aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder. Jedes wahre Gebet ist ein Wunder, ein Act der wun- derthätigen Kraft. Das äußerliche Wunder selbst macht nur sichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur in Zeit und Raum, darum als ein besonderes Factum ein, was an und für sich in der Grundanschauung der Religion liegt, näm- lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur- sache aller Dinge ist. Das factische Wunder ist nur ein af- fectvoller Ausdruck der Religion -- ein Moment der Begei- sterung. Die Wunder ereignen sich nur in außerordentlichen Fällen, in solchen, wo das Gemüth exaltirt ist -- daher gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart sich das Innerste. Der Mensch betet auch nicht immer mit glei- cher Wärme und Kraft. Solche Gebete sind deßwegen erfolg- los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Wesen des Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für sich für eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So ist es auch mit dem Wunder. Wunder geschehen -- gleichviel, ob wenige oder viele -- wo eine wunderbare Anschauung die Grund- lage ist. Das Wunder ist aber keine theoretische Anschauung von der Welt und Natur; das Wunder realisirt praktische Bedürfnisse und zwar im Widerspruch mit den Gesetzen, die dem Theoretiker imponiren; im Wunder unterwirft der Mensch die Natur als eine für sich selbst nichtige Exi- stenz der Realität seiner Zwecke; das Wunder ist der Su- perlativus des geistlichen oder religiösen Utilismus; alle Dinge stehen im Wunder dem nothleidenden Menschen zu Diensten. Also erhellt hieraus, daß die wesentliche Weltan- schauung der Religion die Anschauung vom praktischen Stand-
aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder. Jedes wahre Gebet iſt ein Wunder, ein Act der wun- derthätigen Kraft. Das äußerliche Wunder ſelbſt macht nur ſichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur in Zeit und Raum, darum als ein beſonderes Factum ein, was an und für ſich in der Grundanſchauung der Religion liegt, näm- lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur- ſache aller Dinge iſt. Das factiſche Wunder iſt nur ein af- fectvoller Ausdruck der Religion — ein Moment der Begei- ſterung. Die Wunder ereignen ſich nur in außerordentlichen Fällen, in ſolchen, wo das Gemüth exaltirt iſt — daher gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart ſich das Innerſte. Der Menſch betet auch nicht immer mit glei- cher Wärme und Kraft. Solche Gebete ſind deßwegen erfolg- los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Weſen des Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für ſich für eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So iſt es auch mit dem Wunder. Wunder geſchehen — gleichviel, ob wenige oder viele — wo eine wunderbare Anſchauung die Grund- lage iſt. Das Wunder iſt aber keine theoretiſche Anſchauung von der Welt und Natur; das Wunder realiſirt praktiſche Bedürfniſſe und zwar im Widerſpruch mit den Geſetzen, die dem Theoretiker imponiren; im Wunder unterwirft der Menſch die Natur als eine für ſich ſelbſt nichtige Exi- ſtenz der Realität ſeiner Zwecke; das Wunder iſt der Su- perlativus des geiſtlichen oder religiöſen Utilismus; alle Dinge ſtehen im Wunder dem nothleidenden Menſchen zu Dienſten. Alſo erhellt hieraus, daß die weſentliche Weltan- ſchauung der Religion die Anſchauung vom praktiſchen Stand-
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aber die Religion beginnt, beginnt das Wunder.
Jedes wahre Gebet iſt ein Wunder, ein Act der wun-
derthätigen Kraft. Das äußerliche Wunder ſelbſt macht
nur ſichtbar die innerlichen Wunder, d. h. in ihm tritt nur
in Zeit und Raum, darum als ein beſonderes Factum ein, was an
und für ſich in der Grundanſchauung der Religion liegt, näm-
lich daß Gott überhaupt die übernatürliche, unmittelbare Ur-
ſache aller Dinge iſt. Das factiſche Wunder iſt nur ein af-
fectvoller Ausdruck der Religion — ein Moment der Begei-
ſterung. Die Wunder ereignen ſich nur in außerordentlichen
Fällen, in ſolchen, wo das Gemüth exaltirt iſt — daher
gibt es auch Wunder des Zorns. Mit kaltem Blute wird
kein Wunder verrichtet. Aber eben im Affect offenbart ſich
das Innerſte. Der Menſch betet auch nicht immer mit glei-
cher Wärme und Kraft. Solche Gebete ſind deßwegen erfolg-
los. Aber nur das affectvolle Gebet offenbart das Weſen des
Gebetes. Gebetet wird, wo das Gebet an und für ſich für
eine heilige Macht, eine göttliche Kraft gilt. So iſt es auch
mit dem Wunder. Wunder geſchehen — gleichviel, ob wenige
oder viele — wo eine wunderbare Anſchauung die Grund-
lage iſt. Das Wunder iſt aber keine theoretiſche Anſchauung
von der Welt und Natur; das Wunder realiſirt praktiſche
Bedürfniſſe und zwar im Widerſpruch mit den Geſetzen,
die dem Theoretiker imponiren; im Wunder unterwirft
der Menſch die Natur als eine für ſich ſelbſt nichtige Exi-
ſtenz der Realität ſeiner Zwecke; das Wunder iſt der Su-
perlativus des geiſtlichen oder religiöſen Utilismus; alle
Dinge ſtehen im Wunder dem nothleidenden Menſchen zu
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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums. Leipzig, 1841, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/feuerbach_christentum_1841/280>, abgerufen am 28.11.2024.
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