Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei allen andern Bestimmungen des göttlichen Wesens
ist nun aber dieses Nichts des Unterschieds ein verborgnes; in
der Schöpfung hingegen ein offenbares, ausgesprochnes,
gegenständliches
Nichts -- darum das officielle, noto-
rische Nichts der Theologie in ihrem Unterschiede von
der Anthropologie
.

Die Grundbestimmung aber, wodurch der Mensch sein
eignes ausgeschiednes Wesen zu einem fremden, unbegreifli-
chen Wesen macht, ist der Begriff, die Vorstellung der Selbst-
ständigkeit
, der Individualität oder -- was nur ein ab-
stracterer Ausdruck ist -- der Persönlichkeit. Der Begriff
der Existenz realisirt sich erst in dem Begriffe der Offenbarung,
der Begriff der Offenbarung aber als der Selbstbezeugung
Gottes, erst in dem Begriffe der Persönlichkeit. Gott ist per-
sönliches Wesen
-- dieß ist der Machtspruch, der mit einem
Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives
verzaubert. Alle Prädicate, alle Bestimmungen des göttli-
chen Wesens sind grundmenschliche; aber als Bestimmungen
eines persönlichen, also andern, vom Menschen unterschieden
und unabhängig existirenden Wesens scheinen sie unmittelbar
auch wirklich andere Bestimmungen zu sein, aber so, daß
doch zugleich noch immer die wesentliche Identität zu
Grunde liegen bleibt. Damit entsteht für die Reflexion der
Begriff der sogenannten Anthropomorphismen. Die An-
thropomorphismen sind Aehnlichkeiten zwischen Gott und dem
Menschen. Die Bestimmungen des göttlichen und menschli-
chen Wesens sind nicht dieselben, aber sie ähneln sich ge-
genseitig
.

Daher ist auch die Persönlichkeit das Antidotum gegen
den Pantheismus; d. h. durch die Vorstellung der Per-

Bei allen andern Beſtimmungen des göttlichen Weſens
iſt nun aber dieſes Nichts des Unterſchieds ein verborgnes; in
der Schöpfung hingegen ein offenbares, ausgeſprochnes,
gegenſtändliches
Nichts — darum das officielle, noto-
riſche Nichts der Theologie in ihrem Unterſchiede von
der Anthropologie
.

Die Grundbeſtimmung aber, wodurch der Menſch ſein
eignes ausgeſchiednes Weſen zu einem fremden, unbegreifli-
chen Weſen macht, iſt der Begriff, die Vorſtellung der Selbſt-
ſtändigkeit
, der Individualität oder — was nur ein ab-
ſtracterer Ausdruck iſt — der Perſönlichkeit. Der Begriff
der Exiſtenz realiſirt ſich erſt in dem Begriffe der Offenbarung,
der Begriff der Offenbarung aber als der Selbſtbezeugung
Gottes, erſt in dem Begriffe der Perſönlichkeit. Gott iſt per-
ſönliches Weſen
— dieß iſt der Machtſpruch, der mit einem
Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives
verzaubert. Alle Prädicate, alle Beſtimmungen des göttli-
chen Weſens ſind grundmenſchliche; aber als Beſtimmungen
eines perſönlichen, alſo andern, vom Menſchen unterſchieden
und unabhängig exiſtirenden Weſens ſcheinen ſie unmittelbar
auch wirklich andere Beſtimmungen zu ſein, aber ſo, daß
doch zugleich noch immer die weſentliche Identität zu
Grunde liegen bleibt. Damit entſteht für die Reflexion der
Begriff der ſogenannten Anthropomorphismen. Die An-
thropomorphismen ſind Aehnlichkeiten zwiſchen Gott und dem
Menſchen. Die Beſtimmungen des göttlichen und menſchli-
chen Weſens ſind nicht dieſelben, aber ſie ähneln ſich ge-
genſeitig
.

Daher iſt auch die Perſönlichkeit das Antidotum gegen
den Pantheismus; d. h. durch die Vorſtellung der Per-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0322" n="304"/>
          <p>Bei allen andern Be&#x017F;timmungen des göttlichen We&#x017F;ens<lb/>
i&#x017F;t nun aber die&#x017F;es Nichts des Unter&#x017F;chieds ein verborgnes; in<lb/>
der Schöpfung hingegen ein <hi rendition="#g">offenbares, ausge&#x017F;prochnes,<lb/>
gegen&#x017F;tändliches</hi> Nichts &#x2014; darum das <hi rendition="#g">officielle, noto-<lb/>
ri&#x017F;che Nichts der Theologie in ihrem Unter&#x017F;chiede von<lb/>
der Anthropologie</hi>.</p><lb/>
          <p>Die Grundbe&#x017F;timmung aber, wodurch der Men&#x017F;ch &#x017F;ein<lb/>
eignes ausge&#x017F;chiednes We&#x017F;en zu einem fremden, unbegreifli-<lb/>
chen We&#x017F;en macht, i&#x017F;t der Begriff, die Vor&#x017F;tellung der <hi rendition="#g">Selb&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;tändigkeit</hi>, der <hi rendition="#g">Individualität</hi> oder &#x2014; was nur ein ab-<lb/>
&#x017F;tracterer Ausdruck i&#x017F;t &#x2014; der <hi rendition="#g">Per&#x017F;önlichkeit</hi>. Der Begriff<lb/>
der Exi&#x017F;tenz reali&#x017F;irt &#x017F;ich er&#x017F;t in dem Begriffe der Offenbarung,<lb/>
der Begriff der Offenbarung aber als der Selb&#x017F;tbezeugung<lb/>
Gottes, er&#x017F;t in dem Begriffe der Per&#x017F;önlichkeit. Gott i&#x017F;t <hi rendition="#g">per-<lb/>
&#x017F;önliches We&#x017F;en</hi> &#x2014; dieß i&#x017F;t der Macht&#x017F;pruch, der mit einem<lb/>
Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives<lb/>
verzaubert. Alle Prädicate, alle Be&#x017F;timmungen des göttli-<lb/>
chen We&#x017F;ens &#x017F;ind grundmen&#x017F;chliche; aber als Be&#x017F;timmungen<lb/>
eines per&#x017F;önlichen, al&#x017F;o <hi rendition="#g">andern</hi>, vom Men&#x017F;chen unter&#x017F;chieden<lb/>
und unabhängig exi&#x017F;tirenden We&#x017F;ens <hi rendition="#g">&#x017F;cheinen</hi> &#x017F;ie unmittelbar<lb/>
auch <hi rendition="#g">wirklich andere</hi> Be&#x017F;timmungen zu &#x017F;ein, aber &#x017F;o, daß<lb/>
doch zugleich noch immer die <hi rendition="#g">we&#x017F;entliche Identität</hi> zu<lb/>
Grunde liegen bleibt. Damit ent&#x017F;teht für die Reflexion der<lb/>
Begriff der &#x017F;ogenannten <hi rendition="#g">Anthropomorphismen</hi>. Die An-<lb/>
thropomorphismen &#x017F;ind Aehnlichkeiten zwi&#x017F;chen Gott und dem<lb/>
Men&#x017F;chen. Die Be&#x017F;timmungen des göttlichen und men&#x017F;chli-<lb/>
chen We&#x017F;ens &#x017F;ind <hi rendition="#g">nicht die&#x017F;elben</hi>, aber &#x017F;ie <hi rendition="#g">ähneln &#x017F;ich ge-<lb/>
gen&#x017F;eitig</hi>.</p><lb/>
          <p>Daher i&#x017F;t auch die Per&#x017F;önlichkeit das <hi rendition="#g">Antidotum</hi> gegen<lb/>
den <hi rendition="#g">Pantheismus</hi>; d. h. durch die <hi rendition="#g">Vor&#x017F;tellung der Per-<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[304/0322] Bei allen andern Beſtimmungen des göttlichen Weſens iſt nun aber dieſes Nichts des Unterſchieds ein verborgnes; in der Schöpfung hingegen ein offenbares, ausgeſprochnes, gegenſtändliches Nichts — darum das officielle, noto- riſche Nichts der Theologie in ihrem Unterſchiede von der Anthropologie. Die Grundbeſtimmung aber, wodurch der Menſch ſein eignes ausgeſchiednes Weſen zu einem fremden, unbegreifli- chen Weſen macht, iſt der Begriff, die Vorſtellung der Selbſt- ſtändigkeit, der Individualität oder — was nur ein ab- ſtracterer Ausdruck iſt — der Perſönlichkeit. Der Begriff der Exiſtenz realiſirt ſich erſt in dem Begriffe der Offenbarung, der Begriff der Offenbarung aber als der Selbſtbezeugung Gottes, erſt in dem Begriffe der Perſönlichkeit. Gott iſt per- ſönliches Weſen — dieß iſt der Machtſpruch, der mit einem Schlage das Ideale in Reales, das Subjective in Objectives verzaubert. Alle Prädicate, alle Beſtimmungen des göttli- chen Weſens ſind grundmenſchliche; aber als Beſtimmungen eines perſönlichen, alſo andern, vom Menſchen unterſchieden und unabhängig exiſtirenden Weſens ſcheinen ſie unmittelbar auch wirklich andere Beſtimmungen zu ſein, aber ſo, daß doch zugleich noch immer die weſentliche Identität zu Grunde liegen bleibt. Damit entſteht für die Reflexion der Begriff der ſogenannten Anthropomorphismen. Die An- thropomorphismen ſind Aehnlichkeiten zwiſchen Gott und dem Menſchen. Die Beſtimmungen des göttlichen und menſchli- chen Weſens ſind nicht dieſelben, aber ſie ähneln ſich ge- genſeitig. Daher iſt auch die Perſönlichkeit das Antidotum gegen den Pantheismus; d. h. durch die Vorſtellung der Per-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/322
Zitationshilfe: Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/322>, abgerufen am 24.11.2024.