
fällt, das natürlich wollen die Sophisten nicht mehr anerkennen.
Sie halten sich nur an den Unterschied zwischen der explicirten
und implicirten Existenz; die Identität schlagen sie sich aus
dem Sinne.

Der Glaube geht nothwendig in Haß, der Haß in Ver-
folgung
über, wo die Macht des Glaubens keinen Wider-
stand
findet, sich nicht bricht an einer dem Glauben fremden
Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechts-
gefühls. Der Glaube für sich selbst erhebt sich nothwendig über
die Gesetze der natürlichen Moral. Die Glaubenslehre
ist die Lehre der Pflichten gegen Gott -- die höchste
Pflicht der Glaube
. So viel höher Gott als der Mensch,
so viel höher stehen die Pflichten gegen Gott als gegen den
Menschen. Und nothwendig treten die Pflichten gegen Gott
in Collision mit den gemein menschlichen Pflichten. Gott
wird nicht nur geglaubt, vorgestellt als das gemeinsame Wesen,
der Vater der Menschen, die Liebe -- solcher Glaube ist Glaube
der Liebe -- er wird auch vorgestellt als persönliches We-
sen, als Wesen für sich. So gut sich daher Gott als ein

es beſſer, daß ihm ein Mühlſtein an ſeinen Hals gehänget
würde und er in das Meer geworfen würde.“ Marcus 9, 42.
Matthäi 18, 6. „Wer da glaubet und getauft wird, der
wird ſelig werden, wer aber nicht glaubet, der wird
verdammet werden
.“ Marcus 16, 16. Der Unterſchied zwi-
ſchen dem Glauben, wie er ſich in der Bibel bereits ausgeſpro-
chen, und dem Glauben, wie er ſich in der ſpätern Zeit geltend
gemacht, iſt nur der Unterſchied zwiſchen dem Keime und der
Pflanze. Im Keime kann ich freilich nicht ſo deutlich ſehen,
was in der reifen Pflanze mir in die Augen fällt. Und doch
lag die Pflanze ſchon im Keime. Aber was in die Augen
fällt, das natürlich wollen die Sophiſten nicht mehr anerkennen.
Sie halten ſich nur an den Unterſchied zwiſchen der explicirten
und implicirten Exiſtenz; die Identität ſchlagen ſie ſich aus
dem Sinne.

Der Glaube geht nothwendig in Haß, der Haß in Ver-
folgung
über, wo die Macht des Glaubens keinen Wider-
ſtand
findet, ſich nicht bricht an einer dem Glauben fremden
Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechts-
gefühls. Der Glaube für ſich ſelbſt erhebt ſich nothwendig über
die Geſetze der natürlichen Moral. Die Glaubenslehre
iſt die Lehre der Pflichten gegen Gott — die höchſte
Pflicht der Glaube
. So viel höher Gott als der Menſch,
ſo viel höher ſtehen die Pflichten gegen Gott als gegen den
Menſchen. Und nothwendig treten die Pflichten gegen Gott
in Colliſion mit den gemein menſchlichen Pflichten. Gott
wird nicht nur geglaubt, vorgeſtellt als das gemeinſame Weſen,
der Vater der Menſchen, die Liebe — ſolcher Glaube iſt Glaube
der Liebe — er wird auch vorgeſtellt als perſönliches We-
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[354/0372] es beſſer, daß ihm ein Mühlſtein an ſeinen Hals gehänget würde und er in das Meer geworfen würde.“ Marcus 9, 42. Matthäi 18, 6. „Wer da glaubet und getauft wird, der wird ſelig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammet werden.“ Marcus 16, 16. Der Unterſchied zwi- ſchen dem Glauben, wie er ſich in der Bibel bereits ausgeſpro- chen, und dem Glauben, wie er ſich in der ſpätern Zeit geltend gemacht, iſt nur der Unterſchied zwiſchen dem Keime und der Pflanze. Im Keime kann ich freilich nicht ſo deutlich ſehen, was in der reifen Pflanze mir in die Augen fällt. Und doch lag die Pflanze ſchon im Keime. Aber was in die Augen fällt, das natürlich wollen die Sophiſten nicht mehr anerkennen. Sie halten ſich nur an den Unterſchied zwiſchen der explicirten und implicirten Exiſtenz; die Identität ſchlagen ſie ſich aus dem Sinne. Der Glaube geht nothwendig in Haß, der Haß in Ver- folgung über, wo die Macht des Glaubens keinen Wider- ſtand findet, ſich nicht bricht an einer dem Glauben fremden Macht, an der Macht der Liebe, der Humanität, des Rechts- gefühls. Der Glaube für ſich ſelbſt erhebt ſich nothwendig über die Geſetze der natürlichen Moral. Die Glaubenslehre iſt die Lehre der Pflichten gegen Gott — die höchſte Pflicht der Glaube. So viel höher Gott als der Menſch, ſo viel höher ſtehen die Pflichten gegen Gott als gegen den Menſchen. Und nothwendig treten die Pflichten gegen Gott in Colliſion mit den gemein menſchlichen Pflichten. Gott wird nicht nur geglaubt, vorgeſtellt als das gemeinſame Weſen, der Vater der Menſchen, die Liebe — ſolcher Glaube iſt Glaube der Liebe — er wird auch vorgeſtellt als perſönliches We- ſen, als Weſen für ſich. So gut ſich daher Gott als ein

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/372>, abgerufen am 13.05.2024.