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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Protestanten von den Katholiken in der Abendmahlslehre!
So entstund zu Anspach ein Streit über die Frage: "ob der
Leib Christi auch in den Magen komme, wie andre Speisen
verdaut werde und also auch durch den natürlichen Gang wie-
der ausgeworfen werde?"

Aber obgleich die Einbildungskraft des Glaubens die
objective Existenz zu einem bloßen Scheine, die gemüthliche,
imaginäre Existenz zur Wahrheit und Wirklichkeit macht; so
ist doch an sich oder der Wahrheit nach das wirklich Gegen-
ständliche nur der natürliche Stoff. Selbst der göttliche Leib
in der Büchse des katholischen Priesters ist an sich nur im
Glauben
göttlicher Leib; dieß äußerliche Ding, in das er das
göttliche Wesen verwandelt, nur ein Glaubensding; denn
der Leib ist ja auch hier nicht als Leib sichtbar, fühlbar,
schmeckbar. Das heißt: das Brot ist nur der Bedeutung nach
Fleisch. Zwar hat für den Glauben diese Bedeutung den
Sinn des wirklichen Seins -- wie denn überhaupt in der
Ekstase der Inbrunst das Bedeutende zum Bedeuteten selbst
wird -- es soll nicht Fleisch bedeuten, sondern sein. Aber
dieses Sein ist ja eben kein fleischliches; es ist selbst nur ge-
glaubtes, vorgestelltes, eingebildetes Sein, d. h. es hat selbst
nur den Werth, die Qualität einer Bedeutung. Ein Ding,
das für mich eine besondere Bedeutung hat, ist ein andres in
meiner Vorstellung, als in der Wirklichkeit. Das Bedeutende
ist nicht selbst das, was damit bedeutet wird. Was es ist,
fällt in den Sinn; was es bedeutet, nur in meine Gesinnung,
Vorstellung, Phantasie, ist nur für mich, nicht für den Andern,
nicht objectiv da. So auch hier. Wenn darum Zwingli
gesagt, das Abendmahl habe nur subjective Bedeutung, so hat
er dasselbe gesagt, was die Andern; nur zerstörte er die Illu-

Proteſtanten von den Katholiken in der Abendmahlslehre!
So entſtund zu Anspach ein Streit über die Frage: „ob der
Leib Chriſti auch in den Magen komme, wie andre Speiſen
verdaut werde und alſo auch durch den natürlichen Gang wie-
der ausgeworfen werde?“

Aber obgleich die Einbildungskraft des Glaubens die
objective Exiſtenz zu einem bloßen Scheine, die gemüthliche,
imaginäre Exiſtenz zur Wahrheit und Wirklichkeit macht; ſo
iſt doch an ſich oder der Wahrheit nach das wirklich Gegen-
ſtändliche nur der natürliche Stoff. Selbſt der göttliche Leib
in der Büchſe des katholiſchen Prieſters iſt an ſich nur im
Glauben
göttlicher Leib; dieß äußerliche Ding, in das er das
göttliche Weſen verwandelt, nur ein Glaubensding; denn
der Leib iſt ja auch hier nicht als Leib ſichtbar, fühlbar,
ſchmeckbar. Das heißt: das Brot iſt nur der Bedeutung nach
Fleiſch. Zwar hat für den Glauben dieſe Bedeutung den
Sinn des wirklichen Seins — wie denn überhaupt in der
Ekſtaſe der Inbrunſt das Bedeutende zum Bedeuteten ſelbſt
wird — es ſoll nicht Fleiſch bedeuten, ſondern ſein. Aber
dieſes Sein iſt ja eben kein fleiſchliches; es iſt ſelbſt nur ge-
glaubtes, vorgeſtelltes, eingebildetes Sein, d. h. es hat ſelbſt
nur den Werth, die Qualität einer Bedeutung. Ein Ding,
das für mich eine beſondere Bedeutung hat, iſt ein andres in
meiner Vorſtellung, als in der Wirklichkeit. Das Bedeutende
iſt nicht ſelbſt das, was damit bedeutet wird. Was es iſt,
fällt in den Sinn; was es bedeutet, nur in meine Geſinnung,
Vorſtellung, Phantaſie, iſt nur für mich, nicht für den Andern,
nicht objectiv da. So auch hier. Wenn darum Zwingli
geſagt, das Abendmahl habe nur ſubjective Bedeutung, ſo hat
er daſſelbe geſagt, was die Andern; nur zerſtörte er die Illu-

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[332/0350] Proteſtanten von den Katholiken in der Abendmahlslehre! So entſtund zu Anspach ein Streit über die Frage: „ob der Leib Chriſti auch in den Magen komme, wie andre Speiſen verdaut werde und alſo auch durch den natürlichen Gang wie- der ausgeworfen werde?“ Aber obgleich die Einbildungskraft des Glaubens die objective Exiſtenz zu einem bloßen Scheine, die gemüthliche, imaginäre Exiſtenz zur Wahrheit und Wirklichkeit macht; ſo iſt doch an ſich oder der Wahrheit nach das wirklich Gegen- ſtändliche nur der natürliche Stoff. Selbſt der göttliche Leib in der Büchſe des katholiſchen Prieſters iſt an ſich nur im Glauben göttlicher Leib; dieß äußerliche Ding, in das er das göttliche Weſen verwandelt, nur ein Glaubensding; denn der Leib iſt ja auch hier nicht als Leib ſichtbar, fühlbar, ſchmeckbar. Das heißt: das Brot iſt nur der Bedeutung nach Fleiſch. Zwar hat für den Glauben dieſe Bedeutung den Sinn des wirklichen Seins — wie denn überhaupt in der Ekſtaſe der Inbrunſt das Bedeutende zum Bedeuteten ſelbſt wird — es ſoll nicht Fleiſch bedeuten, ſondern ſein. Aber dieſes Sein iſt ja eben kein fleiſchliches; es iſt ſelbſt nur ge- glaubtes, vorgeſtelltes, eingebildetes Sein, d. h. es hat ſelbſt nur den Werth, die Qualität einer Bedeutung. Ein Ding, das für mich eine beſondere Bedeutung hat, iſt ein andres in meiner Vorſtellung, als in der Wirklichkeit. Das Bedeutende iſt nicht ſelbſt das, was damit bedeutet wird. Was es iſt, fällt in den Sinn; was es bedeutet, nur in meine Geſinnung, Vorſtellung, Phantaſie, iſt nur für mich, nicht für den Andern, nicht objectiv da. So auch hier. Wenn darum Zwingli geſagt, das Abendmahl habe nur ſubjective Bedeutung, ſo hat er daſſelbe geſagt, was die Andern; nur zerſtörte er die Illu-

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/350>, abgerufen am 13.05.2024.