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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

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Im Gegentheil: die allein gültigen Zeugen einer objectiven
Existenz -- der Geschmack, der Geruch, das Gefühl, das Auge
reden einstimmig nur der Realität von Wein und Brot das
Wort. Wein und Brot sind in der traurigen Wirklichkeit na-
türliche, in der Einbildung aber göttliche Substanzen.

Der Glaube ist die Macht der Einbildungskraft,
welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum
Wirklichen macht -- der directe Widerspruch gegen die Wahr-
heit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft
. Der
Glaube verneint, was die objective Vernunft bejaht, und be-
jaht, was sie verneint *). Das Geheimniß des Abendmahls
ist das Geheimniß des Glaubens **) -- daher der Genuß des-
selben der höchste, entzückendste, wonnetrunkenste Moment des
gläubigen Gemüths. Die Negation der objectiven, unge-
müthlichen Wahrheit, der Wahrheit der Wirklichkeit, der ge-

*) Videtur enim species vini et panis, et substantia panis et
vini non creditur. Creditur autem substantia corporis et sangui-
nis Christi et tamen species non cernitur. Divus Bernardus (ed.
Bas. 1552. p. 189--191.)
**) Auch noch in anderer, hier nicht entwickelter, aber anmer-
kungsweise zu erwähnender Beziehung, nämlich folgender. In der
Religion, im Glauben ist der Mensch sich als das Object, d. i. der
Zweck Gottes Gegenstand. Der Mensch bezweckt sich selbst in und
durch Gott. Gott ist das Mittel der menschlichen Existenz und Se-
ligkeit. Diese religiöse Wahrheit, gesetzt als Gegenstand des Cultus,
als sinnliches Object ist das Abendmahl. Im Abendmahl ißt, ver-
zehrt der Mensch Gott -- den Schöpfer des Himmels und der Erde --
als eine leibliche Speise, erklärt er durch die That des "mündlichen
Essens und Trinkens" Gott für ein bloßes Mittel des Menschen. Hier
ist der Mensch als der Gott Gottes gesetzt -- das Abendmahl daher
der höchste Selbstgenuß der menschlichen Subjectivität. Auch der Pro-
testant verwandelt hier zwar nicht dem Worte, aber der Wahrheit
nach Gott in ein äußerliches Ding, indem er ihn sich als ein Object
des sinnlichen Genusses subjicirt.

Im Gegentheil: die allein gültigen Zeugen einer objectiven
Exiſtenz — der Geſchmack, der Geruch, das Gefühl, das Auge
reden einſtimmig nur der Realität von Wein und Brot das
Wort. Wein und Brot ſind in der traurigen Wirklichkeit na-
türliche, in der Einbildung aber göttliche Subſtanzen.

Der Glaube iſt die Macht der Einbildungskraft,
welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum
Wirklichen macht — der directe Widerſpruch gegen die Wahr-
heit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft
. Der
Glaube verneint, was die objective Vernunft bejaht, und be-
jaht, was ſie verneint *). Das Geheimniß des Abendmahls
iſt das Geheimniß des Glaubens **) — daher der Genuß deſ-
ſelben der höchſte, entzückendſte, wonnetrunkenſte Moment des
gläubigen Gemüths. Die Negation der objectiven, unge-
müthlichen Wahrheit, der Wahrheit der Wirklichkeit, der ge-

*) Videtur enim species vini et panis, et substantia panis et
vini non creditur. Creditur autem substantia corporis et sangui-
nis Christi et tamen species non cernitur. Divus Bernardus (ed.
Bas. 1552. p. 189—191.)
**) Auch noch in anderer, hier nicht entwickelter, aber anmer-
kungsweiſe zu erwähnender Beziehung, nämlich folgender. In der
Religion, im Glauben iſt der Menſch ſich als das Object, d. i. der
Zweck Gottes Gegenſtand. Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und
durch Gott. Gott iſt das Mittel der menſchlichen Exiſtenz und Se-
ligkeit. Dieſe religiöſe Wahrheit, geſetzt als Gegenſtand des Cultus,
als ſinnliches Object iſt das Abendmahl. Im Abendmahl ißt, ver-
zehrt der Menſch Gott — den Schöpfer des Himmels und der Erde —
als eine leibliche Speiſe, erklärt er durch die That des „mündlichen
Eſſens und Trinkens“ Gott für ein bloßes Mittel des Menſchen. Hier
iſt der Menſch als der Gott Gottes geſetzt — das Abendmahl daher
der höchſte Selbſtgenuß der menſchlichen Subjectivität. Auch der Pro-
teſtant verwandelt hier zwar nicht dem Worte, aber der Wahrheit
nach Gott in ein äußerliches Ding, indem er ihn ſich als ein Object
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[329/0347] Im Gegentheil: die allein gültigen Zeugen einer objectiven Exiſtenz — der Geſchmack, der Geruch, das Gefühl, das Auge reden einſtimmig nur der Realität von Wein und Brot das Wort. Wein und Brot ſind in der traurigen Wirklichkeit na- türliche, in der Einbildung aber göttliche Subſtanzen. Der Glaube iſt die Macht der Einbildungskraft, welche das Wirkliche zum Unwirklichen, das Unwirkliche zum Wirklichen macht — der directe Widerſpruch gegen die Wahr- heit der Sinne, die Wahrheit der Vernunft. Der Glaube verneint, was die objective Vernunft bejaht, und be- jaht, was ſie verneint *). Das Geheimniß des Abendmahls iſt das Geheimniß des Glaubens **) — daher der Genuß deſ- ſelben der höchſte, entzückendſte, wonnetrunkenſte Moment des gläubigen Gemüths. Die Negation der objectiven, unge- müthlichen Wahrheit, der Wahrheit der Wirklichkeit, der ge- *) Videtur enim species vini et panis, et substantia panis et vini non creditur. Creditur autem substantia corporis et sangui- nis Christi et tamen species non cernitur. Divus Bernardus (ed. Bas. 1552. p. 189—191.) **) Auch noch in anderer, hier nicht entwickelter, aber anmer- kungsweiſe zu erwähnender Beziehung, nämlich folgender. In der Religion, im Glauben iſt der Menſch ſich als das Object, d. i. der Zweck Gottes Gegenſtand. Der Menſch bezweckt ſich ſelbſt in und durch Gott. Gott iſt das Mittel der menſchlichen Exiſtenz und Se- ligkeit. Dieſe religiöſe Wahrheit, geſetzt als Gegenſtand des Cultus, als ſinnliches Object iſt das Abendmahl. Im Abendmahl ißt, ver- zehrt der Menſch Gott — den Schöpfer des Himmels und der Erde — als eine leibliche Speiſe, erklärt er durch die That des „mündlichen Eſſens und Trinkens“ Gott für ein bloßes Mittel des Menſchen. Hier iſt der Menſch als der Gott Gottes geſetzt — das Abendmahl daher der höchſte Selbſtgenuß der menſchlichen Subjectivität. Auch der Pro- teſtant verwandelt hier zwar nicht dem Worte, aber der Wahrheit nach Gott in ein äußerliches Ding, indem er ihn ſich als ein Object des ſinnlichen Genuſſes ſubjicirt.

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Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/347>, abgerufen am 24.11.2024.