Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841.Gattung, des Menschen, als Gesetz seines Denkens und Han- Hierin liegen die wohlthätigen moralischen Wirkungen Der Offenbarungsglaube erstickt aber nicht nur den mo- *) Quod crudeliter ab hominibus sine Dei jussu fieret aut
factum est, id debuit ab Hebraeis fieri, quia a Deo, vitae et necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. Clericus (Comm. in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae vix possent defendi, nisi Dei, a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen- seatur. (Ders. Comm. in Iudicum c. 14, 19.) Gattung, des Menſchen, als Geſetz ſeines Denkens und Han- Hierin liegen die wohlthätigen moraliſchen Wirkungen Der Offenbarungsglaube erſtickt aber nicht nur den mo- *) Quod crudeliter ab hominibus sine Dei jussu fieret aut
factum est, id debuit ab Hebraeis fieri, quia a Deo, vitae et necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. Clericus (Comm. in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae vix possent defendi, nisi Dei, a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen- seatur. (Derſ. Comm. in Iudicum c. 14, 19.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0303" n="285"/> Gattung, des Menſchen, als <hi rendition="#g">Geſetz</hi> ſeines Denkens und Han-<lb/> delns — iſt <hi rendition="#g">Gott</hi>.</p><lb/> <p>Hierin liegen die wohlthätigen moraliſchen Wirkungen<lb/> des Offenbarungsglaubens auf den Menſchen. Aber wie die<lb/> Natur „<hi rendition="#g">ohne</hi> Bewußtſein Werke hervorbringt, die ausſehen,<lb/> als wären ſie <hi rendition="#g">mit</hi> Bewußtſein hervorgebracht,“ ſo erzeugt die<lb/> Offenbarung moraliſche Handlungen, aber ohne daß ſie <hi rendition="#g">aus<lb/> Moralität</hi> hervorgehen — moraliſche Handlungen, aber<lb/> keine moraliſchen Geſinnungen. Die moraliſchen Gebote wer-<lb/> den wohl gehalten, aber ſie ſind dadurch ſchon der innern Ge-<lb/> ſinnung, dem Herzen entfremdet, daß ſie als Gebote eines<lb/> äußerlichen Geſetzgebers vorgeſtellt werden, daß ſie in die Ka-<lb/> tegorie willkührlicher, polizeilicher Gebote treten. Was gethan<lb/> wird, geſchieht, nicht, weil es gut und recht iſt, ſo zu handeln,<lb/> ſondern weil es von Gott <hi rendition="#g">befohlen</hi> iſt. Der Inhalt <hi rendition="#g">an ſich<lb/> ſelbſt</hi> iſt gleichgültig; was nur immer Gott befiehlt, iſt recht<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Quod <hi rendition="#g">crudeliter</hi> ab hominibus <hi rendition="#g">sine Dei jussu</hi> fieret aut<lb/> factum est, id <hi rendition="#g">debuit ab Hebraeis fieri</hi>, quia a Deo, vitae et<lb/> necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. <hi rendition="#g">Clericus</hi> (Comm.<lb/> in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae <hi rendition="#g">vix possent<lb/> defendi</hi>, nisi <hi rendition="#g">Dei</hi>, a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen-<lb/> seatur</hi>. (Derſ. <hi rendition="#aq">Comm. in Iudicum c. 14, 19.</hi>)</note>.<lb/> Stimmen dieſe Gebote mit der Vernunft, mit der Ethik über-<lb/> ein, ſo iſt es ein Glück, aber zufällig für den Begriff der Of-<lb/> fenbarung. Die Ceremonialgeſetze der Juden waren auch <hi rendition="#g">ge-<lb/> offenbarte, göttliche</hi> und doch <hi rendition="#g">an ſich ſelbſt</hi> zufällige,<lb/> willkührliche Geſetze. Die Juden erhielten ſogar von Jehovah<lb/> das Gnadengebot, zu <hi rendition="#g">ſtehlen</hi>; freilich in einem beſondern Fall.</p><lb/> <p>Der Offenbarungsglaube erſtickt aber nicht nur den mo-<lb/> raliſchen Sinn und Geſchmack, die Aeſthetik der Tugend; er<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [285/0303]
Gattung, des Menſchen, als Geſetz ſeines Denkens und Han-
delns — iſt Gott.
Hierin liegen die wohlthätigen moraliſchen Wirkungen
des Offenbarungsglaubens auf den Menſchen. Aber wie die
Natur „ohne Bewußtſein Werke hervorbringt, die ausſehen,
als wären ſie mit Bewußtſein hervorgebracht,“ ſo erzeugt die
Offenbarung moraliſche Handlungen, aber ohne daß ſie aus
Moralität hervorgehen — moraliſche Handlungen, aber
keine moraliſchen Geſinnungen. Die moraliſchen Gebote wer-
den wohl gehalten, aber ſie ſind dadurch ſchon der innern Ge-
ſinnung, dem Herzen entfremdet, daß ſie als Gebote eines
äußerlichen Geſetzgebers vorgeſtellt werden, daß ſie in die Ka-
tegorie willkührlicher, polizeilicher Gebote treten. Was gethan
wird, geſchieht, nicht, weil es gut und recht iſt, ſo zu handeln,
ſondern weil es von Gott befohlen iſt. Der Inhalt an ſich
ſelbſt iſt gleichgültig; was nur immer Gott befiehlt, iſt recht *).
Stimmen dieſe Gebote mit der Vernunft, mit der Ethik über-
ein, ſo iſt es ein Glück, aber zufällig für den Begriff der Of-
fenbarung. Die Ceremonialgeſetze der Juden waren auch ge-
offenbarte, göttliche und doch an ſich ſelbſt zufällige,
willkührliche Geſetze. Die Juden erhielten ſogar von Jehovah
das Gnadengebot, zu ſtehlen; freilich in einem beſondern Fall.
Der Offenbarungsglaube erſtickt aber nicht nur den mo-
raliſchen Sinn und Geſchmack, die Aeſthetik der Tugend; er
*) Quod crudeliter ab hominibus sine Dei jussu fieret aut
factum est, id debuit ab Hebraeis fieri, quia a Deo, vitae et
necis summo arbitro, jussi bellum ita gerebant. J. Clericus (Comm.
in Mos. Num. c. 31. 7.) Multa gessit Samson, quae vix possent
defendi, nisi Dei, a quo homines pendent, instrumentum fuisse cen-
seatur. (Derſ. Comm. in Iudicum c. 14, 19.)
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